Beweiswert der Krankschreibung während einer Kündigung

Beweiswert der Krankschreibung während einer Kündigung

13. Dezember 2023 Allgemein Entgeltfortzahlung Krankschreibung 0

Zur Frage, ob ein Arbeit­nehmer dennoch Entgelt­fort­zahlung erhalten kann, wenn seine Krank­schreibung passgenau die Kündi­gungs­frist ausfüllt.

Wenn sich ein Arbeit­nehmer bei Erhalt einer Kündigung unmit­telbar zeitlich nachfolgend krank­meldet und eine Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­nigung einreicht, kann dies den Beweiswert der Beschei­nigung erschüttern. Insbe­sondere dann, wenn die Krank­schreibung den gesamten Zeitraum der Kündi­gungs­frist abdeckt. Dieser Kausal­zu­sam­menhang zwischen Kündigung und Krank­schreibung fehlt aber, wenn der Arbeit­nehmer sich bereits vor Erhalt der Kündigung krank gemeldet hat. 

(Landes­ar­beits­ge­richt Nieder­sachsen, Urteil vom 8. März 2023 – 8 Sa 859/22 –)

Deckt diese Krank­meldung jedoch nur einen Teil der Kündi­gungs­frist ab, folgen dann unmit­telbar eine oder mehrere Folge­be­schei­ni­gungen, die passgenau die  Kündi­gungs­frist ausfüllen und erbringt der Arbeit­nehmer einen Tag nach Beendigung seines Arbeits­ver­hältnis seine Arbeits­leistung bei einem neuen Arbeit­geber, kann der Beweiswert der Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­nigung doch erschüttert sein. 

Bundes­ar­beits­ge­richt, Urteil vom 13. Dezember 2023 – 5 AZR 137/23 –

In diesem Sinne hat das Bundes­ar­beits­ge­richt jetzt auf die Revision gegen ein Urteil des Landes­ar­beits­ge­richts Nieder­sachsen entschieden.

 

Grundsätzliches

 

Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (Krankschreibung)

Ärztlichen Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­ni­gungen wird ein hoher, sogenannter „norma­tiver“ Beweiswert zugemessen. Dies wird aus den § 5 und § 7 des Entgelt­fort­zah­lungs­ge­setzes gefolgert. Wenn ein Arbeit­nehmer eine solche Beschei­nigung vorlegt, hat er seine arbeits­be­dingte Arbeits­un­fä­higkeit bewiesen. Der Arbeit­geber muss dann Tatsachen vorlegen, die ernst­hafte Zweifel an der Erkrankung begründen und so den Beweiswert der Krank­schreibung erschüttern. Gelingt ihm das, müsste wiederum der Arbeit­nehmer Tatsachen vortragen, die beweisen, dass er tatsächlich krank war. Er müsste dann vortragen, welche Krankheit er hatte und wie sich dies auf seine Arbeits­fä­higkeit ausge­wirkt hat.

Das Bundes­ar­beits­ge­richt hat das zeitliche Zusam­men­fallen von Kündigung und Krankheit (Koinzidenz) als ausrei­chenden Umstand zur Erschüt­terung des Beweis­wertes der Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­nigung angesehen.

Wird ein Arbeit­nehmer, der sein Arbeits­ver­hältnis kündigt, am Tag der Kündigung arbeits­un­fähig krank­ge­schrieben, kann dies den Beweiswert der Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­nigung insbe­sondere dann erschüttern, wenn die beschei­nigte Arbeits­un­fä­higkeit passgenau die Dauer der Kündi­gungs­frist umfasst.

(BAG, Urteil vom 8. September 2021 – 5 AZR 149/21 –)

(Mehr zur elektro­ni­schen Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­nigung können Sie hier und zu ihrem Beweiswert hier lesen.) 

 

Zum Sachverhalt

Der Kläger war als Arbeit­nehmer bei einem Leihar­beits­un­ter­nehmen über ein Jahr angestellt, wurde aber seit mehreren Wochen nicht verliehen. Er meldete sich am 2.5.2022 arbeits­un­fähig krank. Einen Tag später erhielt er die Kündigung zum Monatsende zugestellt. Das Kündi­gungs­schreiben war auf den 2.5.2022 datiert. Der Arbeit­nehmer legte der Arbeit­ge­berin daraufhin am 6.5.2022 und am 20.5.2022 zwei weitere ärztliche Krank­schrei­bungen vor, die ihm die krank­heits­be­dingte Arbeits­un­fä­higkeit bis zum 31.5.2022, also dem genauen Ende des Arbeits­ver­hält­nisses, bescheinigten.

