Einwurf‐Einschreiben bei der Kündigungszustellung
Genügt der Auslieferungsbeleg beim Einwurf‐Einschreiben als Anscheinsbeweis für den Zugang der Kündigung?
Wird ein Kündigungseinschreiben per Einwurf‐Einschreiben übersendet und legt der Absender den Einlieferungsbeleg und die Reproduktion des Auslieferungsbelegs mit der Unterschrift des Zustellers vor, spricht der Beweis des ersten Anscheins für den Zugang des Schreibens beim Empfänger.
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So hat das Landesarbeitsgericht Schleswig‐Holstein mit Urteil vom 18. Januar 2022 entschieden. Es geht um die Frage, ob mit dem Auslieferungsbeleg der Post bei einem Einwurf‐Einschreiben, im Wege des Anscheinsbeweises, eine Zustellung der Kündigung bewiesen werden kann.
Die Gerichte entscheiden in dieser Frage bislang noch nicht einheitlich. Der BGH hat dies in seiner Entscheidung vom 27.8.2016 (BGH, Urteil vom 27. September 2016 – II ZR 299/15 –) bejaht. Eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes gibt es zu dieser Frage noch nicht. Sollte das Bundesarbeitsgericht in einer Entscheidung von der Sichtweise des BGH entscheidend abweichen und einen Anscheinsbeweis ablehnen, würde der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe angerufen werden.
Zu den Begrifflichkeiten:
Zugang
Die Kündigung ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung des Arbeitgebers und bedarf zu ihrer Wirksamkeit des Zugangs beim Arbeitnehmer. Eine Kündigung ist gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB zugegangen, wenn sie so in den sogenannten Machtbereich des Arbeitnehmers gelangt ist, dass unter gewöhnlichen Umständen damit zu rechnen ist, dass er von der Kündigung Kenntnis erlangen kann. Ob er das dann auch tut, ist nicht von Belang. Er trägt sodann das Kenntnisnahmerisiko.
Dies gilt übrigens auch dann, wenn der Arbeitnehmer eine Haftstrafe verbüßt, unabhängig davon, ob der Arbeitgeber sogar davon weiß. So stellte das Landesarbeitsgericht Schleswig‐Holstein in einem früheren Urteil darauf ab, ob unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand. Es sei unerheblich, ob der Arbeitnehmer durch besondere Umstände – wie eine Haftstrafe – an der tatsächlichen Kenntnisnahme gehindert sei.
Das selbe gilt übrigens auch für Urlaub oder Krankheit. (Mehr zur Kündigung während des Urlaubs können Sie hier lesen.)
Im Arbeitsvertrag können spezielle Vereinbarungen zum Zugang getroffen werden. Der Zugang kann durch direkte Übergabe an den Arbeitnehmer erfolgen. Auch durch eine Zustellung per Post kann grundsätzlich der Zugang erfolgen, sobald ein „normaler“ Brief in den Hausbriefkasten des Arbeitnehmers gelegt wird. Der Arbeitgeber trägt aber das Übermittlungsrisiko, falls die Sendung auf dem Weg verloren geht. Bei einem „normalen“ Brief kann der Arbeitgeber nicht ausschließen, dass dies passiert. Er kann dann regelmäßig zumindest nicht nachweisen, dass der Arbeitnehmer die Kündigung zugestellt bekommen hat. Beim Einwurf‐Einschreiben gibt es dagegen einen Auslieferungsbeleg.
Zustellungen sind auch per Gerichtsvollzieher oder Einschreiben Rückschein möglich.
(Mehr zu der Frage, was Sie tun können, wenn Ihnen eine Kündigung zugegangen ist, können Sie hier lesen.)
Beweis des ersten Anscheins
Beim Anscheinsbeweis geht es um die Berücksichtigung der allgemeinen Lebenserfahrung durch den Richter im Rahmen der freien Beweiswürdigung. Der Beweis des ersten Anscheins greift dann ein, wenn ein bestimmter Tatbestand nach der Lebenserfahrung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf eine bestimmte Ursache für den Eintritt eines bestimmten Erfolges hinweist.
