Der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff bei Geschäftsführern

Der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff bei Geschäftsführern

24. November 2023 Arbeitnehmereigenschaft Urlaub 0

Auch die Fremd­ge­schäfts­füh­rerin einer GmbH kann Arbeit­neh­merin im Sinne des Bundes­ur­laubs­ge­setzes sein. Sie hat dann einen Anspruch auf Urlaubs­ab­geltung. Der Anspruch als Fremd­ge­schäfts­füh­rerin einer GmbH ergibt sich unmit­telbar aus § 7 Abs 4 BUrlG. Dies folgt – unabhängig davon, ob die Klägerin nach natio­nalem Recht als Arbeit­neh­merin anzusehen ist – aus einer mit Art 7 EGRL 88/2003 konformen Auslegung der Vorschrift. Der unions­recht­liche Arbeit­neh­mer­be­griff ist maßgeblich, wenn – wie vorliegend mit Art. 7 der Richt­linie 2003/88/EG – eine unions­recht­liche Regelung angewandt und in natio­nales Recht richt­li­ni­en­konform umgesetzt oder ausgelegt werden muss.

Das hat das Bundes­ar­beits­ge­richt in einer kürzlich veröf­fent­lichten Entscheidung bestätigt.

(Bundes­ar­beits­ge­richt, Urteil vom 25.07.2023 – 9 AZR 43/22)
 

Die Grundlagen

 

Der Urlaubsanspruch

Nach § 1 BUrlG (Bundes­ur­laubs­gesetz) hat jeder Arbeit­nehmer pro Kalen­derjahr Anspruch auf bezahlten Erholungs­urlaub. Der Geltungs­be­reich des Bundes­ur­laubs­ge­setzes umfasst nach § 2 BUrlG Arbeiter und Angestellte sowie die zu ihrer Berufs­aus­bildung Beschäf­tigten. Als Arbeit­nehmer gelten zudem arbeit­neh­mer­ähn­liche Personen.

 

Abgeltung von Urlaub

Wenn es nicht mehr möglich ist, den Urlaub bis zur Beendigung des Arbeits­ver­hält­nisses zu nehmen bzw. der Arbeit­geber dies nicht angeordnet hat, und der Arbeit­nehmer nicht durch eine vertrag­liche Verein­barung auf seinen Urlaub verzichtet, ist der bei Ausscheiden aus dem Unter­nehmen noch bestehende Urlaub nach § 7 Abs. 4 BUrlG in Geld abzugelten. Die Höhe des auszu­zah­lenden Urlaubs­ent­gelts bemisst sich nach § 11 BUrlG.

(Näheres zum Verfall des Urlaubs­an­spruche und der Mitwir­kungs­pflicht des Arbeit­gebers können Sie hier lesen.)

 

Der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff

Als „Arbeit­nehmer“ ist daher jeder anzusehen, der eine tatsäch­liche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätig­keiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig unter­ge­ordnet und unwesentlich darstellen. Das wesent­liche Merkmal des Arbeits­ver­hält­nisses besteht darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegen­leistung eine Vergütung erhält.

(EuGH, Urteil vom 26. März 2015 – C‑316/13 – RN 27)
 

Der Fall

 

Der Sachverhalt

Die Klägerin war seit dem 1. Juli 1993 als Arbeit­neh­merin bei der Z GmbH H beschäftigt. Ab dem 19. April 2012 war sie als „Geschäfts­füh­rerin“ der Beklagten angestellt. Ab 26. Oktober 2018 stellte die Beklagte der  Z GmbH H  die Dienste der Klägerin als Geschäfts­füh­rerin zur Verfügung. Nach Anweisung der Geschäfts­führung hatte die Klägerin eine Arbeitszeit von 07:00 Uhr bis 18:00 Uhr einzu­halten. Vormittags musste sie am Telefon eine sogenannte „Kaltak­quise“ durch­führen, am Nachmittag hatte sie in eigener Initiative Leistungen anzubieten und wurde im Außen­dienst, zu Kunden­be­suchen und mit Kontroll‐ und Überwa­chungs­auf­gaben einge­setzt. Sie hatte wöchentlich 40 Telefonate und 20 Besuche nachzu­weisen. Außerdem führte sie Vorstel­lungs­ge­spräche und Einstellungsverhandlungen.

Nach sechs­jäh­riger Betriebs­zu­ge­hö­rigkeit sah der Dienst­vertrag der Parteien einen Jahres­urlaub von 33 Tagen vor. Diesen musste die Klägerin bei der Beklagten beantragen. Im Jahr 2019 nahm sie elf Tage und im Jahr 2020 keinen Urlaub in Anspruch.

Die Klägerin legte ihr Amt als Geschäfts­füh­rerin im September 2019 gegenüber der Beklagten nieder. Das Vertrags­ver­hältnis der Parteien endete durch Kündigung der Klägerin vom 25. Oktober 2019 zum 30. Juni 2020. Vom 30. August 2019 bis zur Beendigung des Vertrags­ver­hält­nisses erbrachte sie keine Leistungen und legte der Beklagten Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­ni­gungen vor.

