Pflicht zur Kenntnisnahme einer dienstlichen SMS in der Freizeit
Ist dem Arbeitnehmer auf der Grundlage der betrieblichen Regelungen bekannt, dass der Arbeitgeber die Arbeitsleistung für den darauffolgenden Tag in Bezug auf Uhrzeit und Ort konkretisieren wird, besteht eine Pflicht zur Kenntnisnahme einer solchen, per SMS mitgeteilten Weisung auch in seiner Freizeit. Bei der Kenntnisnahme der Weisung zum konkretisierten Dienst handele es sich nicht um Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtliche Sinne. Die Kenntnisnahme einer SMS stellt sich als zeitlich derart geringfügig dar, dass nicht von einer ganz erheblichen Beeinträchtigung der Nutzung der freien Zeit ausgegangen werden kann. Die Ruhezeit wird dadurch nicht unterbrochen.
So hat das Bundesarbeitsgericht in einem jetzt veröffentlichten Urteil entschieden.
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Zum Fall
Ein Arbeitnehmer war bei der beklagten Arbeitgeberin seit Januar 2003 als Notfallsanitäter in Schleswig‐Holstein in Vollzeit tätig. Für den Betrieb bestand eine Betriebsvereinbarung (BVA – „Arbeitszeitgrundsätze in der RKISH“), die auch für Notfallsanitäter galt.
Die Betriebsvereinbarung
Die Betriebsvereinbarung regelt die Erstellung des Rahmendienstplans, aus dem sich eine verbindliche Vorplanung der Schichtarten, Schichtlängen und die sich daraus ergebende Festlegung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit für die Dienstschichten, sowie der Springerdienste ergibt. Schichtgleiche Änderungen im Dienstplan sind dem Betriebsrat vorzulegen. Spätere Änderungen sind für den Mitarbeiter freiwillig.
Neben dem Soll‐Dienstplan gibt es einen Ist‐Dienstplan, in dem sämtliche kurzfristige Änderungen bei den noch nicht besetzten Springerdiensten vorgenommen werden. Der aktuelle Ist‐Dienstplan ist über das Internet einsehbar.
Springerdienste werden einem Wochentag der Vertreterwoche durch konkrete Schichtzuweisung verbindlich zugewiesen. Wenn ein Springerdienst nicht konkret zuweisbar ist, werden unkonkrete Dienste zugewiesen. Unkonkret zugeteilte Springerdienste können für Tag‐ und Spätdienste bis 20 Uhr des Vortags vor Dienstbeginn im Dienstplan weiter konkretisiert werden. Geschieht dies nicht, findet sich der Mitarbeiter zu Dienstbeginn am vom Arbeitgeber zugewiesenen Dienstort ein.
Der Springerdienst im April und September
Die Arbeitgeberin teilte den Rettungssanitäter in den zwei streitgegenständlichen Zeiträumen im April und September 2021 jeweils zu einem unkonkreten Springerdienst ein. Einen Tag vor Dienstbeginn wies die Arbeitgeberin ihm jeweils einen Dienst mit einem früheren Dienstbeginn als der normale Arbeitsbeginn zu. In einem der Fälle wurde auch ein anderer Dienstort zugewiesen. Dies teilte ihm die Arbeitgeberin jeweils am Vortag – der Arbeitnehmer war jeweils von der Arbeitspflicht befreit – um 13:20 Uhr bzw. 9:15 Uhr, per SMS (und E‑Mail) mit, nachdem sie den Arbeitnehmer nicht telefonisch erreichen konnte. Die Konkretisierung des Springerdienstes wurde jeweils in den Ist‐Dienstplan eingetragen.
Der Rettungssanitäter meldete sich jeweils am nächsten Tag zum ursprünglich festgesetzten Arbeitsbeginn arbeitsbereit. Die beklagte Arbeitgeberin setzte ihn dann aber an diesen Tagen nicht weiter ein, wertete die Tage als unentschuldigte Fehltage, zog ihm die Stunden von seinem Unterkonto des Arbeitszeitkontos ab und erteilte ihm eine Abmahnung.
Die Klage
Daraufhin klagte der Arbeitnehmer und verlangte die Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte, sowie die abgezogenen Arbeitsstunden wieder seinem Arbeitszeitkonto gutzuschreiben.
Er war der Ansicht, dass er zur Übernahme der Dienste nicht verpflichtet gewesen sei. Wegen der kurzfristigen Dienstplanänderungen hätte eine Übernahme des Dienstes allenfalls freiwillig erfolgen können. Er sei nicht verpflichtet, sich während seiner Freizeit über die Dienstzuteilung zu informieren. Auch leiste er faktisch Arbeit auf Abruf, weshalb eine Ankündigungsfrist von vier Tagen einzuhalten gewesen sei und die Weisungen seien wegen fehlender Beteiligung des Betriebsrates unwirksam.
