Keine Entgeltfortzahlung bei Fortsetzungserkrankung

Keine Entgeltfortzahlung bei Fortsetzungserkrankung

1. Dezember 2023 Entgeltfortzahlung 0

Wird ein Arbeit­nehmer, der für die Dauer von sechs Wochen Entgelt­fort­zahlung erhalten hat infolge derselben Krankheit erneut arbeits­un­fähig, verliert er den Anspruch auf Entgelt­fort­zahlung. Behauptet der Arbeit­nehmer, dass die neue Erkrankung keine Folge­er­krankung ist, gilt eine abgestufte Darle­gungslast. Bestreitet der Arbeit­geber, dass eine neue Erkrankung vorliegt, muss der Arbeit­nehmer Tatsachen vortragen, die den Schluss erlauben, dass keine Fortset­zungs­er­krankung vorliegt. Der Verweis des Arbeit­nehmers auf den Diagno­se­schlüssel der jewei­ligen Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­nigung reicht nicht aus, eine Fortset­zungs­er­krankung auszu­schließen. Gegebe­nen­falls muss ein Arbeit­nehmer zur weiteren Aufklärung die behan­delnden Ärzte von der Schwei­ge­pflicht entbinden.

In diesem Sinne hat das Bundes­ar­beits­ge­richt mit Urteil vom 18.1.23 entschieden.

(BAG, Urteil vom 18.1.23, 5 AZR 93/22 –)
 

Grundsätzliches

 

Entgeltfortzahlung

Gemäß § 3 Entgelt­fort­zah­lungs­gesetz (EFZG) hat ein Arbeit­nehmer nach vierwö­chiger ununter­bro­chener Dauer des Arbeits­ver­hält­nisses einen Anspruch auf Entgelt­fort­zahlung bis zur Dauer von 6 Wochen, wenn er infolge einer Krankheit an seiner Arbeits­leistung gehindert ist. Wird er infolge derselben Krankheit erneut arbeits­un­fähig, verliert er diesen Anspruch, es sei denn,

  • zwischen den Zeiten der Arbeits­un­fä­hig­keiten liegen mindestens 6 Monate
  • oder seit Beginn der ersten Arbeits­un­fä­higkeit sind mindestens 12 Monate vergangen.
 

Fortsetzungserkrankung

Eine Fortset­zungs­er­krankung liegt vor, wenn dieselbe Krankheit Ursache für die erneute Arbeits­un­fä­higkeit ist. Dies kann der Fall sein, wenn ein identi­sches Krank­heitsbildbesteht oder auch wenn die Krank­heits­sym­ptome auf demselben Grund­leiden beruhen, welches nicht ausge­heilt ist und dadurch latent weiterbesteht.

 

Abgestufte Beweislast

Ist der Arbeit­nehmer länger als sechs Wochen arbeits­un­fähig erkrankt, muss er darlegen, dass keine Fortset­zungs­er­krankung vorliegt. Soweit dies nicht aus der Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­nigung hervorgeht, muss beispiels­weise eine ärztliche Beschei­nigung vorgelegt werden, dass keine Fortset­zungs­er­krankung vorliegt. (Mehr zum Beweiswert einer Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­nigung können Sie hier lesen.)

Bestreitet der Arbeit­geber das Vorliegen einer neuen Krankheit, obliegt es wiederum dem Arbeit­nehmer Tatsachen darzu­legen, die den Schluss erlauben, es habe keine Fortset­zungs­er­krankung vorge­legen. Inhaltlich muss genau dargelegt werden, welche Beschwerden und Einschrän­kungen zu welchem Zeitpunkt bestanden haben. Diese Erläu­te­rungen müssen sich genau auf den maßgeb­lichen Vorzeitraum beziehen. Ist dies erfolgt, muss der Arbeit­geber den Gegen­beweis führen.

 

Zum Fall

 

Der Sachverhalt

Ein Arbeit­nehmer arbeitete seit Januar 2012 bei einem Unter­nehmen für Boden­dienst­leis­tungen am Flughafen in der Gepäck­ab­fer­tigung. Er war ab dem August 2019 an 68 Kalen­der­tagen und im Jahr 2020 bis August 2020 an 42 Kalen­der­tagen arbeits­un­fähig erkrankt.

