Annahmeverzugslohn kann ohne ernsthafte Bewerbungsbemühungen wegfallen
Warum der Annahmeverzugslohn entfallen kann, wenn der Arbeitnehmer sich nicht sorgfältig bewirbt.
In einem schon etwas älteren Urteil hat das Landesarbeitsgericht Berlin‐Brandenburg entschieden, dass der Anspruch auf Annahmeverzugslohn bei unwirksamen Kündigungen zwar besteht, jedoch auf 0 reduziert werden kann, wenn der Arbeitnehmer es während einen Kündigungsschutzprozesses böswillig unterlässt, sich ernsthaft um einen Zwischenverdienst zu bemühen.
Der Arbeitnehmer dürfe nicht untätig bleiben, wenn sich ihm eine realistische Arbeitsmöglichkeit biete. Dies könne die Abgabe von eigenen Angeboten mit einschließen. Trage der Arbeitgeber Indizien für böswilliges Unterlassen einer Zwischenbeschäftigung vor, obliege es im Wege abgestufter Darlegungs‐ und Beweislast dem Arbeitnehmer, diesen Indizien entgegenzutreten und darzulegen, weshalb es nicht zu einem Vertragsschluss gekommen ist beziehungsweise ein solcher unzumutbar war.
Annahmeverzug
Grundsätzlich schuldet der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nur dann Vergütung, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung erbracht hat. Wenn der Arbeitgeber die angebotene Arbeitsleistung aber unberechtigter Weise nicht annimmt, gerät er nach § 615 BGB in den sogenannten Annahmeverzug. Das bedeutet, der Arbeitnehmer kann die vereinbarte Vergütung als Annahmeverzugslohn verlangen, auch wenn er seine Arbeitsleistung nicht tatsächlich erbracht hat. Im Falle einer unrechtmäßigen Kündigung gerät der Arbeitgeber regelmäßig in Annahmeverzug. Nach einer unwirksamen Arbeitgeberkündigung bedarf es zur Begründung des Annahmeverzugs eines Angebots des Arbeitnehmers nicht.
Das bedeutet, einfach ausgedrückt, stellt sich die Kündigung im Nachhinein als unwirksam heraus, besteht das Arbeitsverhältnis fort und der Arbeitgeber muss den Lohn nachzahlen.
(Mehr zum Annahmeverzug des Arbeitgebers können Sie hier lesen.)
böswilliges Unterlassen
Der Arbeitnehmer ist während des Kündigungsschutzprozesses verpflichtet, sich anderweitig um Arbeit zu bemühen. Nach § 11 Nr. 2 des Kündigungsschutzgesetzes wird erzielter Zwischenverdienst sowie der Verdienst, der fiktiv hätte erreicht werden können, wenn der Arbeitnehmer es nicht böswillig unterlassen hätte, eine Arbeitsmöglichkeit als Zwischenerwerb anzunehmen, auf den Annahmeverzugslohn angerechnet. Der Arbeitgeber muss dann also weniger Annahmeverzugslohn zahlen. Der Annahmeverzugslohn kann auch der Höhe nach auf 0 gekürzt werden, so dass gar kein Annahmeverzugslohn gezahlt wird.
Das Bundesarbeitsgericht entschied dazu:
Ein Arbeitnehmer unterlässt böswillig im Sinne des § 11 Nr. 2 KSchG anderweitigen Verdienst, wenn ihm ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er während des Annahmeverzugs trotz Kenntnis aller objektiven Umstände vorsätzlich untätig bleibt und eine ihm nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB unter Beachtung des Grundrechts auf freie Arbeitsplatzwahl nach Art. 12 GG zumutbare anderweitige Arbeit nicht aufnimmt oder die Aufnahme der Arbeit bewusst verhindert. Maßgebend sind dabei die gesamten Umstände des Einzelfalls. […] Erforderlich für die Beurteilung der Böswilligkeit ist stets eine unter Bewertung aller Umstände des konkreten Falls vorzunehmende Gesamtabwägung der beiderseitigen Interessen.
