Trainerlehrgang trotz Krankschreibung? – fristlose Kündigung

Trainerlehrgang trotz Krankschreibung? – fristlose Kündigung

21. October 2024 Krankschreibung Kündigung Urlaub 0

Im Falle einer Krank­schreibung stellt sich immer wieder die Frage, welche Tätig­keiten die krank­ge­schriebene Person während der Zeit der Arbeits­un­fä­higkeit vornehmen darf.  Besonders relevant wird diese Frage, wenn die Arbeits­un­fä­higkeit zeitlich mit einem abgelehnten Urlaubs­antrag zusam­men­fällt. In einem solchen Fall hatte das Landes­ar­beits­ge­richt Nieder­sachsen im Julei dieses Jahres zu entscheiden.

[Landes­ar­beits­ge­richt Nieder­sachsen, Urteil vom 8. Juli 2024 – 15 SLa 127/24 ]

Bei der Frage, was im Falle der Krank­schreibung eine arbeits­un­fähige Person während ihrer Genesungszeit tun darf und was nicht, geht es im Grunde immer darum, welches Verhalten der Genesung förderlich oder zumindest nicht abträglich ist. Ein weiteres Kriterium ist, ob der behan­delnde Arzt ein bestimmtes Verhalten ausge­schlossen, angeordnet oder sogar befür­wortet hat.

 

Grundsätzliches

 

Erschütterung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Grund­sätzlich wird die krank­heits­be­dingte Arbeits­un­fä­higkeit durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­nigung im Sinne des § 5 Abs. 1 S. 2 EntgFG geführt. Dies ist das gesetzlich vorge­sehene Beweis­mittel. Dann kann der Arbeit­geber die Arbeits­un­fä­higkeit nicht einfach mit Nicht­wissen bestreiten.

Entsteht aber durch des Verhalten des Arbeit­nehmers beim Arbeit­geber der berech­tigte Eindruck, dass die Arbeits­un­fä­higkeit nur vorge­schoben ist und belegt der Arbeit­geber dies anhand von Indizien, kann der Beweiswert der Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­nigung erschüttert werden.

Die Umstände einer Krank­schreibung können den Beweiswert einer Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­nigung erschüttern, wenn der Arbeit­geber wegen konkreter Umstände begründete Zweifel an der Erkrankung hat. Dann muss der Arbeit­nehmer im Rahmen der sekun­dären Beweislast darüber Auskunft geben, dass der Arbeit­nehmer tatsächlich arbeits­un­fähig krank war.

Die Folgen des erschüt­terten Beweis­wertes der Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­nigung können sein

  • dass der Arbeit­geber berechtigt ist, die Entgelt­fort­zahlung zu verweigern
  • und/oder dass der Arbeit­geber nachweisen kann, dass die Krankheit vorge­täuscht ist und sich damit eine fristlose Kündigung recht­fer­tigen lässt.

(Mehr zur Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­nigung und ihrem Beweiswert können Sie hier lesen.)

 

Abgestufte Beweislast

Grund­sätzlich muss der Arbeit­geber Tatsachen beweisen, die eine Kündigung recht­fer­tigen. Es wird vom Arbeit­geber aber nicht verlangt, nachzu­weisen, dass zum Zeitpunkt der Krank­meldung überhaupt keine Erkrankung vorge­legen haben kann. 

Die Grund­sätze der abgestuften Darle­gungslast greifen immer dann ein, wenn der Arbeit­geber Vortrag zu einer negativen Tatsache halten muss. Also beispiels­weise, wenn ein Arbeit­geber beweisen soll, dass der Arbeit­nehmer nicht arbeits­un­fähig krank ist. Es kommt dann zu einem schritt­weisen Wechsel­spiel der Beweislast.

Kann der Arbeit­geber im Falle einer Krank­schreibung durch Indizien begründete Zweifel an der Arbeits­un­fä­higkeit belegen, darf sich in einem weiteren Schritt der Prozess­gegner, also der Arbeit­nehmer, nicht mit einem einfachen Bestreiten begnügen. Er muss dann im Rahmen der sogenannten sekun­dären Beweislast vortragen, welche tatsäch­lichen Umstände, also welche konkreten Krank­heiten bzw. Krank­heits­sym­ptome zum Zeitpunkt der Ankün­digung der Krank­schreibung vorge­legen haben. Zudem muss vorge­tragen werden, weshalb der Arbeit­nehmer darauf schließen durfte, auch noch am Tag der begehrten Freistellung arbeits­un­fähig zu sein. Gegebe­nen­falls müssen dazu die behan­delnden Ärzte von ihrer Schwei­ge­pflicht entbunden werden. Erst wenn dieser Vortrag erfolgt ist, wäre es wieder am Arbeit­geber, diesen Sachvortrag, beispiels­weise durch ein ärztliches Gegen­gut­achten, zu entkräften. (s.a. BAG, 12.03.2009, 2 AZR 251/07)

