Zählen Urlaubstage in Quarantäne als Urlaub?

Zählen Urlaubstage in Quarantäne als Urlaub?

26. July 2024 Quarantäne Urlaub 0

Das Bundes­ar­beits­ge­richt hat kürzlich in einem Fall aus dem Jahr 2020 entschieden, in dem es um die Frage ging,  ob bereits bewil­ligter Urlaub, der zeitlich mit  einer nachträglich angeord­neten Quarantäne zusam­men­fällt, dem Urlaubs­konto grund­sätzlich wieder gutge­schrieben werden muss, wenn es keine anders­lau­tende gesetz­liche Regelung gibt. Dabei war die Neure­gelung des Infek­ti­ons­schutz­ge­setzes noch nicht anwendbar.

[Bundes­ar­beits­ge­richt, Urteil vom 28.05.2024 – 9 AZR 76/22 –]
 

Grundsätzliches

 

Keine Urlaubsanrechnung im Krankheitsfall

Nach § 9 Bundes­ur­laubs­gesetz werden Tage der Arbeits­un­fä­higkeit von Arbeit­nehmern auf den Jahres­urlaub nicht angerechnet, wenn diese während des geneh­migten Urlaubs auftritt und durch ärztliches Zeugnis nachge­wie­senen wird. Wer also im Urlaub krank wird dies von einem Arzt attes­tieren lässt, verliert die krank­heits­be­dingt ausge­fal­lenen Urlaubstage nicht, sondern bekommt sie nachge­währt. Dafür muss aber ein neuer Urlaubs­antrag gestellt werden. Die ausge­fal­lenen Urlaubstage dürfen nicht selbständig an den geneh­migten Urlaub angehängt werden.

Auch Maßnahmen der medizi­ni­schen Vorsorge oder Rehabi­li­tation werden gemäß § 10 BUrlG nicht auf den Jahres­urlaub angerechnet, sofern ein Anspruch auf Entgelt­fort­zahlung im Krank­heitsfall besteht.

(Mehr zum Urlaubs­an­spruch können Sie hier lesen.)

 

Art. 7 Richtlinie 2003/88/EG

Jahres­urlaub

(1) Die Mitglied­staaten treffen die erfor­der­lichen Maßnahmen, damit jeder Arbeit­nehmer einen bezahlten Mindest­jah­res­urlaub von vier Wochen nach Maßgabe der Bedin­gungen für die Inanspruch­nahme und die Gewährung erhält, die in den einzel­staat­lichen Rechts­vor­schriften und/oder nach den einzel­staat­lichen Gepflo­gen­heiten vorge­sehen sind.

(2) Der bezahlte Mindest­jah­res­urlaub darf außer bei Beendigung des Arbeits­ver­hält­nisses nicht durch eine finan­zielle Vergütung ersetzt werden.

 

Art. 31 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EUGrdRCh in der Fassung von 2016)

Gerechte und angemessene Arbeitsbedingungen

(2)   Jede Arbeit­neh­merin und jeder Arbeit­nehmer hat das Recht auf eine Begrenzung der Höchst­ar­beitszeit, auf tägliche und wöchent­liche Ruhezeiten sowie auf bezahlten Jahresurlaub.

 

§ 59 Infektionsschutzgesetz

(1) Wird ein Beschäf­tigter während seines Urlaubs nach § 30, auch in Verbindung mit § 32, abgesondert oder hat er sich auf Grund einer nach § 36 Absatz 8 Satz 1 Nummer 1 erlas­senen Rechts­ver­ordnung abzusondern, so werden die Tage der Abson­derung nicht auf den Jahres­urlaub angerechnet.

 

Zum Fall

 

Der Sachverhalt

Der Kläger ist seit 1993 bei der Beklagten als Schlosser beschäftigt. Auf seinen Antrag bewil­ligte ihm die Beklagte im Oktober 2020 acht Tage Erholungs­urlaub. Per Bescheid ordnete die zuständige Behörde später die Abson­derung des Klägers in häusliche Quarantäne für einen  bestimmten Zeitraum an, weil er zu einer mit dem Corona­virus SARS‐CoV‑2 infizierten Person Kontakt hatte. Der Kläger selbst war aber nicht erkrankt. Die Zeiten des Urlaubs und der Quarantäne überschnitten sich zufällig. Für die Zeit der Quarantäne war es dem Kläger untersagt, seine Wohnung ohne ausdrück­liche Zustimmung des Gesund­heitsamts zu verlassen. Auch Besuch von haushalts­fremden Personen durfte er nicht empfangen. Die Beklagte rechnete die gewährten Urlaubstage auf das Urlaubs­konto des Klägers an.