(BAG, Urteil vom 12.10.2022 – 5 AZR 30/22)
Auskunftsanspruch
Will der Arbeitgeber gegen den Annahmeverzugslohnanspruch das böswillige Unterlassen des Arbeitnehmers einwenden, muss er diesem nachweisen, dass Stellenangebote mit zumutbarer Arbeit bekannt waren und es unterlassen wurde, sich darauf ernsthaft zu bewerben. Damit der Arbeitgeber die Chance hat, dieses beweisen zu können, trifft den Arbeitnehmer laut Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes eine „sekundäre Beweislast“.
Der Arbeitgeber kann daher vom Arbeitnehmer schriftliche Auskunft über die unterbreiteten Vermittlungsvorschläge unter Nennung von Tätigkeit, Arbeitszeit, Arbeitsort und Vergütung verlangen.
(BAG, Urteil vom 27. Mai 2020 – 5 AZR 387/19 –)
Der Arbeitnehmer muss dem Arbeitgeber bei entsprechender Aufforderung zumindest Auskunft über die Vermittlungsvorschläge der Bundesagentur für Arbeit bzw. des Jobcenters erteilen und sich dann gegebenenfalls auch dazu erklären, wie er mit objektiv geeigneten Stellenangeboten verfahren ist.
Zum Fall:
Der Kläger war bei der Beklagten als Sachbearbeiter bei einer Versicherung beschäftigt. Die Arbeitgeberin kündigte den Arbeitsvertrag mehrfach. Dagegen wehrte sich der Arbeitnehmer mittels Kündigungsschutzklagen, denen stattgegeben wurde. Die Kündigungen waren rechtswidrig. Der Kündigungsschutzprozess dauerte 4 Jahre. Im Anschluss erhob der Arbeitnehmer erneut Klage und machte Annahmeverzug für die Zeit ab Ende der Kündigungsfrist bis zur Entscheidung über die Rechtswidrigkeit der Kündigungen geltend.
Die Arbeitgeberin verlangte vom klagenden Arbeitnehmer Auskunft über dessen Bewerbungsbemühungen. Der Arbeitnehmer übermittelte sodann auch seine Bewerbungsschreiben auf drei der 23 übermittelten Vermittlungsvorschläge von Arbeitsagentur und Jobcenter sowie seine eigenen Bewerbungsbemühungen. Er behauptete zudem, er habe sich auf 104 weitere Stellenofferten beworben. Die Arbeitgeberin sah diese Bewerbungsbemühungen als unzureichend an und hielt dem Arbeitnehmer entgegen, er habe es böswillig unterlassen, sich während der Zeit des Kündigungsschutzprozesses um zumutbare Arbeit als Zwischenverdienst zu bemühen. Daher müsse er sich nach § 11 Nr. 2 Kündigungsschutzgesetz auf den Annahmeverzugslohn anrechnen lassen, was er bei einer hypothetischen, anderweitigen Beschäftigung hätte verdienen können.
Die Entscheidung
Das sah das Landesarbeitsgericht ebenso. Zwar stehe dem Arbeitnehmer grundsätzlich Annahmeverzugslohn aufgrund der unwirksamen Kündigungen zu. Die Arbeitgeberin habe jedoch ausreichend Indizien böswilligen Unterlassens anderweitigen Erwerbs seitens des Arbeitnehmers dargelegt. Diese Indizien habe der Arbeitnehmer nicht entkräften können.
Da der Arbeitnehmer nur unzureichende Bewerbungsbemühungen angestellt habe, sei der Annahmeverzuglohnsanspruch der Höhe nach auf 0 zu reduzieren. Dies sei hier der Fall, da der Kläger zu wenige und zudem unzureichende Bewerbungen gefertigt habe, obwohl ihm die Agentur für Arbeit und das Jobcenter eine Reihe von Jobangeboten zugesandt haben.
