Trainerlehrgang trotz Krankschreibung? – fristlose Kündigung
Im Falle einer Krankschreibung stellt sich immer wieder die Frage, welche Tätigkeiten die krankgeschriebene Person während der Zeit der Arbeitsunfähigkeit vornehmen darf. Besonders relevant wird diese Frage, wenn die Arbeitsunfähigkeit zeitlich mit einem abgelehnten Urlaubsantrag zusammenfällt. In einem solchen Fall hatte das Landesarbeitsgericht Niedersachsen im Julei dieses Jahres zu entscheiden.
Bei der Frage, was im Falle der Krankschreibung eine arbeitsunfähige Person während ihrer Genesungszeit tun darf und was nicht, geht es im Grunde immer darum, welches Verhalten der Genesung förderlich oder zumindest nicht abträglich ist. Ein weiteres Kriterium ist, ob der behandelnde Arzt ein bestimmtes Verhalten ausgeschlossen, angeordnet oder sogar befürwortet hat.
Grundsätzliches
Erschütterung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
Grundsätzlich wird die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Sinne des § 5 Abs. 1 S. 2 EntgFG geführt. Dies ist das gesetzlich vorgesehene Beweismittel. Dann kann der Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit nicht einfach mit Nichtwissen bestreiten.
Entsteht aber durch des Verhalten des Arbeitnehmers beim Arbeitgeber der berechtigte Eindruck, dass die Arbeitsunfähigkeit nur vorgeschoben ist und belegt der Arbeitgeber dies anhand von Indizien, kann der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert werden.
Die Umstände einer Krankschreibung können den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern, wenn der Arbeitgeber wegen konkreter Umstände begründete Zweifel an der Erkrankung hat. Dann muss der Arbeitnehmer im Rahmen der sekundären Beweislast darüber Auskunft geben, dass der Arbeitnehmer tatsächlich arbeitsunfähig krank war.
Die Folgen des erschütterten Beweiswertes der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung können sein
- dass der Arbeitgeber berechtigt ist, die Entgeltfortzahlung zu verweigern
- und/oder dass der Arbeitgeber nachweisen kann, dass die Krankheit vorgetäuscht ist und sich damit eine fristlose Kündigung rechtfertigen lässt.
(Mehr zur Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und ihrem Beweiswert können Sie hier lesen.)
Abgestufte Beweislast
Grundsätzlich muss der Arbeitgeber Tatsachen beweisen, die eine Kündigung rechtfertigen. Es wird vom Arbeitgeber aber nicht verlangt, nachzuweisen, dass zum Zeitpunkt der Krankmeldung überhaupt keine Erkrankung vorgelegen haben kann.
Die Grundsätze der abgestuften Darlegungslast greifen immer dann ein, wenn der Arbeitgeber Vortrag zu einer negativen Tatsache halten muss. Also beispielsweise, wenn ein Arbeitgeber beweisen soll, dass der Arbeitnehmer nicht arbeitsunfähig krank ist. Es kommt dann zu einem schrittweisen Wechselspiel der Beweislast.
Kann der Arbeitgeber im Falle einer Krankschreibung durch Indizien begründete Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit belegen, darf sich in einem weiteren Schritt der Prozessgegner, also der Arbeitnehmer, nicht mit einem einfachen Bestreiten begnügen. Er muss dann im Rahmen der sogenannten sekundären Beweislast vortragen, welche tatsächlichen Umstände, also welche konkreten Krankheiten bzw. Krankheitssymptome zum Zeitpunkt der Ankündigung der Krankschreibung vorgelegen haben. Zudem muss vorgetragen werden, weshalb der Arbeitnehmer darauf schließen durfte, auch noch am Tag der begehrten Freistellung arbeitsunfähig zu sein. Gegebenenfalls müssen dazu die behandelnden Ärzte von ihrer Schweigepflicht entbunden werden. Erst wenn dieser Vortrag erfolgt ist, wäre es wieder am Arbeitgeber, diesen Sachvortrag, beispielsweise durch ein ärztliches Gegengutachten, zu entkräften. (s.a. BAG, 12.03.2009, 2 AZR 251/07)
Der Fall
Eine Arbeitnehmerin war als Sekretärin in einer Grundschule angestellt. Sie beantragte – wiederholt – Urlaub für den 6.7.2023. Dieser wurde ihr nicht gewährt, da dieser Termin in den Beginn der niedersächsischen Sommerferien fiel und deswegen eine Urlaubssperre angeordnet war. Dies wurde ihr bereits zu Beginn des Schuljahres mitgeteilt. Die Arbeitnehmerin bestand aber darauf, an diesem Tag Urlaub zu bekommen. Die Arbeitgeberin lehnte den Antrag aber immer wieder ab.
Am 5.7.2023 meldete sich die Arbeitnehmerin bei der Schulleitung telefonisch krank. Sie habe eine Magen‐Darm‐Grippe. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 5.7.2023 bis zum 7.7.2023 wurde am 5.7.2023 ärztlich bescheinigt. Am 6.7.2023 nahm die Arbeitnehmerin trotz der Krankschreibung an einem Trainer‐Lizenz‐Lehrgang an einer Landesturnschule teil.
