Selbstbeurlaubung und Anzweifeln der Arbeitsunfähigkeit

Selbstbeurlaubung und Anzweifeln der Arbeitsunfähigkeit

4. Oktober 2023 Allgemein 0

Ein eigen­mäch­tiger Urlaubs­an­tritt bei vorge­täuschter Erkrankung nach abgelehnter Urlaubs­ge­währung kann eine Selbst­be­ur­laubung sein. Dies kann an sich einen wichtigen Grund für die Recht­fer­tigung einer außer­or­dent­lichen Kündigung darstellen. Der Arbeit­nehmer kann sich in einem Kündi­gungs­rechts­streit auf eine Krankheit berufen, wenn er darlegt, woran er erkrankt war und warum er deswegen nicht arbeits­fähig war.

Der Arbeit­geber ist beweis­be­lastet und muss im Kündi­gungs­schutz­prozess den Beweis für das unent­schul­digte Fehlen führen. Bietet der Arbeit­geber trotz Entbindung des behan­delnden Arztes von seiner Schwei­ge­pflicht, nicht dessen Zeugnis als Beweis für das unent­schul­digte Fehlen an, kommt er der Beweislast für das Vorliegen eines wichtigen Grundes selbst dann nicht nach, wenn der Beweiswert einer vorge­legten Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­nigung als erschüttert angesehen werden kann.

(ArbG Gera, Urteil vom 5. April 2023 – 1 Ca 1333/22 –)
 

Die Grundlagen

 

Selbstbeurlaubung

Grund­sätzlich muss Urlaub vom Arbeit­nehmer beantragt und vom Arbeit­geber genehmigt werden. Eine Selbst­be­ur­laubung liegt dann vor, wenn ein Arbeit­nehmer, ohne Geneh­migung und gegen den Willen des Arbeit­gebers seinen Urlaub antritt. Dieses Verhalten kann dem Arbeit­geber einen wichtigen Grund zur außer­or­dent­lichen Kündigung geben (BAG 31.01.1985, NZA 1986, 138; 20.01.1994, NZA 1994, 548).

Die klassische Konstel­lation ist: Der Arbeit­geber lehnt ein Urlaubs­be­gehren ab und der Arbeit­nehmer bleibt gleichwohl der Arbeit fern und setzt sich somit über den entge­gen­ste­henden Willen des Arbeit­gebers hinweg.

(mehr zur Selbst­be­ur­laubung können Sie hier lesen.)

 

Der Fall

Ein Arbeit­nehmer des hier beklagten Unter­nehmens war seit fast vier Jahren als  Produk­ti­ons­mit­ar­beiter tätig. Der Arbeit­nehmer hatte für die Zeit vom 17.09.2022 bis 20.09.2022 Urlaub beantragt, um den 1. Geburtstag seines Enkel­kindes in Bad Doberan feiern zu können. Die Arbeit­ge­berin bewil­ligte den Urlaub nicht, da die Anwesenheit des Arbeit­nehmers zu dem gewünschten Zeitpunkt im Unter­nehmen erfor­derlich sei.

Der Arbeit­nehmer teilte seiner Arbeit­ge­berin am 15.9.2022 mit, dass er vom 16.09.2022 bis einschließlich Freitag, den 23.09.2022 krank­ge­schrieben sei und legte eine entspre­chende Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­nigung vor. Darin wurde die Arbeits­un­fä­higkeit mit einem Diagno­se­schlüssel Kopfschmerzen ausgewiesen.

Der Arbeit­nehmer feierte den Geburtstag seines Enkel­kindes am 17.09.2022 in Bad Doberan. Daher trafen andere Mitar­beiter der Arbeit­ge­berin den betref­fenden Arbeit­nehmer während der Zeit seiner Krank­schreibung auch mehrfach nicht an seinem Wohnort an.

Nachdem der Arbeit­nehmer seine Arbeit am 26.09.2022 wieder aufnahm, wurde er mit dem Vorwurf einer vorge­täuschten Erkrankung konfron­tiert. Nach Anhörung des Betriebs­rates wurde dem Arbeit­nehmer mit am 07.10.2022 zugegan­genem Schreiben das Arbeits­ver­hältnis fristlos gekündigt. Abmah­nungen gab  es vorher nicht.

Dagegen legte der Arbeit­nehmer Kündi­gungs­schutz­klage ein. Der Betriebsrat sei nicht ordnungs­gemäß angehört worden und es liege kein wichtiger Grund vor, der eine außer­or­dent­liche Kündigung rechtfertige.

