Keine Selbstbindung des Arbeitgebers im Kleinbetrieb

Keine Selbstbindung des Arbeitgebers im Kleinbetrieb

14. September 2023 Kündigung 0

Eine Kündigung aus „neutralen” betriebs­be­dingten Gründen hindert den Chef in einem Klein­be­trieb nicht daran, die Stelle gleich wieder zu besetzen. Eine Selbst­bindung findet nicht statt.

Mit einer Sachlage, die Rechts­an­wälten für Arbeits­recht auch in Berlin immer wieder begegnet, hatte sich das Landes­ar­beits­ge­richt Düsseldorf vor gut einem Jahr zu befassen. Der Arbeit­geber eines Klein­be­triebes hatte einem Arbeit­nehmer ordentlich „aus betriebs­be­dingten Gründen“ gekündigt.

Das Landes­ar­beits­ge­richt Düsseldorf entschied dazu, dass der Angabe, dass die Kündigung aus „betriebs­be­dingten Gründen“  erfolge, nicht „dringende betrieb­liche Erfor­der­nisse“ im Sinne des Kündi­gungs­schutz­ge­setzes zugrunde liegen müssen. Die pauschale Nennung „betriebs­be­dingter Gründe“ im Kündi­gungs­schreiben stelle weder eine Selbst­bindung des Arbeit­gebers mit Anfor­de­rungen des § 1 Abs. 2 KSchG dar, noch erweise sich die Kündigung als sitten‐ oder treuwidrig, auch wenn die Stelle unmit­telbar neu besetzt wird. Eine unzutref­fende aber dem Fortkommen nicht hinder­liche Kündi­gungs­be­gründung mache aus dem neutralen Rechts­ge­schäft kein sitten‐ oder treuwidriges.

(Landes­ar­beits­ge­richt Düsseldorf, Urteil vom 2. August 2022 – 3 Sa 285/22 –)
 

Grundsätzliches

 

Voraussetzungen der ordentlichen Kündigung nach dem Kündigungsschutzgesetz wenn das Unternehmen kein Kleinbetrieb ist

Während der Arbeit­nehmer ohne Angaben eines Grundes kündigen kann, müssen Arbeit­geber bei der Kündigung ihrer Arbeit­nehmer zahlreiche Voraus­set­zungen beachten. Die Kündigung des Arbeit­gebers muss bestimmt, frist‐ und formge­recht sein. Des Weiteren bedarf es eines zuläs­sigen Kündi­gungs­grundes. Ist im Unter­nehmen ein Betriebsrat gebildet, ist dieser vor jeder Kündigung zu hören. Sind diese Voraus­set­zungen seitens des Arbeit­gebers nicht einge­halten, gilt eine Kündigung als rechts­un­wirksam und der Arbeit­nehmer kann der Kündigung mit einer Kündi­gungs­schutz­klage entgegentreten.

Diese Regelungen gelten nur, sofern das Kündi­gungs­schutz­gesetz (KSchG) Anwendung findet.

 

Abweichende Regelungen in einem Kleinbetrieb

Nach § 23 des Kündi­gungs­schutz­ge­setzes zählen Betriebe, die in der Regel 10 oder weniger Arbeit­nehmer beschäf­tigten, zu den Klein­be­trieben. Bei Klein­be­trieben findet das Kündi­gungs­schutz­gesetz nach § 23 Abs. 1 KSchG keine Anwendung. Eine ordent­liche Kündigung vom Arbeit­geber ist aufgrund dessen ohne Nennung eines Kündi­gungs­grundes möglich. Wenn dennoch vom Arbeit­geber ein Kündi­gungs­grund angegeben wird, dient dieser meist dazu, dem Arbeit­nehmer „keine Steine in den Weg“ legen zu wollen.

(Mehr zu Klein­be­trieben und der Anwend­barkeit des Kündi­gungs­schutz­ge­setzes können Sie hier lesen.)

 

Sittenwidrigkeit

Eine Nichtigkeit eines Rechts­ge­schäftes kann vorliegen, wenn dessen Gesamt­cha­rakter gegen die jeweils herrschende Rechts‐ und Sozial­moral verstößt. Eine klassische Definition der „guten Sitten“ ist das „Anstands­gefühl aller billig und gerecht Denkenden“. Der Begriff muss durch Gerichte konkret ausgelegt und fortge­bildet werden.