Seine Arbeit­ge­berin leistete bis zum 18. August 2020 Entgelt­fort­zahlung nach § 3 Abs. 1 EFZG.

Der Arbeit­nehmer wollte aber auch für 10 weitere Arbeitstage (71,2 Stunden) Entgelt­fort­zahlung haben und klagte vor dem Arbeits­ge­richt Frankfurt.

Er legte mehrere Erstbe­schei­ni­gungen vor und trug vor, welche ICD‐10Codes mit welchen korre­spon­die­renden Diagnosen oder Symptomen in den Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­ni­gungen aufge­führt gewesen seien. Zu  etwaigen Vorer­kran­kungen machte er Angaben zu Arbeits­un­fä­hig­keits­zeiten, die nach seiner Einschätzung auf den selben Diagnosen oder Symptomen beruhten.

 

Schließen Erstbescheinigungen Fortsetzungserkrankung aus?

Der Arbeit­nehmer war der Ansicht, dass er aus Daten­schutz­gründen nicht verpflichtet werden könne, sämtliche Erkran­kungen aus der davor­lie­genden Zeit offen­zu­legen. Da er für den streit­ge­gen­ständ­lichen Zeitraum Erstbe­schei­ni­gungen vorgelegt habe, sei daraus zu ersehen, dass Vorer­kran­kungen nicht vorge­legen hätten. Er müsse sich nicht zu vorher­ge­henden Atemwegs­er­kran­kungen äußern, weil nicht „dieselbe Erkrankung“ im Sinne des § 3 Abs. 1 EZFG vorliegen könne. [Die Symptome der Erkrankung des streit­ge­gen­ständ­lichen Zeitraumes waren anders. (Anmerkung des Verfassers)]. Insofern sei für keine der Erkran­kungen aus dem streit­ge­gen­ständ­lichen Zeitraum der Sechs‐Wochen‐Zeitraum des EZFG ausgeschöpft.

Das sah seine Arbeit­ge­berin anders. Für den streit­ge­gen­ständ­lichen Zeitraum hätten anrechenbare Vorer­kran­kungen vorge­legen, die eine Verpflichtung zur weiterer Entgelt­fort­zahlung ausschlössen. Der Kläger leide an einem chroni­schen Defizit der körper­ei­genen Abwehr­kräfte leide, was dazu führe, dass er immer wieder an Infek­tionen der oberen Atemwege bzw. an Erkäl­tungs­schnupfen leide. Dieses Krank­heitsbild führe auch zu anderen körper­lichen Beeinträchtigungen.

 

Verfahrensgang

Das Arbeits­ge­richt Frankfurt (9. Juni 2021, 14 Ca 9427/20) gab dem Kläger recht, das  Hessische Landes­ar­beits­ge­richt (Urteil vom 14. Januar 2022 – 10 Sa 898/21 –) gab dagegen der Berufung der Beklagten statt, änderte das Urteil des Arbeits­ge­richts und wies die Klage ab. die Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­nigung sei nicht ausrei­chend, weil sie keine Angaben zum Bestehen einer Fortset­zungs­er­krankung enthalte. Der Arbeit­nehmer müsse deshalb darlegen, dass keine Fortset­zungs­er­krankung vorliege.

 

Die Entscheidung

Das Bundes­ar­beits­ge­richt wies die dagegen einge­legte Revision als erfolglos zurück.

 

keine Entgeltfortzahlung bei Fortsetzungserkrankung

Der klagende Arbeit­nehmer habe keinen Anspruch auf weitere Entgelt­fort­zahlung im Krank­heitsfall. Denn wenn ein Arbeit­nehmer infolge derselben Krankheit erneut arbeits­un­fähig werde, verliere er wegen der erneuten Arbeits­un­fä­higkeit den Entgelt­fort­zah­lungs­an­spruch für einen weiteren Zeitraum von höchstens sechs Wochen nur dann nicht, wenn er vor der erneuten Arbeits­un­fä­higkeit mindestens sechs Monate nicht infolge derselben Krankheit arbeits­un­fähig gewesen sei oder seit Beginn der ersten Arbeits­un­fä­higkeit infolge derselben Krankheit eine Frist von zwölf Monaten abgelaufen sei.