Die Arbeit­ge­berin zweifelte die krank­heits­be­dingte Arbeits­un­fä­higkeit an, da diese zeitgleich mit der Kündigung erfolgt sei und passgenau bis zum Ende des Arbeits­ver­hält­nisses angedauert habe. Diese Koinzidenz (Zusam­menhang) zwischen der Kündigung und der Krank­schreibung begründe ernst­hafte Zweifel an der Arbeits­un­fä­higkeit. Zudem sei der Kläger unmit­telbar nach Ende des Arbeits­ver­hält­nisses wieder arbeits­fähig gewesen und habe nahtlos bei einem anderen Arbeit­geber ein neues Arbeits­ver­hältnis begonnen. Die Arbeit­ge­berin verwei­gerte daher die Lohnfortzahlung.

Dagegen klagte der Arbeit­nehmer und verlangte die Lohnfort­zahlung. Die Beklagte Arbeit­ge­berin habe ihm erst auf seine Krank­meldung folgend die Kündigung ausge­sprochen. Er sei also bereits einen Tag vor der Kündigung krank­ge­schrieben gewesen. Der Beweiswert der Krank­schreibung sei daher nicht erschüttert.

 

Der Verfahrensgang

Das Arbeits­ge­richt Hildesheim, (26. Oktober 2022, 2 Ca 190/22) gab der Klage statt, da es den Beweiswert der Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­nigung nicht erschüttert sah.

 

Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen

Das Landes­ar­beits­ge­richt sah dies ebenfalls so und bejahte einen Anspruch auf Entgelt­fort­zahlung. Die Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­ni­gungen hätten einen hohen Beweiswert und seien nicht erschüttert worden.

 

Erschütterung bei Koinzidenz zwischen Kündigung und Krankschreibung grundsätzlich möglich

Das Landes­ar­beits­ge­richt folgte der Recht­spre­chung des Bundes­ar­beits­ge­richtes, indem es ärztlich ausge­stellte Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­ni­gungen als das gesetzlich ausdrücklich vorge­sehene Beweis­mittel für einen krank­heits­be­dingte Arbeits­un­fä­higkeit ansah. Daraus ergebe sich der besonders hohe Beweiswert dieser Beschei­ni­gungen. Der Arbeit­geber müsse den Beweiswert der Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­nigung dadurch erschüttern, dass er Tatsachen vorbringe, die ernst­hafte Zweifel an der Erkrankung des Arbeit­nehmers begründen würden. Dann träte wieder derselbe Zustand ein, wie er vor Vorlage der Beschei­nigung bestanden habe. Der Arbeit­nehmer müsse dann wiederum beweisen, dass eine Erkrankung während der Zeit der Krank­schreibung bestanden habe.

Grund­sätzlich sei nach der Recht­spre­chung des Bundes­ar­beits­ge­richtes eine zeitliche Koinzidenz, also ein zeitlicher Zusam­menhang zwischen einer Kündigung durch den Arbeit­nehmer und seiner passge­nauen Krank­schreibung für die Zeit der Kündi­gungs­frist geeignet, den Beweiswert der Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­nigung zu erschüttern.

 

Andere Fallkonstellation: Krankschreibung vor Kündigung

Jedoch seien im vorlie­genden Fall relevante Unter­schiede zu berücksichtigen.

So habe hier nicht der Arbeit­nehmer die Kündigung ausge­sprochen, wie im dem durch das Bundes­ar­beits­ge­richt entschie­denen Fall. Hier sei es genau umgekehrt gewesen.

Entscheidend sei aber, dass die erste Krank­schreibung bereits vor der Kündigung erfolgt sei. Dadurch entfiele der notwendige Kausal­zu­sam­menhang zwischen Krank­meldung und Kündigung, der erfor­derlich sei, um den Beweiswert der Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­nigung zu erschüttern. Der Arbeit­nehmer sei nicht erst durch die Kündigung dazu motiviert worden, einen Arzt aufzu­suchen und sich krank­schreiben zu lassen. Somit bestünde hier keine zeitliche Koinzidenz des Beginns der Arbeits­un­fä­higkeit mit einer Eigenkündigung.

 

Auch keine weiteren Umstände ersichtlich

Allein die Tatsache, dass ein Arbeit­nehmer bis zur Beendigung eines Arbeits­ver­hält­nisses arbeits­un­fähig krank­ge­schrieben sei, am unmit­telbar darauf­fol­genden Tag gesundet und bei einem anderen Arbeit­geber zu arbeiten beginne, erschüttere in der Regel ohne Hinzu­treten weiterer Umstände den Beweiswert von Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­ni­gungen nicht. Es sei zwar denkbar, dass der Arbeit­nehmer bereits vor seiner Krank­schreibung gewusst haben könnte, dass seine Arbeit­ge­berin plante, ihm den Arbeits­vertrag zu kündigen oder dies angekündigt war. Dies habe die Arbeit­ge­berin jedoch nicht vorge­tragen und bewiesen.

(Landes­ar­beits­ge­richt Nieder­sachsen, Urteil vom 8. März 2023 – 8 Sa 859/22 –)
 

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes

Letzteres sah das Bundes­ar­beits­ge­richt aber bezogen auf den Zeitraum vom 7. bis zum 31 Mai 2022 anders und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung an das Landes­ar­beits­ge­richt Nieder­sachsen zurück.

