Überstundenzuschläge erst ab Überschreiten der Arbeitszeit Vollbeschäftigter  diskriminieren Teilzeitbeschäftigte

Überstundenzuschläge erst ab Überschreiten der Arbeitszeit Vollbeschäftigter  diskriminieren Teilzeitbeschäftigte

6. December 2024 Überstunden 0

Eine tarif­ver­trag­liche Regelung, die unabhängig von der indivi­du­ellen Arbeitszeit für Überstun­den­zu­schläge das Überschreiten der regel­mä­ßigen Arbeitszeit eines Vollzeit­be­schäf­tigten voraus­setzt, behandelt teilzeit­be­schäf­tigte Arbeit­nehmer wegen der Teilzeit schlechter als vergleichbare Vollzeit­be­schäf­tigte. Sie verstößt gegen das Verbot der Diskri­mi­nierung Teilzeit­be­schäf­tigter (§ 4 Abs. 1 TzBfG), wenn die in ihr liegende Ungleich­be­handlung nicht durch sachliche Gründe gerecht­fertigt ist. Fehlen solche sachlichen Gründe, liegt regel­mäßig zugleich eine gegen Vorschriften des Allge­meinen Gleich­be­hand­lungs­ge­setzes (§ 7 Abs. 1 AGG) versto­ßende mittelbare Benach­tei­ligung wegen des (weiblichen) Geschlechts vor, wenn innerhalb der betrof­fenen Gruppe der Teilzeit­be­schäf­tigten erheblich mehr Frauen als Männer vertreten sind.

So hat das Bundes­ar­beits­ge­richt kürzlich entschieden.

Bundes­ar­beits­ge­richt, Urteil vom 5. Dezember 2024 – 8 AZR 370/20 –
 

Der Sachverhalt

Die Klägerin ist bei dem beklagten Verein, der ambulante Dialyse anbietet, als Pflege­kraft in Teilzeit im Umfang von 40 vH eines Vollzeit­be­schäf­tigten tätig. Der beklagte Verein beschäftigt mehr als 5.000 Arbeitnehmer.

Auf das Arbeits­ver­hältnis findet der zwischen dem beklagten Verein und der Gewerk­schaft ver.di geschlossene Mantel­ta­rif­vertrag (MTV) Anwendung. Nach § 10 Ziff. 7 Satz 2 MTV sind Überstunden, die über die monat­liche Arbeitszeit eines vollzeit­be­schäf­tigten Arbeit­nehmers hinaus geleistet werden mit einem Zuschlag von 30 % zuschlags­pflichtig, sofern sie nicht durch Freizeit­ge­währung ausge­glichen werden können. Alter­nativ zu einer Auszahlung des Zuschlags ist eine entspre­chende Zeitgut­schrift im Arbeits­zeit­konto vorgesehen.

Das Arbeits­zeit­konto der Arbeit­neh­merin wies Ende März 2018 ein Arbeits­zeit­gut­haben von 129 Stunden und 24 Minuten aus. Ihr Arbeit­geber zahlte für diese Zeiten in Anwendung von § 10 Ziff. 7 Satz 2 MTV weder Überstun­den­zu­schläge, noch gewährte er im Arbeits­zeit­konto der Arbeit­neh­merin eine Zeitgutschrift.

Die Arbeit­neh­merin legte Klage beim Arbeits­ge­richt ein und verlangte, ihrem Arbeits­zeit­konto als Überstun­den­zu­schläge weitere 38 Stunden und 39 Minuten gutzu­schreiben und die Zahlung einer Entschä­digung nach § 15 Abs. 2 AGG in Höhe eines Vierteljahresverdienstes.

Sie trug vor, die Anwendung von § 10 Ziff. 7 Satz 2 MTV benach­teilige sie wegen ihrer Teilzeit unzulässig gegenüber vergleich­baren Vollzeit­be­schäf­tigten. Zugleich werde sie wegen ihres Geschlechts mittelbar benach­teiligt, denn der Beklagte beschäftige überwiegend Frauen in Teilzeit.

Das Arbeits­ge­richt Fulda (Urteil vom 17. Januar 2019, 2 Ca 73/18) hat die Klage insgesamt abgewiesen. Das Hessische Landes­ar­beits­ge­richt (Urteil vom 19. Dezember 2019 – 5 Sa 436/19 –) hat der Klägerin die verlangte Zeitgut­schrift zuerkannt und hinsichtlich der begehrten Entschä­digung die Klage­ab­weisung bestätigt.

Die Klägerin legte dagegen Revision beim Bundes­ar­beits­ge­richt ein. Dieses setzte das Verfahren aber zunächst aus und legte dem Gerichtshof der Europäi­schen Union (EuGH) den Fall zur Klärung der Auslegung des Unions­rechts vor. Dieser urteilte am 29. Juli 2024 (- C‑184/22 und C‑185/22 [KfH Kuratorium für Dialyse und Nieren­trans­plan­tation eV])

 

Die Entscheidung

Die Revision der Klägerin war teilweise erfolg­reich. Das Bundes­ar­beits­ge­richt sprach der Klägerin die verlangte Zeitgut­schrift – in Überein­stimmung mit dem Landes­ar­beits­ge­richt – zu und erkannte ihr darüber hinaus eine Entschä­digung in Höhe von 250,00 Euro zu. Auf der Grundlage des Urteils des EuGH sei davon auszu­gehen, dass § 10 Ziff. 7 Satz 2 MTV insoweit wegen Verstoßes gegen das Verbot der Benach­tei­ligung von Teilzeit­be­schäf­tigten unwirksam ist, als er bei Teilzeit­be­schäf­tigung keine der Teilzeit­quote entspre­chende anteilige Absenkung der Grenze für die Gewährung eines Überstun­den­zu­schlags vorsieht. Einen sachlichen Grund für diese Ungleich­be­handlung habe der Senat nicht erkennen können. Die sich aus dem Verstoß gegen § 4 Abs. 1 TzBfG ergebende Unwirk­samkeit der tarif­ver­trag­lichen Regelung der Überstun­den­zu­schläge führe zu einem Anspruch der Klägerin auf die einge­klagte weitere Zeitgutschrift.

Daneben wurde der Klägerin eine Entschä­digung nach § 15 Abs. 2 AGG zuerkannt. Durch die Anwendung der tarif­ver­trag­lichen Regelung sei die Klägerin auch eine mittelbar wegen des Geschlechts benach­teiligt worden. In der Gruppe der beim Beklagten in Teilzeit Beschäf­tigten, die dem persön­lichen Anwen­dungs­be­reich des MTV unter­fallen, seien zu mehr als 90 % Frauen vertreten. Als Entschä­digung sei ein Betrag in Höhe von 250,00 Euro festzu­setzen. Dieser sei erfor­derlich, aber auch ausrei­chend, um einer­seits den der Klägerin durch die mittelbare Geschlechts­be­nach­tei­ligung entstan­denen immate­ri­ellen Schaden auszu­gleichen. Anderer­seits entfalte er gegenüber dem Beklagten die gebotene abschre­ckende Wirkung.

Bundes­ar­beits­ge­richt, Urteil vom 5. Dezember 2024 – 8 AZR 370/20 –
Vorin­stanz: Hessi­sches Landes­ar­beits­ge­richt, Urteil vom 19. Dezember 2019 – 5 Sa 436/19 –

 

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