Entgeltfortzahlung auch bei Corona‐Infektion ohne vorherige Schutzimpfung
Eine Corona‐Infektion stellt auch bei einem symptomlosen Verlauf eine Krankheit nach § 3 Abs. 1 EFZG dar, die zur Arbeitsunfähigkeit führt, wenn es dem Arbeitnehmer infolge einer behördlichen Absonderungsanordnung rechtlich unmöglich ist, die geschuldete Tätigkeit bei dem Arbeitgeber zu erbringen und eine Erbringung in der häuslichen Umgebung nicht in Betracht kommt.
Dies hat das Bundesarbeitsgericht in einer Pressemitteilung zum Urteil vom 20.03.2024 veröffentlicht.
table of contents
Die Grundlagen
§ 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG)
Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, so hat er Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen.
Krankheit im Sinne des Entgeltfortzahlungsgesetzes
Als Krankheit im Sinne von § 3 Absatz 1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz wird regelwidriger körperlicher oder geistiger Zustand verstanden. Was regelwidrig ist, bestimmt sich nach dem Stand der (medizinischen) Wissenschaft. Ob der regelwidrige Zustand einer Heilbehandlung bedarf, ist nicht maßgebend.
(So auch LArbG Berlin‐Brandenburg, Urteil vom 19. Dezember 2023 – 8 Sa 837/23 –, LAG Schleswig‐Holstein 06.07.2023 – 4 Sa 39 öD/23)
Arbeitsunfähigkeit
„Arbeitsunfähigkeit im Sinne des § 3 Absatz 1 Satz 1 EFZG besteht, wenn eine Arbeitnehmerin infolge Krankheit ihre/seine vertraglich geschuldete Tätigkeit objektiv nicht ausüben kann oder objektiv nicht ausüben sollte, weil die Heilung nach ärztlicher Prognose hierdurch verhindert oder verzögert würde.“
(LArbG Berlin‐Brandenburg, Urteil vom 19. Dezember 2023 – 8 Sa 837/23 – ; BAG 26.10.2016 – 5 AZR 167/16 –)
Monokausalität (Alleinursächlichkeit)
Die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit muss, um einen Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 3 Absatz 1 Satz 1 EFZG auszulösen, die alleinige Ursache für den Ausfall der Arbeitsleistung sein (Monokausalität). Mit anderen Worten: der Arbeitgeber ist nur dann zur Entgeltfortzahlung ohne Gegenleistung verpflichtet, wenn der Arbeitnehmer ohne die Erkrankung gearbeitet hätte.
(siehe auch: LArbG Berlin‐Brandenburg, Urteil vom 19. Dezember 2023 – 8 Sa 837/23 –)
Schuldhaft im Sinne des Entgeltfortzahlungsgesetzes
Schuldhaft i.S.d. Entgeltfortzahlungsrechts handelt nur derjenige Arbeitnehmer, der nach objektivem Maßstab in erheblichem Maße gegen die von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhaltensweise verstößt.
Dazu müsste der Arbeitnehmer grob gegen das angenommene Eigeninteresse eines – hypothetischen – verständigen Menschen verstoßen und damit „leichtfertig“ oder „vorsätzlich“ handeln also beispielsweise Vorkehrungen unterlassen, durch die seine Arbeitsunfähigkeit hätte vermieden oder verringert werden können.
Zum Sachverhalt
Der Kläger ist bei der Beklagten, die in der kunststoffverarbeitenden Industrie tätig ist, als Produktionsmitarbeiter beschäftigt. Der Arbeitnehmer hatte sich während der Corona‐Pandemie nicht gegen das COVID‐19 Virus impfen lassen. Am 26. Dezember 2021 wurde bei ihm mittels eines PCR‐Tests das CORONA‐Virus nachgewiesen. Er zeigte auch die entsprechenden Symptome wie Husten, Schnupfen und Kopfschmerzen.