Der Richter kann aus feststehenden Tatsachen unter Berücksichtigung der allgemeinen Lebenserfahrung Schlüsse auf das Vorliegen streitiger Tatsachenbehauptungen ziehen. Der Anscheinsbeweis ist eine besondere Form dieser mittelbaren Beweisführung. Er setzt einen sogenannten typischen Geschehensablauf voraus. Wenn typische, beständige, gleichförmige Vorgänge feststehen, darf, sofern diesbezüglich Erfahrungsgrundsätze bestehen, auf eine bestimmte Ursache für ein Ereignis oder auf den Eintritt eines bestimmten Erfolges, geschlossen werden, wenn andere Ursachen oder Folgen unwahrscheinlich sind. Die tatsächlichen Einzelumstände müssen dann nicht bewiesen werden, sondern nur die Tatsachen festgestellt werden, an die der Erfahrungssatz knüpft.
Zum Fall:
Der bei der Beklagten als Servicemitarbeiter beschäftigte Kläger wohnt in einer Hochhausanlage mit 10 Stockwerken.
Der Arbeitgeber hatte dem Beschäftigten mit Schreiben vom 26.10.2020 fristgemäß zum 30.11.2020 gekündigt und dieses Schreiben als Einwurf‐Einschreiben an dessen Wohnadresse geschickt. Der Postmitarbeiter bestätigte am 29.10.2020 mit seiner Unterschrift, dass er das Einschreiben „dem Empfangsberechtigten übergeben bzw. das Einschreiben Einwurf in die Empfangsvorrichtung des Empfängers eingelegt habe.
Der Arbeitnehmer legte gegen die Kündigung Klage ein und behauptete, er habe die Kündigung nicht erhalten. Er beantragte, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis ungekündigt fortbestehe. Der Arbeitgeber führte dagegen aus, er habe die Kündigung dem Arbeitnehmer zugesandt. Es sei davon auszugehen, dass dieser die Kündigung in seinem Briefkasten vorgefunden habe. Der Arbeitgeber legte einen Auslieferungsbeleg der Post als Beweis vor.
Das Arbeitsgericht Elmshorn urteilte im Sinne des Arbeitnehmers, dass das Arbeitsverhältnis fortbestehe, da der Arbeitgeber den Zugang einer Kündigung beim Arbeitnehmer nicht bewiesen habe. Der Auslieferungsbeleg sei kein Beweis des ersten Anscheins für den Zugang der Kündigung.
Entscheidungsgründe des Landgerichtes Schleswig‐Holstein
Das Landesarbeitsgericht Schleswig‐Holstein sah dies anders und gab dem Arbeitgeber recht. Das Arbeitsverhältnis sei durch die Kündigung aufgelöst worden, da die Kündigungserklärung dem Kläger zugegangen sei. Bei Übersendung eines Schriftstücks per Einwurf‐Einschreiben und gleichzeitiger Vorlage des Einlieferungsbelegs und der Reproduktion des ordnungsgemäß unterzeichneten Auslieferungsbelegs spreche ein Beweis des ersten Anscheins für den Zugang dieses Schriftstücks beim Empfänger. Die Voraussetzungen für diesen Beweis seien gegeben.
Denn es gebe einen feststehenden tatsächlichen Geschehensablauf, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einem Einwurf der Sendung in das richtige Postfach bzw. den richtigen Briefkasten führe. Dies sei durch die organisatorischen Anweisungen der Deutschen Post AG für die Zustellung eines Einwurf‐Einschreibens hinreichend sichergestellt. Der Postzusteller müsse vor dem Einwurf der Sendung in den Briefkasten ein Abziehetikett, das sogenannte „Peel‐Off‐Label“, auf den Auslieferungsbeleg kleben, mit Datum versehen und unterschreiben. Dadurch werde die Sendung aus der üblichen Zustellroutine herausgenommen. Der Postzusteller müsse seine Aufmerksamkeit auf diese einzelne Sendung richten und durch seine eigene Unterschrift sowie die Datumsangabe die Zustellung bestätigen. Bei dieser Vorgehensweise seien fehlerhafte Zustellungen zwar nicht naturgesetzlich ausgeschlossen, aber nach der Lebenserfahrung so unwahrscheinlich, dass die Annahme eines Anscheinsbeweises gerechtfertigt sei. Die theoretische Möglichkeit eines Fehlwurfs bei einer Briefkastenanlage bzw. mehreren Briefkästen sei so unwahrscheinlich, dass zunächst einmal der Beweis des ersten Anscheins für die richtige Zustellung begründet werde.
(Landesarbeitsgericht Schleswig‐Holstein, Urteil vom 18. Januar 2022 – 1 Sa 159/21 –)