 

Treu und Glauben / venire contra factum proprium

Der Grundsatz von Treu und Glauben nach § 242 BGB bildet eine allen Rechten, Rechts­lagen und Rechts­normen immanente Inhaltsbegrenzung.

Jede Vertrags­partei soll so handeln, wie „redlich und anständig denkende Menschen“ unter Beachtung der im konkreten Fall einschlä­gigen Verkehrs­sitte zu handeln pflegen. Das gerecht­fer­tigte Vertrauen der Parteien unter­ein­ander darf nicht enttäuscht oder zu missbraucht werden.

Treuwid­riges Verhalten kann beispiels­weise in wider­sprüch­lichem Verhalten, dem sogenannten venire contra factum proprium, bestehen. Wenn durch Vorver­halten eines Vertrags­partners ein Vertrau­en­s­tat­be­stand geschaffen wird und sich dieser Vertrags­partner dann dazu wider­sprüchlich verhält, kann er sich nicht auf eine planwidrige Rechts­po­sition oder Rechts­aus­übung berufen.

Eine gegen diese Rechtslage und Rechts­normen versto­ßende Kündigung wäre unwirksam.

 

Zum Sachverhalt des Falles

In einem Klein­be­trieb hatte der Arbeit­geber einer Arbeit­neh­merin das Arbeits­ver­hältnis frist­ge­recht aus „betriebs­be­dingten Gründen“ mit Schreiben vom 29.10.2021 gekündigt. Zeitgleich schrieb der Arbeit­geber eine ähnliche Stelle mit Stellen­aus­schrei­bungen vom 14.09.2021 und 11.10.2021 aus.

Die Parteien, die Arbeit­ge­berin und die Arbeit­neh­merin, stritten über die Beendigung ihres Arbeits­ver­hält­nisses in einem Klein­be­trieb. Die Arbeit­neh­merin als Klägerin war bei der Beklagten als kaufmän­nische Assis­tentin beschäftigt. Die Arbeit­ge­berin als Beklagte kündigte der Arbeit­neh­merin frist­ge­recht, mit der Begründung für die Kündigung als „aus betriebs­be­dingten Gründen“. Innerhalb der Kündi­gungs­frist schrieb der Beklagte zwei Stellen­aus­schrei­bungen für einen „Vertriebs­as­sis­tenten“ aus. Daraufhin reichte die Arbeit­neh­merin Kündi­gungs­schutz­klage ein. Erstin­stanzlich hatte sie behauptet, die Beklagte würde mehr als zehn Arbeit­nehmer haben. Aufgrund dessen würde es eines rechts­wirk­samen Kündi­gungs­grund benötigen. Die Klägerin sah die Kündigung als Treu und Sitten­widrig an. Dies begründete sie mit §§ 138, 242 BGB im Zusam­menhang mit den erfolgten Stellen­aus­schrei­bungen. Es würde ersichtlich nicht, die im Kündi­gungs­schreiben genannten „betriebs­be­dingten Gründe“ vorliegen.

Die Arbeit­ge­berin brachte vor, dass sie das Arbeits­ver­hältnis wirksam gekündigt habe. Das Kündi­gungs­schutz­gesetz würde vorliegend keine Anwendung finden, da die Arbeit­neh­merin regel­mäßig nicht mehr als zehn Angestellte beschäf­tigen würde. 

 

Urteil der 1. Instanz: Im Kleinbetrieb ist diese Kündigung wirksam

Das Arbeits­ge­richt Oberhausen (3 Ca 1164/21) hat die Kündi­gungs­schutz­klage abgewiesen. Eine unwirksame Kündigung würde aufgrund des Klein­be­triebes der Arbeit­ge­berin nicht vorliegen.

