Pflicht zur Kenntnisnahme einer dienstlichen SMS in der Freizeit

Pflicht zur Kenntnisnahme einer dienstlichen SMS in der Freizeit

12. Dezember 2023 Abmahnung Freizeit 1

Ist dem Arbeit­nehmer auf der Grundlage der betrieb­lichen Regelungen bekannt, dass der Arbeit­geber die Arbeits­leistung für den darauf­fol­genden Tag in Bezug auf Uhrzeit und Ort konkre­ti­sieren wird, besteht eine Pflicht zur Kennt­nis­nahme einer solchen, per SMS mitge­teilten Weisung auch in seiner Freizeit. Bei der Kennt­nis­nahme der Weisung zum konkre­ti­sierten Dienst handele es sich nicht um Arbeitszeit im arbeits­schutz­recht­liche Sinne. Die Kennt­nis­nahme einer SMS stellt sich als zeitlich derart gering­fügig dar, dass nicht von einer ganz erheb­lichen Beein­träch­tigung der Nutzung der freien Zeit ausge­gangen werden kann. Die Ruhezeit wird dadurch nicht unterbrochen.

(BAG, Urteil vom 23.08.2023 – 5 AZR 349/22 – )

So hat das Bundes­ar­beits­ge­richt in einem jetzt veröf­fent­lichten Urteil entschieden.

 

Zum Fall

Ein Arbeit­nehmer war bei der beklagten Arbeit­ge­berin seit Januar 2003 als Notfall­sa­ni­täter in Schleswig‐Holstein in Vollzeit tätig. Für den Betrieb bestand eine Betriebs­ver­ein­barung (BVA – „Arbeits­zeit­grund­sätze in der RKISH“), die auch für Notfall­sa­ni­täter galt.

 

Die Betriebsvereinbarung

Die Betriebs­ver­ein­barung regelt die Erstellung des Rahmen­dienst­plans, aus dem sich eine verbind­liche Vorplanung der Schicht­arten, Schicht­längen und die sich daraus ergebende Festlegung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit für die Dienst­schichten, sowie der Sprin­ger­dienste ergibt. Schicht­gleiche Änderungen im Dienstplan sind dem Betriebsrat vorzu­legen. Spätere Änderungen sind für den Mitar­beiter freiwillig.

Neben dem Soll‐Dienstplan gibt es einen Ist‐Dienstplan, in dem sämtliche kurzfristige Änderungen bei den noch  nicht besetzten Sprin­ger­diensten vorge­nommen werden. Der aktuelle Ist‐Dienstplan ist über das Internet einsehbar.

Sprin­ger­dienste werden einem Wochentag der Vertre­ter­woche durch konkrete Schicht­zu­weisung verbindlich zugewiesen. Wenn ein Sprin­ger­dienst nicht konkret zuweisbar ist, werden unkon­krete Dienste zugewiesen. Unkonkret zugeteilte Sprin­ger­dienste können für Tag‐ und Spätdienste bis 20 Uhr des Vortags vor Dienst­beginn im Dienstplan weiter konkre­ti­siert werden. Geschieht dies nicht, findet sich der Mitar­beiter zu Dienst­beginn am vom Arbeit­geber zugewie­senen Dienstort ein.

 

Der Springerdienst im April und September

Die Arbeit­ge­berin teilte den Rettungs­sa­ni­täter in den zwei streit­ge­gen­ständ­lichen Zeiträumen  im April und September 2021 jeweils zu einem unkon­kreten Sprin­ger­dienst ein. Einen Tag vor Dienst­beginn wies die Arbeit­ge­berin ihm jeweils einen Dienst mit einem früheren Dienst­beginn als der normale Arbeits­beginn zu. In einem der Fälle wurde auch ein anderer Dienstort zugewiesen. Dies teilte ihm die Arbeit­ge­berin jeweils am Vortag – der Arbeit­nehmer war jeweils von der Arbeits­pflicht befreit –  um 13:20 Uhr bzw. 9:15 Uhr, per SMS (und E‑Mail) mit, nachdem sie den Arbeit­nehmer nicht telefo­nisch erreichen konnte. Die Konkre­ti­sierung des Sprin­ger­dienstes wurde jeweils in den Ist‐Dienstplan eingetragen.