 

Der Fall

Eine Arbeit­neh­merin war als Sekre­tärin in einer Grund­schule angestellt. Sie beantragte – wiederholt – Urlaub für den 6.7.2023. Dieser wurde ihr nicht gewährt, da dieser Termin in den Beginn der nieder­säch­si­schen Sommer­ferien fiel und deswegen eine Urlaubs­sperre angeordnet war. Dies wurde ihr bereits zu Beginn des Schul­jahres mitge­teilt. Die Arbeit­neh­merin bestand aber darauf, an diesem Tag Urlaub zu bekommen. Die Arbeit­ge­berin lehnte den Antrag aber immer wieder ab.

Am 5.7.2023 meldete sich die Arbeit­neh­merin bei der Schul­leitung telefo­nisch krank. Sie habe eine Magen‐Darm‐Grippe. Eine Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­nigung für die Zeit vom 5.7.2023 bis zum 7.7.2023 wurde am 5.7.2023 ärztlich bescheinigt. Am 6.7.2023 nahm die Arbeit­neh­merin trotz der Krank­schreibung an einem Trainer‐Lizenz‐Lehrgang an einer Landes­turn­schule teil.

Dies bekam die Arbeit­ge­berin mit und hörte die Arbeit­neh­merin mit Schreiben vom 7.7.2023 wegen des Verdachts der vorge­täuschten Arbeits­un­fä­higkeit an. Die Arbeit­neh­merin entgegnete, wie sie es auch später den Arbeits­ge­richten vortrug, sie habe in der Nacht vom 4.7.23 auf den 5.7.2023 starke Bauch­schmerzen und Übelkeit gehabt. Das Schlucken habe wehgetan und sie habe Kopfschmerzen gehabt. Ihr Arzt habe sie für drei Tage krank­ge­schrieben. Nach Einnahme der verschrie­benen Medika­mente sei umgehend Besserung einge­treten. Sie gehe davon aus, dass die Symptome teilweise psycho­so­ma­tisch waren. Da sie sich am 6.7.2023 wieder ok gefühlt habe, sei sie zum Lehrgang gefahren.

Ende Julei 2023 kündigte die Arbeit­ge­berin daraufhin das Arbeits­ver­hältnis sowohl als Tatkün­digung sowie vorsorglich als Verdachts­kün­digung außer­or­dentlich fristlos.

Die Arbeit­neh­merin legte dagegen Kündi­gungs­schutz­klage beim Arbeits­ge­richt ein. Sie vertrat die Ansicht, die Kündigung sei unwirksam, da sie sich am 6.7.2023 trotz der bestehenden Erkrankung so fit gefühlt habe, dass sie an der Fortbildung zum Erwerb der Trainer‐Lizenz habe teilnehmen können. Da sie sich in der Psycho­the­rapie befinde, sei es nicht unbedingt erfor­derlich und auch nicht förderlich, wenn sie sich zu Hause vergrabe.

Die beklagte Arbeit­ge­berin entgegnete, es bestünden ausrei­chende Anhalts­punkte für einen Verdacht, dass die Klägerin ihre Arbeits­fä­higkeit vorge­täuscht habe.

 

Verfahrensgang

Das Arbeits­ge­richt Osnabrück wies die Kündi­gungs­schutz­klage ab.  [ArbG Osnabrück, 31. Januar 2024, 4 Ca 244/23 Ö, Urteil]

Es bestehe ein dringender, auf objektive Tatsachen gestützter Verdacht, dass die Klägerin die ab dem 5.7.2023 attes­tierte Arbeits­un­fä­higkeit vorge­täuscht habe. Die Klägerin habe diesen Verdacht nicht wiederlegt. Sie habe nicht vorge­tragen, genau welche Krank­heiten vorge­legen hätten, welche gesund­heit­lichen Einschrän­kungen bestanden hätten, welche Verhal­tens­maß­re­ge­lungen der Arzt gegeben habe und welche Medika­mente bewirkt hätten, dass sie zwar nicht die geschuldete Arbeit verrichten aber ihren Trainer‐Lehrgang teilnehmen konnte. Daher sei auch eine vorherige Abmahnung entbehrlich gewesen.