Insbesondere die Anzahl der Bewerbungsbemühungen von 103 Bewerbungen in 29 Monaten, was rechnerisch nicht einmal einer Bewerbung pro Woche entspräche, aber auch die Form der Bewerbungen beanstandete das Landesarbeitsgericht. Da der Kläger ohne Arbeit gewesen sei, hätte er im zeitlichen Umfang einer Vollzeitstelle Bewerbungsbemühungen entfalten können und müssen. Dies habe er unterlassen. Zudem spräche die mindere Qualität seiner nicht sorgfältig geführten Bewerbungen als Indiz gegen ihn und für eine böswillige Unterlassung der Annahme einer zumutbaren Arbeit.
Insbesondere bemängelte das Landesarbeitsgericht, der Kläger sei mehrfach telefonisch nicht erreichbar gewesen und habe teilweise ein falsches Format für übersandten Bewerbungsunterlagen benutzt. Seinen eingereichten Bewerbungsmails lasse sich zudem weder ein Stellenkennzeichen, eine schlagwortartige Bezeichnung der Stelle, auf die er sich beworben habe oder ein sonstiger Betreff entnehmen. Die Anrede in den Schreiben sei nicht individualisiert. Inhaltlich seien die Bewerbungen nicht an die zu besetzende Stelle und den potentiellen Arbeitgeber angepasst. Sie wiesen zudem im recht kurzen Text Fehler auf.
Das Landesarbeitsgericht ließ die Frage offen, ob sich der Auskunftsanspruch des Arbeitgebers auch auf eigene Bewerbungsbemühungen des Arbeitnehmers erstreckt.
Die Revision wurde nicht zugelassen.
Fazit:
Das Urteil verdeutlicht noch einmal, dass ein von einer Kündigung betroffener Arbeitnehmer, sich ernsthaft um einen Zwischenerwerb bemühen muss, da sonst Ansprüche aus Annahmeverzug des Arbeitgebers ins Leere laufen würden. Arbeitnehmer können während des Kündigungsschutzprozesses nicht untätig bleiben oder bei der Suche nach einem Zwischenerwerb nachlässig werden.
Zu beachten ist aber, dass Gerichte böswilliges Unterlassen immer anhand des Einzelfalls bewerten werden und das Landesarbeitsgericht im vorliegenden Fall wegen der sehr unzureichenden Art der vorliegenden Bewerbungsbemühungen im Rahmen einer Gesamtwürdigung der Umstände so entschieden hat. Zwar wird die Qualität und Anzahl der Bewerbungen bewertet werden, sofern diese vorgelegt werden. Absolute Mindestzahlen und Anforderungen an Bewerbungen gibt das Urteil nicht unbedingt vor. Es kann durchaus sein, dass andere Richter nicht ganz so hohe Anforderungen an die Bewerbungsbemühungen stellen. Es kommt jedes Mal auf die konkrete Situation und den Gesamteindruck an.
Dennoch wird die Verhandlungsposition der Arbeitgeberseite grundsätzlich gestärkt. Arbeitgeber sind sich nunmehr weiterer Möglichkeiten, Annahmeverzugsforderungen abzuwehren, bewusst. Das dürfte sich auf Risikoabwägungen der Arbeitgeber bezüglich einer möglichen Gehaltsnachzahlung im Falle einer rechtsunwirksamen Kündigung auswirken und die Bereitschaft, einen Vergleich über eine Abfindungszahlung abzuschließen, verringern.
Für die Durchsetzung von Annahmeverzugsansprüchen und Vergleichsverhandlungen über eine Abfindung bedeutet dies, dass die Mitarbeit des Arbeitnehmers in Form gewissenhafter Bewerbungsbemühungen unerlässlich ist. Durch den Nachweis gewissenhafter Bewerbungsbemühungen, wird dem Arbeitgeber verdeutlicht, dass er nicht davon ausgehen kann, keinen Annahmeverzugslohn leisten zu müssen.