Das Landes­ar­beits­ge­richt sei zutreffend davon ausge­gangen, dass es bei der Prüfung des Beweis­werts der Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­nigung nicht darauf ankomme, ob die Kündigung durch den Arbeit­geber oder durch den Arbeit­nehmer erfolge. Es komme auch nicht darauf an, ob nur eine oder mehrere Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­ni­gungen vorgelegt werden.

Stets sei eine einzel­fall­be­zogene Würdigung der Gesamt­um­stände vorzunehmen. 

 

Keine Koinzidenz bei 1. Krankschreibung

Das Bundes­ar­beits­ge­richt sieht ebenfalls den Beweiswert der Beschei­nigung für den 2. Mai 2022 nicht erschüttert. Eine zeitliche Koinzidenz zwischen dem Beginn der Arbeits­un­fä­higkeit und dem Zugang der Kündigung sei nicht gegeben. Denn nach den Feststel­lungen des Landes­ar­beits­ge­richtes habe der Kläger zum Zeitpunkt der Vorlage der Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­nigung keine Kenntnis von der beabsich­tigten Beendigung des Arbeits­ver­hält­nisses gehabt.

 

Aber Koinzidenz durch passgenaue Folgebescheinigungen

Die Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­ni­gungen vom 6. Mai 2022 und 20. Mai 2022 sieht das Bundes­ar­beits­ge­richt hingegen erschüttert. Das Landes­ar­beits­ge­richt habe hierbei nicht ausrei­chend berück­sichtigt, dass zwischen der durch die Folge­be­schei­ni­gungen passge­nauen Verlän­gerung der Arbeits­un­fä­higkeit und der Kündi­gungs­frist doch eine Koinzidenz zu sehen sei.

Auch dass der Kläger unmit­telbar nach Beendigung des Arbeits­ver­hält­nisses eine neue Beschäf­tigung aufge­nommen habe sei zu berücksichtigen. 

Bei der Würdigung dieses Sachver­halts habe das Landes­ar­beits­ge­richt nicht in den Blick genommen, dass die Feststellung der Arbeits­un­fä­higkeit durch die Beschei­ni­gungen vom 2. Mai 2022 und vom 6. Mai 2022 jeweils bis zu einem Freitag erfolgte, dagegen in der Beschei­nigung vom 20. Mai 2022 Arbeits­un­fä­higkeit bis Dienstag, den 31. Mai 2022 und damit passgenau bis zur Beendigung des Arbeits­ver­hält­nisses attes­tiert wurde und der Kläger am 1. Juni 2022 eine neue Beschäf­tigung aufge­nommen hat.

Da der Kläger zum Zeitraum der Ausstellung der 2. Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­nigung bereits von der Kündigung wusste, sei nicht ausge­schlossen, dass er durch die Kündigung motiviert wurde eine weitere Krank­schreibung zu erreichen. 

Zudem habe das Landes­ar­beits­ge­richt nicht festge­stellt, wie der Arzt die Erkrankung des Klägers diagnos­ti­ziert hat und weshalb die Erkrankung des Klägers gut und zweifelsfrei feststellbar gewesen sei.

 

Beweislast nun wieder bei Kläger

Dadurch trage nunmehr der Kläger für den Zeitraum vom 7. bis zum 31. Mai die volle Darlegungs‐ und Beweis­belast, seine krank­heits­be­dingte Arbeits­un­fä­higkeit als Voraus­setzung für den Entgelt­fort­zah­lungs­an­spruch nachzuweisen.

Da das Landes­ar­beits­ge­richt zu diesem Zeitraum keine Feststel­lungen getroffen habe, sei die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landes­ar­beits­ge­richt zurück­zu­ver­weisen, um den Parteien Gelegeheit zu geben, weiter zur behaup­teten Arbeits­un­fä­higkeit des Klägers vorzutragen.

 

Fazit

Ärztliche Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­ni­gungen haben einen hohen Beweiswert. Dieser kann erschüttert werden, wenn ein Zusam­menhang zwischen der Kündigung und der passge­nauen Krank­schreibung gesehen werden kann.

Das Landes­ar­beits­ge­richt schloß sich grund­sätzlich der Recht­spre­chung des Bundes­ar­beits­ge­richtes an, hat aber relevante Unter­schiede im Sachverhalt gesehen und daher anders entschieden als das Bundes­ar­beits­ge­richt in seiner früheren Entscheidung.

Das Bundes­ar­beits­ge­richt diffe­ren­zierte in seiner jetzigen Entscheidung aber noch weiter zwischen der Wirkung der einzelnen Krank­schrei­bungen und wertete zudem die wieder­her­ge­stellte Arbeits­fä­higkeit am Tag nach der Kündigungsfrist.

 

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