Gegen dieses Urteil legte die Arbeit­neh­merin Berufung ein.

Eine Arbeits­un­fä­higkeit wegen psychi­scher Erkrankung schließe die Teilnahme an einem Lehrgang im Rahmen der Freizeit­ge­staltung nicht aus.

 

Die Entscheidung

Das Landes­ar­beits­ge­richt  wies die Berufung als unbegründet zurück und bestä­tigte die Entscheidung des Arbeits­ge­richts. [Landes­ar­beits­ge­richt Nieder­sachsen, Urteil vom 8. Juli 2024 – 15 SLa 127/24 –]

Für die Kündigung bestehe ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB, da in der vorge­täuschten Arbeits­un­fä­higkeit der Klägerin in der Zeit vom 5. bis zum 7. Julei 2023 Tatsachen zu sehen seien, aufgrund derer der Beklagten unter Berück­sich­tigung aller Umstände des Einzel­falles und unter Abwägung der Inter­essen beider Vertrags­teile die Fortsetzung des Arbeits­ver­hält­nisses nicht zugemutet werden könne.

Die beklagte Arbeit­ge­berin müsse primär darlegen und beweisen, dass die Arbeits­un­fä­higkeit der Klägerin vorge­täuscht war. Wenn sie durch Indizien begründete Zweifel an der Arbeits­un­fä­higkeit vortragen könne, sei dann die klagende Arbeit­neh­merin nach den Grund­sätzen der abgestuften Darle­gungslast sekundär beweis­be­lastet. Sie müsse dann darlegen, warum sie trotz der attes­tierten Arbeits­un­fä­higkeit an dem Lehrgang teilnehmen, aber nicht habe arbeiten können.

Dieser sekun­dären Beweislast sei die Klägerin nicht im ausrei­chenden Maße nachgekommen.

Sie habe der sekun­dären Darle­gungslast nicht bereits durch die Vorlage der Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­nigung vom 5.7.2023 nachkommen können, da der Beweiswert dieser Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­nigung erschüttert sei. Denn die Arbeit­ge­berin habe durch darge­legte tatsäch­liche Umstände Zweifel an der wirklichen Arbeits­un­fä­higkeit der Klägerin erwecken können und dadurch den Beweiswert der Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­nigung erschüttert.

 

Koinzidenz von Krankschreibung und Urlaubswunsch

Zweifel an dem Beweiswert der Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­nigung vom 5.7.2023 ergäben sich zunächst daraus, dass diese exakt für einen Zeitraum ausge­stellt worden sei, für den die Klägerin zuvor Urlaub begehrt habe. 

Die Zweifel würden dadurch verstärkt, dass die Klägerin an dem Lehrgang bei der Landes­turn­schule auch teilge­nommen habe. Die Teilnahme an dem Lehrgang bedeute zwar nicht notwen­di­ger­weise, dass die Klägerin nicht arbeits­un­fähig gewesen sei. Grund­sätzlich sei schon denkbar, dass krank­heits­be­dingte Ursachen zur Arbeits­un­fä­higkeit geführt hätten, die die Klägerin aber nicht gehindert hätten, an dem Lehrgang teilzu­nehmen. Zu solche genauen Ursachen hätte die Klägerin aber hinrei­chend vortragen müssen, was sie aber nicht tat.

Die Klägerin habe auch nicht im Einzelnen vorge­tragen, welche Medika­mente sie einge­nommen habe, die eine so schnelle Besserung der Symptome bewirkt haben sollen.

Hinzu komme, dass die Teilnahme an einem solchen Lehrgang üblicher­weise nur nach vorhe­riger Anmeldung möglich sei. Daraus folge, dass sich die Klägerin im Vorfeld trotz der Verwei­gerung von Urlaub für diesen Tag bewusst zu diesem Lehrgang angemeldet und nicht wieder abgemeldet habe. Dies bestärkte, nach Ansicht des Landes­ar­beits­ge­richts, die Zweifel an einer tatsächlich Arbeits­un­fä­higkeit bzw. den Verdacht, dass die Arbeits­un­fä­higkeit vorge­täuscht sei und die Krank­schreibung nur dazu diente, an dem Lehrgang teilnehmen zu können.

Da die Klägerin ihrer sekun­dären Darle­gungslast nicht nachkam, sei der Beweiswert der Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­nigung aufgrund der begrün­deten Zweifel erschüttert und eine tatsäch­liche Arbeits­un­fä­higkeit durch die Klägerin nicht hinrei­chend dargelegt.