Vorinstanzen
Das Arbeitsgericht Elmshorn (– Kammer Mehldorf – 5 Ca 1023 a/21) wies die Klage ab. Die Arbeitszuweisungen seien im Einklang mit den Reglungen der Betriebsvereinbarung vorgenommen worden. Es sein auch nicht gegen die Grundsätze der Abrufarbeit verstoßen worden. Der Kläger sei aufgrund einer arbeitsvertraglichen Nebenpflicht verpflichtet, sich nach dem Beginn seines Dienstes zu erkundigen.
Dies sah das Landesarbeitsgericht Schleswig‐Holstein anders und gab der gegen das Urteil eingereichten Berufung statt.
Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Schleswig‐Holstein
Durch die Änderung eines Dienstplanes eines Mitarbeiters habe der Arbeitgeber sein Direktionsrecht ausgeübt. Diese Ausübung bzw. Änderung sei dem Mitarbeiter aber nicht zugegangen, da er in seiner Freizeit nicht verpflichtet sei, sich zu erkundigen, ob sein Dienstplan geändert worden sei oder Mitteilungen seines Arbeitgebers, per Telefon oder SMS, entgegenzunehmen. Eine Pflicht zur Kenntnisnahme einer dienstlichen SMS bestünde nicht. Das Lesen einer dienstlichen SMS sei Arbeitszeit, denn mit dem Lesen einer dienstlichen SMS erbringe der Arbeitnehmer Arbeitsleistung. In seiner Freizeit stehe dem Arbeitnehmer das Recht auf Nichterreichbarkeit zu. Freizeit zeichne sich gerade dadurch aus, dass der Arbeitnehmer in diesem Zeitraum dem Arbeitgeber nicht zur Verfügung stehen müssen. Der Arbeitnehmer verhalte sich daher nicht treuwidrig, wenn er darauf bestehe, in seiner Freizeit keiner dienstlichen Tätigkeit nachzugehen und lehne die Entgegennahme daher nicht grundlos ab.
Der geringe zeitlich Aufwand, der für das Lesen einer SMS notwendig sei, ändere nichts an der Wertung, dass dies Arbeitszeit sei. Arbeit werde nicht deswegen zur Freizeit, weil sie nur in zeitlich geringfügigem Umfang anfalle.
Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts
Das Bundesarbeitsgericht entschied in der dagegen eingelegten Revision aber anders und hob das Urteil des Landesarbeitsgericht Schleswig‐Holstein auf.
Das Landesarbeitsgericht habe rechtsfehlerhaft angenommen, dass der Kläger eine Korrektur der Arbeitszeitkonten verlangen könne, weil sich die Beklagte nicht im Annahmeverzug befunden habe. Denn der Kläger habe die geschuldete Arbeitsleistung nicht am rechten Ort, zur rechten Zeit tatsächlich angeboten. (Mehr zum Thema Annahmeverzug können Sie hier lesen.)
Der Kläger sei an die Konkretisierung des Springerdienstes durch die in Ausübung ihres Direktionsrechts erteilte Weisung der Beklagten gebunden. Diese sei ihm auch zugegangen. Insoweit treffe ihn eine Pflicht zur Kenntnisnahme.
Konkretisierung des Springerdienstes ist keine Dienstplanänderung
Die Regelungen der Betriebsvereinbarung seien dahingehend zu verstehen, dass es bei Konkretisierungen von bereits festgelegten Springerdiensten nicht um Änderungen des Dienstplans gehe. Daher liege hier kein Eingriff in die grundlegende Jahresplanung vor, weswegen hier auch der Betriebsrat nicht zu beteiligen sei.
Der Ist‐Dienstplan des Jahres 2021 enthielt für den Kläger in den gegenständlichen Zeiträumen jeweils einen unkonkret zugeteilten Springerdienst. Dieser sei dann wirksam innerhalb des Zeitfensters bis 20:00 Uhr des Vortags vor Dienstbeginn durch entsprechende Weisung weiter konkretisiert worden. Daher stünde die Aufnahme des Dienstes auch nicht unter einem Freiwilligkeitsvorbehalt.
Arbeit auf Abruf nach dem TzBfG sei ebenfalls nicht vereinbart und liege hier auch nicht vor.
Pflicht zur Kenntnisnahme auch in der Freizeit
Die wirksame Konkretisierung des Springerdienstes sei dem Kläger auch rechtzeitig, jeweils am Vortag per SMS zugegangen. Der Kläger habe als Folge der Regelungen der Betriebsvereinbarung eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht, die Zuteilung des Dienstes zur Kenntnis zu nehmen.
Die Kenntnisnahme von der Zuteilung von konkretisierten Tag‐ und Spätdiensten sei eine leistungssichernde Nebenpflicht, ohne deren Erfüllung der Arbeitnehmer den angestrebten Leistungserfolg nicht erbringen könne.
