Entgeltfortzahlung auch bei Corona-Infektion ohne vorherige Schutzimpfung

Entgeltfortzahlung auch bei Corona‐Infektion ohne vorherige Schutzimpfung

3. Mai 2024 Allgemein 0

Eine Corona‐Infektion stellt auch bei einem symptom­losen Verlauf eine Krankheit nach § 3 Abs. 1 EFZG dar, die zur Arbeits­un­fä­higkeit führt, wenn es dem Arbeit­nehmer infolge einer behörd­lichen Abson­de­rungs­an­ordnung rechtlich unmöglich ist, die geschuldete Tätigkeit bei dem Arbeit­geber zu erbringen und eine Erbringung in der häuslichen Umgebung nicht in Betracht kommt.

Dies hat das Bundes­ar­beits­ge­richt in einer Presse­mit­teilung zum Urteil vom 20.03.2024 veröffentlicht.

– 5 AZR 234/23 –
 

Die Grundlagen

 

§ 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG)

Wird ein Arbeit­nehmer durch Arbeits­un­fä­higkeit infolge Krankheit an seiner Arbeits­leistung verhindert, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, so hat er Anspruch auf Entgelt­fort­zahlung im Krank­heitsfall durch den Arbeit­geber für die Zeit der Arbeits­un­fä­higkeit bis zur Dauer von sechs Wochen.

 

Krankheit im Sinne des Entgeltfortzahlungsgesetzes

Als Krankheit im Sinne von § 3 Absatz 1 Satz 1 Entgelt­fort­zah­lungs­gesetz wird regel­wid­riger körper­licher oder geistiger Zustand verstanden. Was regel­widrig ist, bestimmt sich nach dem Stand der (medizi­ni­schen) Wissen­schaft. Ob der regel­widrige Zustand einer Heilbe­handlung bedarf, ist nicht maßgebend.

(So auch LArbG Berlin‐Brandenburg, Urteil vom 19. Dezember 2023 – 8 Sa 837/23 –, LAG Schleswig‐Holstein 06.07.2023 – 4 Sa 39 öD/23)

 

Arbeitsunfähigkeit

„Arbeits­un­fä­higkeit im Sinne des § 3 Absatz 1 Satz 1 EFZG besteht, wenn eine Arbeit­neh­merin infolge Krankheit ihre/seine vertraglich geschuldete Tätigkeit objektiv nicht ausüben kann oder objektiv nicht ausüben sollte, weil die Heilung nach ärztlicher Prognose hierdurch verhindert oder verzögert würde.“

(LArbG Berlin‐Brandenburg, Urteil vom 19. Dezember 2023 – 8 Sa 837/23 – ; BAG 26.10.2016 – 5 AZR 167/16 –)

 

Monokausalität (Alleinursächlichkeit)

Die krank­heits­be­dingte Arbeits­un­fä­higkeit muss, um einen Entgelt­fort­zah­lungs­an­spruch nach § 3 Absatz 1 Satz 1 EFZG auszu­lösen, die alleinige Ursache für den Ausfall der Arbeits­leistung sein (Monokau­sa­lität). Mit anderen Worten: der Arbeit­geber ist nur dann zur Entgelt­fort­zahlung ohne Gegen­leistung verpflichtet, wenn der Arbeit­nehmer ohne die Erkrankung gearbeitet hätte.

(siehe auch: LArbG Berlin‐Brandenburg, Urteil vom 19. Dezember 2023 – 8 Sa 837/23 –)

 

Schuldhaft im Sinne des Entgeltfortzahlungsgesetzes

Schuldhaft i.S.d. Entgelt­fort­zah­lungs­rechts handelt nur derjenige Arbeit­nehmer, der nach objek­tivem Maßstab in erheb­lichem Maße gegen die von einem verstän­digen Menschen im eigenen Interesse zu erwar­tende Verhal­tens­weise verstößt.

Dazu müsste der Arbeit­nehmer grob gegen das angenommene Eigen­in­teresse eines – hypothe­ti­schen – verstän­digen Menschen verstoßen und damit „leicht­fertig“ oder „vorsätzlich“ handeln also beispiels­weise Vorkeh­rungen unter­lassen, durch die seine Arbeits­un­fä­higkeit hätte vermieden oder verringert werden können.

 

Zum Sachverhalt

Der Kläger ist bei der Beklagten, die in der kunst­stoff­ver­ar­bei­tenden Industrie tätig ist, als Produk­ti­ons­mit­ar­beiter beschäftigt. Der Arbeit­nehmer hatte sich während der Corona‐Pandemie nicht gegen das COVID‐19 Virus impfen lassen. Am 26. Dezember 2021 wurde bei ihm mittels eines PCR‐Tests das CORONA‐Virus nachge­wiesen. Er zeigte auch die entspre­chenden Symptome wie Husten, Schnupfen und Kopfschmerzen.