Der Rettungs­sa­ni­täter meldete sich jeweils am nächsten Tag zum ursprünglich festge­setzten Arbeits­beginn arbeits­bereit. Die beklagte Arbeit­ge­berin setzte ihn dann aber an diesen Tagen nicht weiter ein, wertete die Tage als unent­schul­digte Fehltage, zog ihm die Stunden von seinem Unter­konto des Arbeits­zeit­kontos ab und erteilte ihm eine Abmahnung.

 

Die Klage

Daraufhin klagte der Arbeit­nehmer und verlangte die Entfernung der Abmahnung aus der Perso­nalakte, sowie die abgezo­genen Arbeits­stunden wieder seinem Arbeits­zeit­konto gutzuschreiben. 

Er war der Ansicht, dass er zur Übernahme der Dienste nicht verpflichtet gewesen sei. Wegen der kurzfris­tigen Dienst­plan­än­de­rungen hätte eine Übernahme des Dienstes allen­falls freiwillig erfolgen können. Er sei nicht verpflichtet, sich während seiner Freizeit über die Dienst­zu­teilung zu infor­mieren. Auch leiste er faktisch Arbeit auf Abruf, weshalb eine Ankün­di­gungs­frist von vier Tagen einzu­halten gewesen sei und die Weisungen seien wegen fehlender Betei­ligung des Betriebs­rates unwirksam. 

 

Vorinstanzen

Das Arbeits­ge­richt Elmshorn (– Kammer Mehldorf – 5 Ca 1023 a/21) wies die Klage ab. Die Arbeits­zu­wei­sungen seien im Einklang mit den Reglungen der Betriebs­ver­ein­barung vorge­nommen worden. Es sein auch nicht gegen die Grund­sätze der Abruf­arbeit verstoßen worden. Der Kläger sei aufgrund einer arbeits­ver­trag­lichen Neben­pflicht verpflichtet, sich nach dem Beginn seines Dienstes zu erkundigen.

Dies sah das Landes­ar­beits­ge­richt Schleswig‐Holstein anders und gab der gegen das Urteil einge­reichten Berufung statt. 

 

Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Schleswig‐Holstein

Durch die Änderung eines Dienst­planes eines Mitar­beiters habe der Arbeit­geber sein Direk­ti­ons­recht ausgeübt. Diese Ausübung bzw. Änderung sei dem Mitar­beiter aber nicht zugegangen, da er in seiner Freizeit nicht verpflichtet sei, sich zu erkun­digen, ob sein Dienstplan geändert worden sei oder Mittei­lungen seines Arbeit­gebers, per Telefon oder SMS, entge­gen­zu­nehmen. Eine Pflicht zur Kennt­nis­nahme einer dienst­lichen SMS bestünde nicht. Das Lesen einer dienst­lichen SMS sei Arbeitszeit, denn mit dem Lesen einer dienst­lichen SMS erbringe der Arbeit­nehmer Arbeits­leistung. In seiner Freizeit stehe dem Arbeit­nehmer das Recht auf Nicht­er­reich­barkeit zu. Freizeit zeichne sich gerade dadurch aus, dass der Arbeit­nehmer in diesem Zeitraum dem Arbeit­geber nicht zur Verfügung stehen müssen. Der Arbeit­nehmer verhalte sich daher nicht treuwidrig, wenn er darauf bestehe, in seiner Freizeit keiner dienst­lichen Tätigkeit nachzu­gehen und lehne die Entge­gen­nahme daher nicht grundlos ab.

Der geringe zeitlich Aufwand, der für das Lesen einer SMS notwendig sei, ändere nichts an der Wertung, dass dies Arbeitszeit sei. Arbeit werde nicht deswegen zur Freizeit, weil sie nur in zeitlich gering­fü­gigem Umfang anfalle.

(Landes­ar­beits­ge­richt Schleswig‐Holstein – 1 Sa 39 öD/22‐)
 

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Das Bundes­ar­beits­ge­richt entschied in der dagegen einge­legten Revision aber anders und hob das Urteil des Landes­ar­beits­ge­richt Schleswig‐Holstein auf.