 

Das Urteil

 

Selbstbeurlaubung grundsätzlich wichtiger Grund zur Kündigung

Das Arbeits­ge­richt  Gera gab der Kündi­gungs­schutz­klage statt. Die außer­or­dent­liche Kündigung sei rechts­un­wirksam. Die Beklagte sei ihrer Beweislast für die Darlegung eines wichtigen Grundes zur frist­losen Kündigung nicht nachgekommen.

Eine Selbst­be­ur­laubung in Form eines eigen­mäch­tigen Urlaubs­an­tritts nach vorge­täuschter Erkrankung stelle aufgrund der erheb­lichen Pflicht­ver­letzung im Vertrau­ens­be­reich grund­sätzlich ein wichtigen „an-sich“-Grund für eine fristlose Kündigung dar.

 

Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann Fernbleiben der Arbeit entschuldigen

Im Falle der Nicht­er­bring­barkeit der Arbeits­leistung des Arbeit­nehmers aufgrund einer Erkrankung könne sich der Arbeit­nehmer grund­sätzlich auf die Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­nigung seines behan­delnden Arztes berufen. Die ordnungs­gemäß ausge­stellte Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­nigung sei das gesetzlich ausdrücklich vorge­sehene und insoweit wichtigste Beweis­mittel für das Vorliegen krank­heits­be­dingter Arbeits­un­fä­higkeit. Der ordnungs­gemäß ausge­stellten Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­nigung komme daher aufgrund der norma­tiven Vorgaben im Entgelt­fort­zah­lungs­gesetz ein hoher Beweiswert zu.

Wenn der Arbeit­nehmer seine Arbeits­un­fä­higkeit mit einer ordnungs­gemäß ausge­stellten Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­nigung nachge­wiesen habe, genüge ein „bloßes Bestreiten“ der Arbeits­un­fä­higkeit mit Nicht­wissen durch den Arbeit­geber nicht. Vielmehr müsse der Arbeit­geber den Beweiswert der Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­nigung mittels Darlegung tatsäch­licher Umstände erschüttern. Ein Arbeit­geber könne regel­mäßig nur Indizi­en­tat­sachen vortragen.

 

Anzweifeln der Arbeitsunfähigkeit

Vorliegend würden sich ernst­hafte Zweifel an der Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­nigung aber nicht allein daraus ergeben, dass sich der Kläger nicht während des gesamten Zeitraums der Beschei­nigung in seiner Wohnung aufge­halten habe. Bei bestimmten Erkran­kungen könne ein Entfernen aus der Wohnstätte des Erkrankten durchaus gesund­heits­för­dernd sein.

Erheb­liche Zweifel an der Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­nigung würden sich aller­dings aus der Tatsache ergeben, dass die Beschei­nigung genau den Zeitraum umfasse, den der Kläger zuvor mit seiner Urlaubs­be­wil­ligung begehrt hatte und ihm seitens der Beklagten aufgrund der Perso­nal­si­tuation ablehnt wurde. Weiterhin erscheine es mehr als fragwürdig, weshalb wegen einer akuten Kopfer­krankung die Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­nigung gleich eine Woche und einen Tag umfasse. Dies sei passgenau auf den ursprüng­lichen Urlaubs­zeit­raum­wunsch des Klägers. 

Es sei auch nicht nachvoll­ziehbar, dass die Kopfschmerzen so stark gewesen sein sollen, dass der Kläger eine Woche arbeits­un­fähig gewesen sein soll, jedoch eine ca. 500 km Autofahrt antreten habe können.

 

Beweislast des Arbeitgebers

Die Beklagte habe jedoch den Beweiswert der vorge­legten Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­nigung nicht erschüttert. Denn dazu hätte die Arbeit­ge­berin den Beweis für das unent­schul­digte Fehlen des Arbeit­nehmer führen müssen. Etwa durch Benennung des behan­delnden Arztes als Zeugen. Dies habe die Beklagte unter­lassen. Sie sei daher Ihrer Beweislast für das Vorliegen eines wichtigen Grundes nicht nagekommen.

 

Fazit:

Das Gericht war hier nicht überzeugt, dass der Arbeit­nehmer wirklich krank war. Dem Gericht fiel der zeitliche Zusam­menhang der Erkrankung mit dem exakten Zeitraum des abgelehnten Urlaubs ins Auge. Es bemän­gelte aber, dass der Arbeit­geber die Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­nigung in keiner Form in Frage gestellte hatte, obwohl der ausstel­lende Arzt von seiner Schwei­ge­pflicht entbunden worden war. Die Arbeit­ge­berin hätte den Arzt als Zeugen zur Arbeits­un­fä­higkeit des Arbeitn­hemers befragen und diese dann in Zweifel ziehen müssen. Da dies unter­blieb, war dieses Versäumnis für das Urteil des Gerichts ausschlag­gebend. Deswegen erachtete das Gericht die Kündigung als rechtsunwirksam.

 

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