Dies bekam die Arbeitgeberin mit und hörte die Arbeitnehmerin mit Schreiben vom 7.7.2023 wegen des Verdachts der vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit an. Die Arbeitnehmerin entgegnete, wie sie es auch später den Arbeitsgerichten vortrug, sie habe in der Nacht vom 4.7.23 auf den 5.7.2023 starke Bauchschmerzen und Übelkeit gehabt. Das Schlucken habe wehgetan und sie habe Kopfschmerzen gehabt. Ihr Arzt habe sie für drei Tage krankgeschrieben. Nach Einnahme der verschriebenen Medikamente sei umgehend Besserung eingetreten. Sie gehe davon aus, dass die Symptome teilweise psychosomatisch waren. Da sie sich am 6.7.2023 wieder ok gefühlt habe, sei sie zum Lehrgang gefahren.
Ende Julei 2023 kündigte die Arbeitgeberin daraufhin das Arbeitsverhältnis sowohl als Tatkündigung sowie vorsorglich als Verdachtskündigung außerordentlich fristlos.
Die Arbeitnehmerin legte dagegen Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht ein. Sie vertrat die Ansicht, die Kündigung sei unwirksam, da sie sich am 6.7.2023 trotz der bestehenden Erkrankung so fit gefühlt habe, dass sie an der Fortbildung zum Erwerb der Trainer‐Lizenz habe teilnehmen können. Da sie sich in der Psychotherapie befinde, sei es nicht unbedingt erforderlich und auch nicht förderlich, wenn sie sich zu Hause vergrabe.
Die beklagte Arbeitgeberin entgegnete, es bestünden ausreichende Anhaltspunkte für einen Verdacht, dass die Klägerin ihre Arbeitsfähigkeit vorgetäuscht habe.
Verfahrensgang
Das Arbeitsgericht Osnabrück wies die Kündigungsschutzklage ab. [ArbG Osnabrück, 31. Januar 2024, 4 Ca 244/23 Ö, Urteil]
Es bestehe ein dringender, auf objektive Tatsachen gestützter Verdacht, dass die Klägerin die ab dem 5.7.2023 attestierte Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht habe. Die Klägerin habe diesen Verdacht nicht wiederlegt. Sie habe nicht vorgetragen, genau welche Krankheiten vorgelegen hätten, welche gesundheitlichen Einschränkungen bestanden hätten, welche Verhaltensmaßregelungen der Arzt gegeben habe und welche Medikamente bewirkt hätten, dass sie zwar nicht die geschuldete Arbeit verrichten aber ihren Trainer‐Lehrgang teilnehmen konnte. Daher sei auch eine vorherige Abmahnung entbehrlich gewesen.
Gegen dieses Urteil legte die Arbeitnehmerin Berufung ein.
Eine Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Erkrankung schließe die Teilnahme an einem Lehrgang im Rahmen der Freizeitgestaltung nicht aus.
Die Entscheidung
Das Landesarbeitsgericht wies die Berufung als unbegründet zurück und bestätigte die Entscheidung des Arbeitsgerichts. [Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 8. Juli 2024 – 15 SLa 127/24 –]
Für die Kündigung bestehe ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB, da in der vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit der Klägerin in der Zeit vom 5. bis zum 7. Julei 2023 Tatsachen zu sehen seien, aufgrund derer der Beklagten unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden könne.
Die beklagte Arbeitgeberin müsse primär darlegen und beweisen, dass die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin vorgetäuscht war. Wenn sie durch Indizien begründete Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit vortragen könne, sei dann die klagende Arbeitnehmerin nach den Grundsätzen der abgestuften Darlegungslast sekundär beweisbelastet. Sie müsse dann darlegen, warum sie trotz der attestierten Arbeitsunfähigkeit an dem Lehrgang teilnehmen, aber nicht habe arbeiten können.
Dieser sekundären Beweislast sei die Klägerin nicht im ausreichenden Maße nachgekommen.
Sie habe der sekundären Darlegungslast nicht bereits durch die Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 5.7.2023 nachkommen können, da der Beweiswert dieser Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert sei. Denn die Arbeitgeberin habe durch dargelegte tatsächliche Umstände Zweifel an der wirklichen Arbeitsunfähigkeit der Klägerin erwecken können und dadurch den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert.
Koinzidenz von Krankschreibung und Urlaubswunsch
Zweifel an dem Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 5.7.2023 ergäben sich zunächst daraus, dass diese exakt für einen Zeitraum ausgestellt worden sei, für den die Klägerin zuvor Urlaub begehrt habe.
Die Zweifel würden dadurch verstärkt, dass die Klägerin an dem Lehrgang bei der Landesturnschule auch teilgenommen habe. Die Teilnahme an dem Lehrgang bedeute zwar nicht notwendigerweise, dass die Klägerin nicht arbeitsunfähig gewesen sei. Grundsätzlich sei schon denkbar, dass krankheitsbedingte Ursachen zur Arbeitsunfähigkeit geführt hätten, die die Klägerin aber nicht gehindert hätten, an dem Lehrgang teilzunehmen. Zu solche genauen Ursachen hätte die Klägerin aber hinreichend vortragen müssen, was sie aber nicht tat.