 

Berufung der Klägerin

Daraufhin legte die Klägerin beim Landes­ar­beits­ge­richt Düsseldorf Berufung ein. Die Klägerin trug vor, dass die „betriebs­be­dingten Gründe“ als Kündi­gungs­grund nicht vorliegen würden. Die Arbeit­ge­berin sei dazu verpflichtet, dass ein Kündi­gungs­grund, wenn sie einen nenne, der Wahrheit entsprechen müsse. Die Arbeit­ge­berin entgegnete, es könne dahin­stehen, ob tatsäch­liche betriebs­be­dingte Kündi­gungs­gründe im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG vorge­legen hätten. Die Nennung der Kündigung aus „betriebs­be­dingten Gründen“ habe lediglich den Grund, dem Arbeit­nehmer „keine Steine in den Weg legen zu wollen“.

 

Die Entscheidung

Die Berufung wurde abgewiesen. Die ordent­liche, frist­ge­rechte Kündigung sei nicht unter dem Maßstab des § 1 Abs. 2 KSchG auf ihre soziale Recht­fer­tigung zu überprüfen. Diese Norm finde auf Klein­be­triebe, wie den der Beklagten, gem. § 23 Abs. 1 KSchG keine Anwendung.

 

Keine willkürliche oder sittenwidrige Kündigung im Kleinbetrieb

Aufgrund dessen sei die Kündigung der Arbeit­neh­merin auch nicht sitten­widrig. Die Kündigung sei auch nicht willkürlich erfolgt. Der Vorwurf, das Arbeits­ver­hältnis sei zum Schein aus „betriebs­be­dingten Gründen“ gekündigt worden, beruhe auf der Wertung, dass der Begriff den „dringenden betrieb­lichen Erfor­der­nisse“ im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG gleich­ge­setzt worden sei.

Vor dem Hinter­grund, dass ein Klein­be­trieb vorliege und infol­ge­dessen das Kündi­gungs­schutz­gesetz keine Anwendung finde, seien hier keine Kündi­gungs­gründe nach dem Maßstab des § 1 Absatz 2 KSchG zu prüfen.

Eine Neuaus­schreibung der Stelle stehe einer betriebs­be­dingten Kündigung bei Anwendung des Kündi­gungs­schutz­ge­setzes zwar entgegen, nicht jedoch außerhalb des Anwendungsbereichs.

Die Kündigung aus „betriebs­be­dingten Gründen“ aus Nettigkeit, sei durchaus ein einleuch­tender Grund. Hinter­grund der Nennung des neutralen Grundes  sei, das Fortkommen der Klägerin zu fördern und gerade nicht gar sitten­widrig zu beeinträchtigen.

 

Keine treuwidrige Kündigung 

Die Kündigung sei auch nicht treuwidrig. Der Grundsatz von Treu und Glauben nach § 242 BGB sei auf Kündi­gungen neben § 1 KSchG nur in beschränkter Weise anwendbar. Das Kündi­gungs­schutz­gesetz habe die Voraus­set­zungen und Wirkungen von Treu und Glauben konkre­ti­siert und abschließend geregelt. Eine Kündigung könne daher den Grundsatz von Treu und Glauben nur aus Gründen verletzen, die von § 1 KSchG nicht erfasst sind.

Anhalts­punkte für den Ausspruch einer Kündigung zur Unzeit, eine Kündigung in ehrver­let­zender Form, eine diskri­mi­nie­rende Kündigung oder ein Kündigung unter Missachtung jeglicher sozialer Rücksicht­nahme lägen nicht vor.

Es seien auch keine Anhalts­punkte für wider­sprüch­liches Verhalten (venire contra factum proprium) des Arbeit­gebers ersichtlich. Dazu hätte ein der Kündigung voraus­ge­gan­genes Verhalten der Arbeit­ge­berin vorliegen müssen, das bei der Arbeit­neh­merin ein schutz­wür­diges Vertrauen bewirkt hätte. Dazu hätte die Kündigung im Wider­spruch stehen müssen. Dies ist hier nicht der Fall.

Eine treuwidrige Kündigung liege daher nicht vor.

 

Anmerkung

Der Arbeit­geber hat hier die Kündigung aus betriebs­be­dingten Gründen ausge­sprochen, um zu verhindern, dass der Arbeit­neh­merin unter­stellt werden könnte, sie habe die Ursache für die Beendigung des Arbeits­ver­trages gesetzt. Denn dies könnte beispiels­weise zu einer Sperrzeit für das Arbeits­lo­sengeld führen. Das Gericht sah dieses Motiv gerade nicht als treuwidrig an und verneinte eine Selbstbindung.

 

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