Vom 27. Dezember 2021 bis zum 31. Dezember 2021 war er deswegen arbeitsunfähig krankgeschrieben. Die Arbeitgeberin leistete für diese Zeit Entgeltfortzahlung.
Am 29. Dezember 2021 ordnete die zuständige Gemeinde für ihn bis zum 12. Januar 2022 Isolierung (Quarantäne) in häuslicher Umgebung an.
Der Arzt des Arbeitnehmers lehnte die Ausstellung einer Folgearbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab. Das positive Testergebnis und die Absonderungsanordnung der Gemeinde würden als Nachweis der Arbeitsunfähigkeit ausreichen.
Dies sah die Arbeitgeberin anders und zog dem Arbeitnehmer 1.019,65 € vom Lohn ab.
Der Arbeitnehmer reichte dagegen Klage beim Arbeitsgericht ein.
Verfahrensgang
Das Arbeitsgericht Rheine (3 Ca 530/22) wies die Klage ab. Das Landearbeitsgericht Hamm (Urteil vom 24. August 2023 – 15 Sa 1033/22) änderte dessen Urteil aber ab und verurteilte die beklagte Arbeitgeberin zur Zahlung.
Der Arbeitnehmer sei aufgrund der COVID‐19‐Erkrankung infolge Krankheit objektiv an seiner Arbeitsleistung verhindert, wenn er sich in Quarantäne begeben muss, es sei denn, der Arbeitgeber könne von ihm verlangen, im Homeoffice zu arbeiten. Im vorliegenden Fall sei aber die Beschäftigung als Produktionsmitarbeiter im Homeoffice nicht möglich gewesen. Die nach § § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG erforderliche Monokausalität sei gegeben. Die Krankheit mache ihm damit die Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung rechtlich unmöglich.
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes
Die Arbeitgeberin ging gegen dieses Urteil in Revision, unterlag aber vor dem Bundesarbeitsgericht.
Das Bundesarbeitsgericht bestätigte die Sicht des Landesarbeitsgerichts Hamm, dass der klagende Arbeitnehmer infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert war.
Es käme nicht darauf an, ob bei dem Arbeitnehmer durchgängig Symptome von COVID‐19 vorlagen. Die SARS‐CoV‐2‐Infektion stelle einen regelwidrigen Körperzustand und damit eine Krankheit dar. Diese habe zur Arbeitsunfähigkeit geführt. Die Absonderungsanordnung der Gemeinde sei keine eigenständige, parallele Ursache für die Arbeitsunfähigkeit, sondern beruhe gerade auf der Infektion, die eine nicht hinwegzudenkende Ursache für die Anordnung sei. Daher bestehe Monokausalität. Somit sei es dem Kläger rechtliche nicht möglich gewesen, seine geschuldete Arbeitsleistung im Betrieb der Beklagten zu erbringen.
Wie auch das Landesarbeitsgericht war das Bundesarbeitsgericht der Ansicht, es könne nicht mit der gebotenen Sicherheit festgestellt werden, dass das Unterlassen der empfohlenen Corona‐Schutzimpfung für die SARS‐CoV‐2‐Infektion ursächlich gewesen sei. Aufgrund der wöchentlichen Lageberichte des RKI und dessen Einschätzung der Impfeffektivität ließe sich nicht zwingend schließen, dass Ende Dezember 2021/Anfang Januar 2022 die beim Kläger aufgetretene Corona‐Infektion durch die Inanspruchnahme der Schutzimpfung hätte verhindert werden können. Daher habe der Kläger seine Arbeitsunfähigkeit auch nicht verschuldet.
Der Beklagten stünde auch ein Leistungsverweigerungsrecht wegen nicht vorgelegter Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG nicht zu. Denn der Kläger habe durch Vorlage der Absonderungsanordnung der Gemeinde „in anderer, geeigneter Weise“ nachgewiesen, infolge seiner Corona‐Infektion objektiv an der Erbringung seiner Arbeitsleistung verhindert zu sein.