Die Klägerin habe auch nicht im Einzelnen vorgetragen, welche Medikamente sie eingenommen habe, die eine so schnelle Besserung der Symptome bewirkt haben sollen.
Hinzu komme, dass die Teilnahme an einem solchen Lehrgang üblicherweise nur nach vorheriger Anmeldung möglich sei. Daraus folge, dass sich die Klägerin im Vorfeld trotz der Verweigerung von Urlaub für diesen Tag bewusst zu diesem Lehrgang angemeldet und nicht wieder abgemeldet habe. Dies bestärkte, nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts, die Zweifel an einer tatsächlich Arbeitsunfähigkeit bzw. den Verdacht, dass die Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht sei und die Krankschreibung nur dazu diente, an dem Lehrgang teilnehmen zu können.
Da die Klägerin ihrer sekundären Darlegungslast nicht nachkam, sei der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aufgrund der begründeten Zweifel erschüttert und eine tatsächliche Arbeitsunfähigkeit durch die Klägerin nicht hinreichend dargelegt.
Keine Abmahnung erforderlich
Die vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit rechtfertige auch nach der gebotenen umfassenden Interessenabwägung die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Einer vorherigen Abmahnung der Klägerin habe es nicht bedurft. Bei Vorliegen einer Vertragspflichtverletzung müsse zwar stets geprüft werden, ob dem Kündigenden eine mildere Reaktion als eine fristlose Kündigung, also insbesondere eine Abmahnung oder fristgerechte Kündigung zumutbar sei.
Dies wäre aber dann entbehrlich, wenn von vorherrein erkennbar sei, dass eine Verhaltensänderung der Arbeitnehmerin in Zukunft auch nach einer Abmahnung nicht zu erwarten sei oder die Pflichtverletzung derart schwer sei, dass, unabhängig von einer Wiederholungsgefahr, selbst eine erstmalige Hinnahme durch die Arbeitgeberin unzumutbar sei.
Grundsätzlich könne im Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit eine schwerwiegende Pflichtverletzung gesehen werden, wenn sich die Arbeitnehmerin für die Zeit einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit Entgeltfortzahlung gewähren lasse, wodurch regelmäßig einen Betrug zulasten der Arbeitgeberin begangen würde. (So auch BAG, Urteil vom 29.6.2017, 2 AZR 597/16). Daher sei auch mit einer nur einmaligen Hinnahme eines so erheblichen Pflichtverstoßes stets nicht zu rechnen.
Die Schwere einer Pflichtverletzung müsse anhand der sie beeinflussenden Umstände des Einzelfalls beurteilt werden.
Abwägung fällt zulasten der Arbeitnehmerin aus
Der beklagten Arbeitgeberin sei hier die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch im Hinblick auf die zugunsten der Klägerin zu berücksichtigende beanstandungsfreie Dauer des Arbeitsverhältnisses und ihr Lebensalter nicht zuzumuten.
Der Klägerin sei bereits zu Beginn des Schuljahres mitgeteilt worden, dass für den 6.7.2023 kein Urlaub gewährt werden könne. Es habe der Klägerin frei gestanden, die Frage, ob die Versagung des Urlaubswunsches rechtmäßig war, gerichtlich klären zu lassen. Dennoch habe die Klägerin dies nicht getan, sondern ihr Vorhaben, an dem Lehrgang teilzunehmen, in Kenntnis der Tatsache, dass Urlaub nicht gewährt wird, weiterverfolgt. Darin liege eine so erhebliche Schwere des Vertrauensverstoßes, dass die Interessen der Klägerin an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses dahinter zurücktreten müssten. So das Landesarbeitsgericht Niedersachsen.
[Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 8. Juli 2024 – 15 SLa 127/24 ]
Der Fall ist mit dieser Entscheidung aber noch nicht endgültig abgeschlossen. Die Klägerin hat Revision beim Bundesarbeitsgericht eingelegt. Das Bundesarbeitsgericht wird sich also mit diesem Fall befassen. Ein Termin für die Verhandlung steht noch nicht fest. Wir behalten das Thema im Auge.
Fazit
Bei einer Krankschreibung, die zeitlich mit einem abgelehnten Urlaubswunsch des Arbeitnehmers zusammenfällt, kann der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert werden. Arbeitnehmer müssen dann darlegen, dass sie wirklich arbeitsunfähig waren.
Besonders problematisch kann es werden, wenn krankgeschriebene Arbeitnehmer Aktivitäten außerhalb ihrer Wohnung nachgehen, die nicht zur Genesung beitragen oder Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit erwecken.
Kranke Arbeitnehmer sollten daher vorher mit Ihrem Arzt besprechen, was ihrer Genesung förderlich ist und was nicht. An diesen ärztlichen Rat, sollten sich Arbeitnehmer halten und ihn im Zweifelsfall schriftlich bestätigen lassen.