Das Landes­ar­beits­ge­richt habe rechts­feh­lerhaft angenommen, dass der Kläger eine Korrektur der Arbeits­zeit­konten verlangen könne, weil sich die Beklagte nicht im Annah­me­verzug befunden habe. Denn der Kläger habe die geschuldete Arbeits­leistung nicht am rechten Ort, zur rechten Zeit tatsächlich angeboten. (Mehr zum Thema Annah­me­verzug können Sie hier lesen.)

Der Kläger sei an die Konkre­ti­sierung des Sprin­ger­dienstes durch die in Ausübung ihres Direk­ti­ons­rechts erteilte Weisung der Beklagten gebunden. Diese sei ihm auch zugegangen. Insoweit treffe ihn eine Pflicht zur Kenntnisnahme.

 

Konkretisierung des Springerdienstes ist keine Dienstplanänderung

Die Regelungen der Betriebs­ver­ein­barung seien dahin­gehend zu verstehen, dass es bei Konkre­ti­sie­rungen von bereits festge­legten Sprin­ger­diensten nicht um Änderungen des Dienst­plans gehe. Daher liege hier kein Eingriff in die grund­le­gende Jahres­planung vor, weswegen hier auch der Betriebsrat nicht zu betei­ligen sei.

Der Ist‐Dienstplan des Jahres 2021 enthielt für den Kläger in den gegen­ständ­lichen Zeiträumen jeweils einen unkonkret zugeteilten Sprin­ger­dienst. Dieser sei dann wirksam innerhalb des Zeitfensters bis 20:00 Uhr des Vortags vor Dienst­beginn durch entspre­chende Weisung weiter konkre­ti­siert worden. Daher stünde die Aufnahme des Dienstes auch nicht unter einem Freiwilligkeitsvorbehalt.

Arbeit auf Abruf nach dem TzBfG sei ebenfalls nicht vereinbart und liege hier auch nicht vor.

 

Pflicht zur Kenntnisnahme auch in der Freizeit

Die wirksame Konkre­ti­sierung des Sprin­ger­dienstes sei dem Kläger auch recht­zeitig, jeweils am Vortag per SMS zugegangen. Der Kläger habe als Folge der Regelungen der Betriebs­ver­ein­barung eine arbeits­ver­trag­liche Neben­pflicht, die Zuteilung des Dienstes zur Kenntnis zu nehmen.

Die Kennt­nis­nahme von der Zuteilung von konkre­ti­sierten Tag‐ und Spätdiensten sei eine leistungs­si­chernde Neben­pflicht, ohne deren Erfüllung der Arbeit­nehmer den angestrebten Leistungs­erfolg nicht erbringen könne.

Dieser Pflicht zur Kennt­nis­nahme habe er daher auch außerhalb seiner eigent­lichen Dienstzeit als Notfall­sa­ni­täter nachzu­kommen, da er sonst dem Dienst­an­tritt wie zugewiesen nicht nachkommen könne.

Dabei sei es ihm überlassen, wann und wo er von der SMS mit der Konkre­ti­sierung des Sprin­ger­dienstes Kenntnis nehmen wollte. Aufgrund der Zuteilung eines unkon­kreten Tagdienstes in dem ihm bekannten Dienstplan sei er bereits infor­miert gewesen, dass der späteste Dienst­beginn zwischen 06:00 Uhr und 09:00 Uhr liegen würde. Er habe auch nicht mit der Beklagten in Kommu­ni­kation treten, sondern lediglich Kenntnis von der Zuteilung des Dienstes nehmen müssen.

 

Keine Unterbrechung der Freizeit durch Kenntnisnahme der SMS

Bei der Kennt­nis­nahme der Weisung zum konkre­ti­sierten Dienst handele es sich nicht um Arbeitszeit im arbeits­schutz­recht­liche Sinne nach dem EU‐Recht. Danach sei Arbeitszeit „jede Zeitspanne, während der ein Arbeit­nehmer … arbeitet, dem Arbeit­geber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt“. Ruhezeit sei dagegen „jede Zeitspanne außerhalb der Arbeitszeit“. Würden dem Arbeit­nehmer Einschrän­kungen von solcher Art und Inten­sität auferlegt werden, dass sie seine Möglichkeit, die Zeit frei zu gestalten und sich seinen eigenen Inter­essen zu widmen, objektiv gesehen ganz erheblich beein­trächtigt wären, läge Arbeitszeit vor.