Vom 27. Dezember 2021 bis zum 31. Dezember 2021 war er deswegen arbeits­un­fähig krank­ge­schrieben. Die Arbeit­ge­berin leistete für diese Zeit Entgeltfortzahlung.

Am 29. Dezember 2021 ordnete die zuständige Gemeinde für ihn bis zum 12. Januar 2022 Isolierung (Quarantäne) in häuslicher Umgebung an.

Der Arzt des Arbeit­nehmers lehnte die Ausstellung einer Folge­ar­beits­un­fä­hig­keits­be­schei­nigung ab. Das positive Testergebnis und die Abson­de­rungs­an­ordnung der Gemeinde würden als Nachweis der Arbeits­un­fä­higkeit ausreichen.

Dies sah die Arbeit­ge­berin anders und zog dem Arbeit­nehmer 1.019,65 € vom Lohn ab.

Der Arbeit­nehmer reichte dagegen Klage beim Arbeits­ge­richt ein.

 

Verfahrensgang

Das Arbeits­ge­richt Rheine (3 Ca 530/22) wies die Klage ab. Das Lande­ar­beits­ge­richt Hamm (Urteil vom 24. August 2023 – 15 Sa 1033/22) änderte dessen Urteil aber ab und verur­teilte die beklagte Arbeit­ge­berin zur Zahlung.

Der Arbeit­nehmer sei aufgrund der COVID‐19‐Erkrankung infolge Krankheit objektiv an seiner Arbeits­leistung verhindert, wenn er sich in Quarantäne begeben muss, es sei denn, der Arbeit­geber könne von ihm verlangen, im Homeoffice zu arbeiten. Im vorlie­genden Fall sei aber die Beschäf­tigung als Produk­ti­ons­mit­ar­beiter im Homeoffice nicht möglich gewesen. Die nach § § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG erfor­der­liche Monokau­sa­lität sei gegeben. Die Krankheit mache ihm damit die Erbringung der geschul­deten Arbeits­leistung rechtlich unmöglich.

 

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes

Die Arbeit­ge­berin ging gegen dieses Urteil in Revision, unterlag aber vor dem Bundesarbeitsgericht.

Das Bundes­ar­beits­ge­richt bestä­tigte die Sicht des Landes­ar­beits­ge­richts Hamm, dass der klagende Arbeit­nehmer infolge Krankheit an seiner Arbeits­leistung verhindert war.

Es käme nicht darauf an, ob bei dem Arbeit­nehmer durch­gängig Symptome von COVID‐19 vorlagen. Die SARS‐CoV‐2‐Infektion stelle einen regel­wid­rigen Körper­zu­stand und damit eine Krankheit dar. Diese habe zur Arbeits­un­fä­higkeit geführt. Die Abson­de­rungs­an­ordnung der Gemeinde sei keine eigen­ständige, parallele Ursache für die Arbeits­un­fä­higkeit, sondern beruhe gerade auf der Infektion, die eine nicht hinweg­zu­den­kende Ursache für die Anordnung sei. Daher bestehe Monokau­sa­lität. Somit sei es dem Kläger recht­liche nicht möglich gewesen, seine geschuldete Arbeits­leistung im Betrieb der Beklagten zu erbringen.

Wie auch das Landes­ar­beits­ge­richt war das Bundes­ar­beits­ge­richt der Ansicht, es könne nicht mit der gebotenen Sicherheit festge­stellt werden, dass das Unter­lassen der empfoh­lenen Corona‐Schutzimpfung für die SARS‐CoV‐2‐Infektion ursächlich gewesen sei. Aufgrund der wöchent­lichen Lagebe­richte des RKI und dessen Einschätzung der Impfef­fek­ti­vität ließe sich nicht zwingend schließen, dass Ende Dezember 2021/Anfang Januar 2022 die beim Kläger aufge­tretene Corona‐Infektion durch die Inanspruch­nahme der Schutz­impfung hätte verhindert werden können. Daher habe der Kläger seine Arbeits­un­fä­higkeit auch nicht verschuldet.

Der Beklagten stünde auch ein Leistungs­ver­wei­ge­rungs­recht wegen nicht vorge­legter Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­nigung gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG nicht zu. Denn der Kläger habe durch Vorlage der Abson­de­rungs­an­ordnung der Gemeinde „in anderer, geeig­neter Weise“ nachge­wiesen, infolge seiner Corona‐Infektion objektiv an der Erbringung seiner Arbeits­leistung verhindert zu sein.

(Bundes­ar­beits­ge­richt, Urteil vom 20. März 2024 – 5 AZR 234/23 –)

 

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