Der Kläger war aber der Ansicht, dass die Quaran­tä­ne­si­tuation mit einer krank­heits­be­dingten Arbeits­un­fä­higkeit vergleichbar sei und ihm die während der Quarantäne angerech­neten Urlaubstage nachge­währt werden müssten. Er reichte Klage ein. Das Arbeits­ge­richt Hagen (2 Ca 2784/20) wies seine Klage ab, das Landes­ar­beits­ge­richt Hamm (5 Sa 1030/21) gab ihr statt.

 

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes

Das Bundes­ar­beits­ge­richt wies die Revision dagegen zurück.

 

§ 59 IfSG noch nicht anwendbar

Das Bundes­ar­beits­ge­richt berück­sich­tigte zwar, dass es für diese Konstel­lation mittler­weile mit § 59 Abs. 1 Infek­ti­ons­schutz­gesetz eine gesetz­liche Regelung gibt, nach der die Tage der Abson­derung nicht mehr auf den Jahres­urlaub angerechnet werden. Diese Regelung trat aber erst am 17.09.2022 und damit nach dem streit­ge­gen­ständ­lichen Zeitraum in Kraft, weshalb sie für diesen Fall nicht anwendbar war.

 

Frage an den EuGH

Daher kam es für das Bundes­ar­beits­ge­richt entscheidend darauf an, ob es mit dem EU‐Recht (Art. 7 RL 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grund­rechte der Europäi­schen Union) zu verein­baren ist, dass nach – zum Zeitpunkt des Streits geltender – inner­staat­licher Regelung oder Praxis vom Arbeit­nehmer beantragter und vom Arbeit­geber bewil­ligter bezahlter Jahres­urlaub, der sich zeitlich mit einer später angeord­neten häuslichen Quarantäne überschneidet, nicht nachzu­ge­währen ist.

Das  Bundes­ar­beits­ge­richt legte diese Frage dem EuGH vor, zog die Frage aller­dings wieder zurück. Denn der EuGH hatte inzwi­schen in einem sehr ähnlich gelagerten Fall (EuGH, Urt. v. 14.12.2023, Az. C‑206/22 Sparkasse Südpfalz) parallel entschieden, dass Arbeit­geber die Gewährung von Urlaub schul­deten, aber keinen Urlaubs­erfolg. Faktoren, die den Urlaub stören, lägen im Risiko­be­reich der Arbeitnehmer.

 

Quarantänezeit ist nicht gleich Krankheit

Eine Quaran­tä­nezeit sei anders zu bewerten als eine Krankheit. Ein unter Quarantäne stehender Arbeit­nehmer sei in einer anderen Lage als ein Arbeit­nehmer im „Krank­heits­urlaub“, der unter durch eine Erkrankung hervor­ge­ru­fenen physi­schen oder psychi­schen Beschwerden leidet. Während des Urlaubs solle man sich von der Arbeit erholen und einen Zeitraum der Entspannung und Freizeit haben. Der  Verwirk­li­chung dieses Erholungs­zweckes stehe ein Quaran­tä­ne­zeitraum nicht entgegen. Zwar dürfe der Arbeit­geber während des Urlaubs nicht in das freie und unter­bre­chungslose Nachgehen der Inter­essen der Arbeit­nehmer durch Verpflich­tungen eingreifen.  Etwaige Nachteile durch ein unvor­her­ge­se­henes Ereignis seien aber nicht vom Arbeit­geber auszugleichen.

Das BAG folgte der Entscheidung des EuGH und sah es für den streit­ge­gen­ständ­lichen Zeitraum als mit dem EU‐Recht vereinbar, Urlaub bei Überschneidung mit nachträglich angeord­neter Quarantäne nicht nachzugewähren.

[Bundes­ar­beits­ge­richt, Urteil vom 28.05.2024 – 9 AZR 76/22 –]

 

Fazit:

Der Arbeit­nehmer hatte im vorlie­genden Fall beson­deres Pech. Zum einen, weil er einer Quarantäne unter­worfen wurde, was an sich schon eine einschnei­dende und für viele Menschen belas­tende Maßnahme darstellt. Zum anderen konnte er seinen beantragten Urlaub mutmaßlich nicht so verbringen wie er wollte. Dennoch musste er die Urlaubstage dafür aufwenden. Der Gesetz­geber hat dieser Proble­matik mit der Änderung des Infek­ti­ons­schutz­ge­setzes in § 59 IfSG dadurch Rechnung getragen, dass eine behörd­liche Abson­derung durch Quarantäne gerade nicht mehr auf den Jahres­urlaub angerechnet werden soll. Für den Arbeit­nehmer im vorlie­genden Fall kam die Regelung aller­dings zu spät, da sie nicht rückwirkend gilt. Aller­dings wird die Regelung für Fälle nach ihrem Inkraft­treten relevant sein.

 

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