Zählen Urlaubstage in Quarantäne als Urlaub?
Das Bundesarbeitsgericht hat kürzlich in einem Fall aus dem Jahr 2020 entschieden, in dem es um die Frage ging, ob bereits bewilligter Urlaub, der zeitlich mit einer nachträglich angeordneten Quarantäne zusammenfällt, dem Urlaubskonto grundsätzlich wieder gutgeschrieben werden muss, wenn es keine anderslautende gesetzliche Regelung gibt. Dabei war die Neuregelung des Infektionsschutzgesetzes noch nicht anwendbar.
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Grundsätzliches
Keine Urlaubsanrechnung im Krankheitsfall
Nach § 9 Bundesurlaubsgesetz werden Tage der Arbeitsunfähigkeit von Arbeitnehmern auf den Jahresurlaub nicht angerechnet, wenn diese während des genehmigten Urlaubs auftritt und durch ärztliches Zeugnis nachgewiesenen wird. Wer also im Urlaub krank wird dies von einem Arzt attestieren lässt, verliert die krankheitsbedingt ausgefallenen Urlaubstage nicht, sondern bekommt sie nachgewährt. Dafür muss aber ein neuer Urlaubsantrag gestellt werden. Die ausgefallenen Urlaubstage dürfen nicht selbständig an den genehmigten Urlaub angehängt werden.
Auch Maßnahmen der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation werden gemäß § 10 BUrlG nicht auf den Jahresurlaub angerechnet, sofern ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall besteht.
(Mehr zum Urlaubsanspruch können Sie hier lesen.)
Art. 7 Richtlinie 2003/88/EG
Jahresurlaub
(1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung erhält, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind.
(2) Der bezahlte Mindestjahresurlaub darf außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden.
Art. 31 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EUGrdRCh in der Fassung von 2016)
Gerechte und angemessene Arbeitsbedingungen
(2) Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat das Recht auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit, auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten sowie auf bezahlten Jahresurlaub.
§ 59 Infektionsschutzgesetz
(1) Wird ein Beschäftigter während seines Urlaubs nach § 30, auch in Verbindung mit § 32, abgesondert oder hat er sich auf Grund einer nach § 36 Absatz 8 Satz 1 Nummer 1 erlassenen Rechtsverordnung abzusondern, so werden die Tage der Absonderung nicht auf den Jahresurlaub angerechnet.
Zum Fall
Der Sachverhalt
Der Kläger ist seit 1993 bei der Beklagten als Schlosser beschäftigt. Auf seinen Antrag bewilligte ihm die Beklagte im Oktober 2020 acht Tage Erholungsurlaub. Per Bescheid ordnete die zuständige Behörde später die Absonderung des Klägers in häusliche Quarantäne für einen bestimmten Zeitraum an, weil er zu einer mit dem Coronavirus SARS‐CoV‑2 infizierten Person Kontakt hatte. Der Kläger selbst war aber nicht erkrankt. Die Zeiten des Urlaubs und der Quarantäne überschnitten sich zufällig. Für die Zeit der Quarantäne war es dem Kläger untersagt, seine Wohnung ohne ausdrückliche Zustimmung des Gesundheitsamts zu verlassen. Auch Besuch von haushaltsfremden Personen durfte er nicht empfangen. Die Beklagte rechnete die gewährten Urlaubstage auf das Urlaubskonto des Klägers an.
Der Kläger war aber der Ansicht, dass die Quarantänesituation mit einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit vergleichbar sei und ihm die während der Quarantäne angerechneten Urlaubstage nachgewährt werden müssten. Er reichte Klage ein. Das Arbeitsgericht Hagen (2 Ca 2784/20) wies seine Klage ab, das Landesarbeitsgericht Hamm (5 Sa 1030/21) gab ihr statt.
Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes
Das Bundesarbeitsgericht wies die Revision dagegen zurück.
§ 59 IfSG noch nicht anwendbar
Das Bundesarbeitsgericht berücksichtigte zwar, dass es für diese Konstellation mittlerweile mit § 59 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz eine gesetzliche Regelung gibt, nach der die Tage der Absonderung nicht mehr auf den Jahresurlaub angerechnet werden. Diese Regelung trat aber erst am 17.09.2022 und damit nach dem streitgegenständlichen Zeitraum in Kraft, weshalb sie für diesen Fall nicht anwendbar war.
Frage an den EuGH
Daher kam es für das Bundesarbeitsgericht entscheidend darauf an, ob es mit dem EU‐Recht (Art. 7 RL 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union) zu vereinbaren ist, dass nach – zum Zeitpunkt des Streits geltender – innerstaatlicher Regelung oder Praxis vom Arbeitnehmer beantragter und vom Arbeitgeber bewilligter bezahlter Jahresurlaub, der sich zeitlich mit einer später angeordneten häuslichen Quarantäne überschneidet, nicht nachzugewähren ist.
Das Bundesarbeitsgericht legte diese Frage dem EuGH vor, zog die Frage allerdings wieder zurück. Denn der EuGH hatte inzwischen in einem sehr ähnlich gelagerten Fall (EuGH, Urt. v. 14.12.2023, Az. C‑206/22 Sparkasse Südpfalz) parallel entschieden, dass Arbeitgeber die Gewährung von Urlaub schuldeten, aber keinen Urlaubserfolg. Faktoren, die den Urlaub stören, lägen im Risikobereich der Arbeitnehmer.
Quarantänezeit ist nicht gleich Krankheit
Eine Quarantänezeit sei anders zu bewerten als eine Krankheit. Ein unter Quarantäne stehender Arbeitnehmer sei in einer anderen Lage als ein Arbeitnehmer im „Krankheitsurlaub“, der unter durch eine Erkrankung hervorgerufenen physischen oder psychischen Beschwerden leidet. Während des Urlaubs solle man sich von der Arbeit erholen und einen Zeitraum der Entspannung und Freizeit haben. Der Verwirklichung dieses Erholungszweckes stehe ein Quarantänezeitraum nicht entgegen. Zwar dürfe der Arbeitgeber während des Urlaubs nicht in das freie und unterbrechungslose Nachgehen der Interessen der Arbeitnehmer durch Verpflichtungen eingreifen. Etwaige Nachteile durch ein unvorhergesehenes Ereignis seien aber nicht vom Arbeitgeber auszugleichen.
Das BAG folgte der Entscheidung des EuGH und sah es für den streitgegenständlichen Zeitraum als mit dem EU‐Recht vereinbar, Urlaub bei Überschneidung mit nachträglich angeordneter Quarantäne nicht nachzugewähren.
[Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 28.05.2024 – 9 AZR 76/22 –]
Fazit:
Der Arbeitnehmer hatte im vorliegenden Fall besonderes Pech. Zum einen, weil er einer Quarantäne unterworfen wurde, was an sich schon eine einschneidende und für viele Menschen belastende Maßnahme darstellt. Zum anderen konnte er seinen beantragten Urlaub mutmaßlich nicht so verbringen wie er wollte. Dennoch musste er die Urlaubstage dafür aufwenden. Der Gesetzgeber hat dieser Problematik mit der Änderung des Infektionsschutzgesetzes in § 59 IfSG dadurch Rechnung getragen, dass eine behördliche Absonderung durch Quarantäne gerade nicht mehr auf den Jahresurlaub angerechnet werden soll. Für den Arbeitnehmer im vorliegenden Fall kam die Regelung allerdings zu spät, da sie nicht rückwirkend gilt. Allerdings wird die Regelung für Fälle nach ihrem Inkrafttreten relevant sein.