 

Keine Abmahnung erforderlich

Die vorge­täuschte Arbeits­un­fä­higkeit recht­fertige auch nach der gebotenen umfas­senden Inter­es­sen­ab­wägung die außer­or­dent­liche Kündigung des Arbeits­ver­hält­nisses. Einer vorhe­rigen Abmahnung der Klägerin habe es nicht bedurft. Bei Vorliegen einer Vertrags­pflicht­ver­letzung müsse zwar stets geprüft werden, ob dem Kündi­genden eine mildere Reaktion als eine fristlose Kündigung, also insbe­sondere eine Abmahnung oder frist­ge­rechte Kündigung zumutbar sei.

Dies wäre aber dann entbehrlich, wenn von vorherrein erkennbar sei, dass eine Verhal­tens­än­derung der Arbeit­neh­merin in Zukunft auch nach einer Abmahnung nicht zu erwarten sei oder die Pflicht­ver­letzung derart schwer sei, dass, unabhängig von einer Wieder­ho­lungs­gefahr, selbst eine erstmalige Hinnahme durch die Arbeit­ge­berin unzumutbar sei.

Grund­sätzlich könne im Vortäu­schen einer Arbeits­un­fä­higkeit eine schwer­wie­gende Pflicht­ver­letzung gesehen werden, wenn sich die Arbeit­neh­merin für die Zeit einer vorge­täuschten Arbeits­un­fä­higkeit Entgelt­fort­zahlung gewähren lasse, wodurch regel­mäßig einen Betrug zulasten der Arbeit­ge­berin begangen würde. (So auch BAG, Urteil vom 29.6.2017, 2 AZR 597/16). Daher sei auch mit einer nur einma­ligen Hinnahme eines so erheb­lichen Pflicht­ver­stoßes stets nicht zu rechnen.

Die Schwere einer Pflicht­ver­letzung müsse anhand der sie beein­flus­senden Umstände des Einzel­falls beurteilt werden.

 

Abwägung fällt zulasten der Arbeitnehmerin aus

Der beklagten Arbeit­ge­berin sei hier die Fortsetzung des Arbeits­ver­hält­nisses auch im Hinblick auf die zugunsten der Klägerin zu berück­sich­ti­gende beanstan­dungs­freie Dauer des Arbeits­ver­hält­nisses und ihr Lebens­alter nicht zuzumuten.

Der Klägerin sei bereits zu Beginn des Schul­jahres mitge­teilt worden, dass für den 6.7.2023 kein Urlaub gewährt werden könne. Es habe der Klägerin frei gestanden, die Frage, ob die Versagung des Urlaubs­wun­sches recht­mäßig war, gerichtlich klären zu lassen. Dennoch habe die Klägerin dies nicht getan, sondern ihr Vorhaben, an dem Lehrgang teilzu­nehmen, in Kenntnis der Tatsache, dass Urlaub nicht gewährt wird, weiter­ver­folgt. Darin liege eine so erheb­liche Schwere des Vertrau­ens­ver­stoßes, dass die Inter­essen der Klägerin an der Fortsetzung des Arbeits­ver­hält­nisses dahinter zurück­treten müssten. So das Landes­ar­beits­ge­richt Niedersachsen.

[Landes­ar­beits­ge­richt Nieder­sachsen, Urteil vom 8. Juli 2024 – 15 SLa 127/24 ]

Der Fall ist mit dieser Entscheidung aber noch nicht endgültig abgeschlossen. Die Klägerin hat Revision beim Bundes­ar­beits­ge­richt eingelegt. Das Bundes­ar­beits­ge­richt wird sich also mit diesem Fall befassen. Ein Termin für die Verhandlung steht noch nicht fest. Wir behalten das Thema im Auge.

 

Fazit

Bei einer Krank­schreibung, die zeitlich mit einem abgelehnten Urlaubs­wunsch des Arbeit­nehmers zusam­men­fällt, kann der Beweiswert der Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­nigung erschüttert werden. Arbeit­nehmer müssen dann darlegen, dass sie wirklich arbeits­un­fähig waren.

Besonders proble­ma­tisch kann es werden, wenn krank­ge­schriebene Arbeit­nehmer Aktivi­täten außerhalb ihrer Wohnung nachgehen, die nicht zur Genesung beitragen oder Zweifel an der Arbeits­un­fä­higkeit erwecken.

Kranke Arbeit­nehmer sollten daher vorher mit Ihrem Arzt besprechen, was ihrer Genesung förderlich ist und was nicht. An diesen ärztlichen Rat, sollten sich Arbeit­nehmer halten und ihn im Zweifelsfall schriftlich bestä­tigen lassen.

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