 

Abgestufte Beweislast in Frage der Fortsetzungserkrankung

Wenn der Arbeit­nehmer länger als sechs Wochen arbeits­un­fähig sei, gelte eine abgestufte Darlegungs‐ und Beweislast. Zunächst müsse der Arbeit­nehmer beweisen, dass keine Fortset­zungs­er­krankung bestehe, beispiels­weise durch Vorlage einer ärztlichen Beschei­nigung. Wenn der Arbeit­geber bestreitet, dass eine neue Erkrankung vorliege, müsse der Arbeit­nehmer Tatsachen vortragen, die den Schluss erlauben, dass keine Fortset­zungs­er­krankung vorliege.

Dazu müsse er die behan­delnden Ärzte von der Schwei­ge­pflicht entbinden. Denn erst ausgehend von diesem Vortrag sei regel­mäßig dem Arbeit­geber substan­ti­ierter Sachvortrag möglich. Auf das Bestreiten des Arbeit­gebers genüge die bloße Vorlage einer ärztlichen Beschei­nigung nicht mehr. Auch als Erstbe­schei­nigung könne eine ärztliche Beschei­nigung eine Fortset­zungs­er­krankung nicht ausschließen.

 

Offenlegung der Gesundheitsdaten zur Überprüfung ob eine Fortsetzungserkrankung vorliegt verhältnismäßig

Die Offen­legung der Gesund­heits­daten sei ein Eingriff in das Recht auf infor­ma­tio­nelle Selbst­be­stimmung aus Art. 2 Abs.1 in Verbindung mit Art.1 Abs.1 GG. Dieser sei aber verhält­nis­mäßig und damit gerecht­fertigt, da der legitime Zweck einer materiell richtigen Entscheidung verfolgt werde. Denn nur wenn die der Arbeits­un­fä­higkeit zugrun­de­lie­genden Beschwerden offen­gelegt seien, könne überprüft werden, ob der Arbeit­nehmer an einer Fortset­zungs­er­krankung gelitten habe. Nur auf diese Art und Weise könne effek­tiver Rechts­schutz gewährt werden und das recht­liche Gehör der Gegen­seite gesichert werden.

Diese Verteilung der Darlegungs‐ und Beweislast zum Nachweis einer Fortset­zungs­er­krankung sei auch vereinbar mit dem EU‐Recht.

Die Einschätzung einer Kranken­kasse nach § 69 Abs. 4 SGB X über das Nicht­vor­liegen einer Fortset­zungs­er­krankung ermög­liche keine genügende Kontrolle, weswegen Arbeits­ge­richte und Arbeit­geber nicht an diese gebunden seien. 

 

keine geheimen Verfahren

Eine einge­schränkte Offen­legung der Ursachen der krank­heits­be­dingten Arbeits­un­fä­hig­keits­zeiten das Vorliegen einer Fortset­zungs­er­krankung nur gegenüber dem Gericht oder Sachver­stän­digen scheide aus, da derart „geheime Verfahren“ gegen das Rechts­staats­prinzip verstießen. Es bestünde zudem auch die Möglichkeit, bei der Erörterung von Krank­heits­ur­sachen die Öffent­lichkeit auszuschließen.

 

konkreter, substantiierter Vortrag, ob Fortsetzungserkrankung vorliegt, notwendig 

Im vorlie­genden Fall habe der klagende Arbeit­nehmer nicht substan­tiiert genug vorge­tragen. Ein bloßer Verweis auf den Diagno­se­schlüssel nach der ICD‐10 Klassi­fi­kation der jewei­ligen Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­nigung reiche nicht aus. Ohne einen konkreten Vortrag dazu, welche gesund­heit­lichen Einschrän­kungen und Beschwerden bestanden hätten, ließe sich nicht beurteilen, ob eine Fortset­zungs­er­krankung in Betracht komme.

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