Dies sei hier jedoch nicht der Fall, denn der eigent­liche Moment der Kennt­nis­nahme der SMS stelle sich als zeitlich derart gering­fügig dar, dass auch insoweit von einer ganz erheb­lichen Beein­träch­tigung der Nutzung der freien Zeit nicht ausge­gangen werden könne. Eine Freizeit­planung sei trotz der vorge­se­henen kurzfris­tigen Konkre­ti­sierung des Sprin­ger­dienstes möglich.

 

Fazit

Die Arbeit­ge­berin war hier zum Ausspruch der Abmahnung und dem Abzug der Stunden aus dem Arbeits­zeit­konto berechtigt. Denn der Arbeit­nehmer hat gegen seine arbeits­ver­trag­liche Pflicht zur Kennt­nis­nahme der Weisungen zur früheren Aufnahme seines Dienstes verstoßen, indem er die SMS seiner Arbeit­ge­berin ignorierte.

Im Arbeits­ver­hältnis kann es eine Vielzahl von Neben­pflichten geben, die dazu dienen, die Haupt­leis­tungs­pflichten vorzu­be­reiten oder zu unter­stützen. Das Bundes­ar­beits­ge­richt hat diesbe­züglich auch früher schon anerkannt, dass dabei nicht jede Zeit zur Erfüllung von Verpflich­tungen aus dem Arbeits­ver­hältnis auch als Arbeitszeit bewertet werden muss. (BAG, Urt. v. 02.11.2016 – 10 AZR 596/15)

Im Einzelfall muss zwischen den Inter­essen des Arbeit­gebers an der Arbeits­vor­be­reitung und dem Interesse des Arbeit­nehmers abgewogen werden.

Das Bundes­ar­beits­ge­richt sah im hiesigen Fall zum einen in der Konkre­ti­sierung des Sprin­ger­dienstes keine Dienst­plan­än­derung. Zum anderen, wertete das Bundes­ar­beits­ge­richt, im Gegensatz zum Landes­ar­beits­ge­richt Schleswig‐Hollstein, die Kennt­nis­nahme der SMS als „mit so geringem Zeitaufwand verbunden“, dass hierin keine Unter­bre­chung der Ruhezeit und damit auch keine Arbeitszeit vorliege.

Während das Landes­ar­beits­ge­richt Schleswig‐Holstein katego­risch jeglicher berufs­be­zo­genen Tätigkeit während der Freizeit ausschloss, stellte das Bundes­ar­beits­ge­richt auf die Inten­sität und den zeitlichen Aufwand der Tätigkeit in der Freizeit ab. Zudem berück­sich­tigte das Bundes­ar­beits­ge­richt, dass der Kläger wegen der Eigenart des unkon­kreten Sprin­ger­dienstes mit einer Konkre­ti­sierung rechnen konnte und musste.

Die Entscheidung des Bundes­ar­beits­ge­richtes orien­tierte sich hier aller­dings sehr stark an den Regelungen der Betriebs­ver­ein­barung. Eine feste Grenze, wann die Inten­sität der Tätigkeit als Arbeits­leistung zu werten ist, stellt das Bundes­ar­beits­ge­richt nicht auf.

Ob die Freizeit durch Handlungen beein­trächtigt ist, bleibt daher jeweils eine Frage des Einzelfalls.

Eine Antwort

  1. Da ich auch Arbeit­nehmer bin, kann ich es verstehen, dass der Arbeit­nehmer die SMS ignoriert hat. Aber nach der Regelung Arbeitszeit im EU‐Arbeitsrecht verstehe ich das Urteil. Die Kennt­nis­nahme der SMS ist nun wirklich ein kleiner Zeitaufwand und sollte nicht die Freizeit beein­flussen. Es ist gut von diesem Urteil zu wissen, also werde ich in Zukunft auch Arbeits‐SMS zur Kenntnis nehmen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

SI Rechtsanwaltsgesellschaft mbH