 

Der Verfahrensgang

Die Klägerin verlangte Urlaubs­ab­geltung und klagte vor dem Arbeits­ge­richt. Sie vertrat die Auffassung, sie könne trotz ihrer formalen Geschäfts­füh­re­rin­nen­stellung vor dem Arbeits­ge­richt klagen. Sie sei einem Arbeits­ver­hältnis entspre­chend weisungs­ge­bunden beschäftigt worden und könne als Arbeit­neh­merin Urlaubs­ab­geltung verlangen.

Die beklagte Arbeit­ge­berin war dagegen der Ansicht, weder die Vertrags­mo­da­li­täten, noch die tatsäch­liche Durch­führung des Rechts­ver­hält­nisses würden die Annahme eines Arbeits­ver­hält­nisses rechtfertigten.

Das Arbeits­ge­richt Minden (2 Ca 705/20) und das Landes­ar­beits­ge­richt Hamm (Westfalen) (5 Sa 1494/20) gaben der Klägerin Recht.

 

Die Entscheidung

Auch das Bundes­ar­beits­ge­richt sah die Klage als begründet an und wies die Revision zurück. Das Landes­ar­beits­ge­richt sei zutreffend davon ausge­gangen, dass die Klägerin bei Beendigung des Anstel­lungs­ver­hält­nisses mit der Beklagten nach § 7 Abs. 4 BUrlG einen nicht erfüllten Anspruch auf 22 Arbeitstage Urlaub aus dem Jahr 2019 und auf 16,5 Arbeitstage Urlaub aus dem Jahr 2020 habe. Der Abgeltung stehe nicht entgegen, dass die Klägerin selbst das Amt der Geschäfts­füh­rerin nieder­gelegt habe.

Die Klägerin könne auch als Geschäfts­füh­rerin Urlaub verlangen. Als Fremd­ge­schäfts­füh­rerin einer GmbH ergebe sich der Anspruch unmit­telbar aus § 7 Abs. 4 BUrlG. Dies folge – unabhängig davon, ob die Klägerin nach natio­nalem Recht als Arbeit­neh­merin anzusehen ist – aus einer mit Art. 7 der Richt­linie 2003/88/EG konformen Auslegung der Vorschrift.

 

Das Bundesurlaubsgesetz muss im Sinne des Unionsrechts ausgelegt werden

Durch das Bundes­ur­laubs­gesetz würden die Vorgaben des Art. 7 der Richt­linie 2003/88/EG umgesetzt. Die natio­nalen Gerichte seien gehalten, inner­staat­liches Recht so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks der fraglichen Richt­linie auszulegen.

Für die Auslegung des Arbeit­neh­mer­be­griffs in § 2 BUrlG seien die vom Gerichtshof der Europäi­schen Union entwi­ckelten Grund­sätze zum Arbeit­neh­mer­be­griff heranzuziehen.

Der unions­recht­liche Arbeit­neh­mer­be­griff beein­flusse natio­nales Recht dort, wo unions­recht­liche Vorgaben – hier Richt­linie 2003/88/EG –  für die Regelungs­ma­terie existiere und natio­nales Recht richt­li­ni­en­konform umgesetzt oder ausgelegt werden müsse.

 

Der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff in der Auslegung des Bundesurlaubsgesetzes 

Nach der Recht­spre­chung des Gerichtshofs der Europäi­schen Union sei es nicht ausge­schlossen, dass das Mitglied eines Leitungs­organs einer Kapital­ge­sell­schaft „Arbeit­nehmer“ im Sinne des  Unions­rechts ist, selbst wenn der Grad der Abhän­gigkeit oder Unter­ordnung eines Geschäfts­führers bei der Ausübung seiner Aufgaben geringer ist als der eines Arbeit­nehmers im Sinne der üblichen Definition des deutschen Rechts.

Vielmehr hänge die Eigen­schaft als „Arbeit­nehmer“ im Sinne des  Unions­rechts von den Bedin­gungen ab, unter denen das Mitglied des Leitungs­organs bestellt wurde, der Art der ihm übertra­genen Aufgaben, dem Rahmen, in dem diese Aufgaben ausge­führt werden, dem Umfang der Befug­nisse des Mitglieds und der Kontrolle, der es innerhalb der Gesell­schaft unter­liegt, sowie der Umstände, unter denen es abberufen werden kann.

In die Gesamt­wür­digung der Umstände sei einzu­be­ziehen, in welchem Umfang der geschäfts­füh­rende Gesell­schafter über seine Anteile an der Willens­bildung der Gesell­schaft wahrnehme.

 

Auf den Fall bezogen

Unter diesen Gesichts­punkten sei die Klägerin in diesem Fall als Arbeit­neh­merin im Sinne des Unions­rechts zu quali­fi­zieren. Sie sei nach den Feststel­lungen des Landes­ar­beits­ge­richts (siehe Sachverhalt) weisungs­ge­bunden tätig geworden. Nach § 7 des Gesell­schafts­ver­trags der Beklagten habe sie als Geschäfts­füh­rerin jederzeit abberufen werden können. Anhalts­punkt dafür, dass die Klägerin Mehrheits­ge­sell­schaf­terin war oder eine Sperr­mi­no­rität besaß, seien nicht ersichtlich.

Der Klägerin habe zum Zeitpunkt, zu dem das Anstel­lungs­ver­hältnis mit der Beklagten endete, Urlaubs­an­spruch zugestanden. Da diese wegen der Beendigung des Rechts­ver­hält­nisses nicht gewährt werden konnte, bestehe ein Abgeltungsanspruch.

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