Dieser Pflicht zur Kenntnisnahme habe er daher auch außerhalb seiner eigentlichen Dienstzeit als Notfallsanitäter nachzukommen, da er sonst dem Dienstantritt wie zugewiesen nicht nachkommen könne.
Dabei sei es ihm überlassen, wann und wo er von der SMS mit der Konkretisierung des Springerdienstes Kenntnis nehmen wollte. Aufgrund der Zuteilung eines unkonkreten Tagdienstes in dem ihm bekannten Dienstplan sei er bereits informiert gewesen, dass der späteste Dienstbeginn zwischen 06:00 Uhr und 09:00 Uhr liegen würde. Er habe auch nicht mit der Beklagten in Kommunikation treten, sondern lediglich Kenntnis von der Zuteilung des Dienstes nehmen müssen.
Keine Unterbrechung der Freizeit durch Kenntnisnahme der SMS
Bei der Kenntnisnahme der Weisung zum konkretisierten Dienst handele es sich nicht um Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtliche Sinne nach dem EU‐Recht. Danach sei Arbeitszeit „jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer … arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt“. Ruhezeit sei dagegen „jede Zeitspanne außerhalb der Arbeitszeit“. Würden dem Arbeitnehmer Einschränkungen von solcher Art und Intensität auferlegt werden, dass sie seine Möglichkeit, die Zeit frei zu gestalten und sich seinen eigenen Interessen zu widmen, objektiv gesehen ganz erheblich beeinträchtigt wären, läge Arbeitszeit vor.
Dies sei hier jedoch nicht der Fall, denn der eigentliche Moment der Kenntnisnahme der SMS stelle sich als zeitlich derart geringfügig dar, dass auch insoweit von einer ganz erheblichen Beeinträchtigung der Nutzung der freien Zeit nicht ausgegangen werden könne. Eine Freizeitplanung sei trotz der vorgesehenen kurzfristigen Konkretisierung des Springerdienstes möglich.
Fazit
Die Arbeitgeberin war hier zum Ausspruch der Abmahnung und dem Abzug der Stunden aus dem Arbeitszeitkonto berechtigt. Denn der Arbeitnehmer hat gegen seine arbeitsvertragliche Pflicht zur Kenntnisnahme der Weisungen zur früheren Aufnahme seines Dienstes verstoßen, indem er die SMS seiner Arbeitgeberin ignorierte.
Im Arbeitsverhältnis kann es eine Vielzahl von Nebenpflichten geben, die dazu dienen, die Hauptleistungspflichten vorzubereiten oder zu unterstützen. Das Bundesarbeitsgericht hat diesbezüglich auch früher schon anerkannt, dass dabei nicht jede Zeit zur Erfüllung von Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis auch als Arbeitszeit bewertet werden muss. (BAG, Urt. v. 02.11.2016 – 10 AZR 596/15)
Im Einzelfall muss zwischen den Interessen des Arbeitgebers an der Arbeitsvorbereitung und dem Interesse des Arbeitnehmers abgewogen werden.
Das Bundesarbeitsgericht sah im hiesigen Fall zum einen in der Konkretisierung des Springerdienstes keine Dienstplanänderung. Zum anderen, wertete das Bundesarbeitsgericht, im Gegensatz zum Landesarbeitsgericht Schleswig‐Hollstein, die Kenntnisnahme der SMS als „mit so geringem Zeitaufwand verbunden“, dass hierin keine Unterbrechung der Ruhezeit und damit auch keine Arbeitszeit vorliege.
Während das Landesarbeitsgericht Schleswig‐Holstein kategorisch jeglicher berufsbezogenen Tätigkeit während der Freizeit ausschloss, stellte das Bundesarbeitsgericht auf die Intensität und den zeitlichen Aufwand der Tätigkeit in der Freizeit ab. Zudem berücksichtigte das Bundesarbeitsgericht, dass der Kläger wegen der Eigenart des unkonkreten Springerdienstes mit einer Konkretisierung rechnen konnte und musste.
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes orientierte sich hier allerdings sehr stark an den Regelungen der Betriebsvereinbarung. Eine feste Grenze, wann die Intensität der Tätigkeit als Arbeitsleistung zu werten ist, stellt das Bundesarbeitsgericht nicht auf.
Ob die Freizeit durch Handlungen beeinträchtigt ist, bleibt daher jeweils eine Frage des Einzelfalls.
One Response
Da ich auch Arbeitnehmer bin, kann ich es verstehen, dass der Arbeitnehmer die SMS ignoriert hat. Aber nach der Regelung Arbeitszeit im EU‐Arbeitsrecht verstehe ich das Urteil. Die Kenntnisnahme der SMS ist nun wirklich ein kleiner Zeitaufwand und sollte nicht die Freizeit beeinflussen. Es ist gut von diesem Urteil zu wissen, also werde ich in Zukunft auch Arbeits‐SMS zur Kenntnis nehmen.