Kündigungsgrund YouTube‐Video „Wie entsteht eine Lüge“
Die Kündigung eines Auszubildendenverhältnisses gegen einen Auszubildenden, der ein YouTube‐Video mit dem Titel „Wie entsteht eine Lüge“ über die Berichterstattung seiner Arbeitgeberin zum Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 veröffentlicht hat ist wirksam.
Dies hat das Arbeitsgericht Berlin in seinem Urteil vom 22.05.2024, (Aktenzeichen 37 Ca 12701/23) entschieden.
Grundsätzliches
Maßregelungsverbot des § 612a BGB
Gemäß § 612a BGB darf ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer bei einer Vereinbarung oder einer Maßnahme nicht benachteiligen, weil diese in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Demzufolge ist auch eine Kündigung unwirksam, wenn deren Ursache objektiv allein in der Rechtsausübung des Arbeitnehmers liegt oder der tragende Beweggrund des Arbeitgebers für die Kündigung in dieser Rechtsausübung liegt.
Das Maßregelungsverbot erfasst sämtliches tatsächliches und rechtsgeschäftliches Verhalten in Beziehung zum Arbeitnehmer, das dessen Benachteiligung bewirkt und damit auch Kündigungen. Ausgeschlossen davon sind Benachteiligungen, die eine Folge vorangegangenen zulässigen Verhalten des Arbeitgebers sind, beispielsweise eine Beendigungskündigung nach Ablehnung einer zulässigen Änderungskündigung. (Näheres zur Änderungskündigung können Sie hier lesen.)
Das Maßregelungsverbot sichert abstrakt die tatsächliche Ausübbarkeit von Arbeitnehmerrechten, indem es grundsätzlich vor ungerechtfertigten disziplinarischen Maßnahmen des Arbeitgebers als Folge zulässiger Ausübung von Arbeitnehmerrechten schützt.
Auf unzulässiges Verhalten des Arbeitnehmers darf dagegen bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen eine Kündigung erfolgen.
Als unzulässiges Verhalten wäre beispielsweise ein Verstoß gegen die Verpflichtung aus § 241 Abs. 2 BGB und den dort verankerten Grundsatz u.a. zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Vertragspartners denkbar. So muss der Arbeitnehmer nach den Grundsätzen von Treu und Glauben in jedem Arbeits‐ oder Ausbildungsverhältnis eine Mindestmaß an Rücksicht gegenüber den Rechten, Rechtsgütern und Interessen des Arbeitgebers nehmen. Das umfasst auch den Betriebsfrieden und die Pflicht, rufschädigende Meinungsäußerungen zu unterlassen.
Allerdings muss bei der Bewertung, ob das Verhalten unzulässig ist, in jedem Einzelfall eine Abwägung der verletzten Interessen des Arbeitgebers mit dem Grundrecht des Arbeitnehmers auf freie Meinungsäußerung stattfinden.
(Näheres zur Rücksichtnahmepflicht von Arbeitnehmern können Sie hier in den Anmerkungen zu einem Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin‐Brandenburg in einem anderen Fall bezüglich einer Kündigung auf ein YouTube‐Video lesen.)
Fehlerhafte Betriebsratsanhörung
Sofern im Betrieb ein Betriebsrat gebildet ist, muss dieser vor jeder Kündigung „gehört“ werden. Sonst ist die Kündigung unwirksam. Das bedeutet, der Betriebsrat muss von der Kündigung und den maßgeblichen Gründen und Umständen unterrichtet werden. Bei Bedenken gegen die Kündigung muss der Betriebsrat diese dem Arbeitgeber innerhalb einer Woche, bei fristlosen Kündigungen spätestens nach 3 Tagen schriftlich mitteilen. Sonst gilt die Zustimmung zur Kündigung als erteilt. In bestimmten Fällen kann der Betriebsrat der Kündigung sogar widersprechen. Das kann unter anderem einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung zur Folge haben. (Mehr zum Weiterbeschäftigungsanspruch können Sie hier lesen.)
Probezeit im Ausbildungsverhältnis
Nach § 20 Berufsbildungsgesetz (BBiG) beginnt das Berufsausbildungsverhältnis mit der Probezeit. Diese muss mindestens einen Monat und darf höchstens vier Monate betragen.
Die Länge der Probezeit muss im Ausbildungsvertrag nach § 11 BBiG festgehalten werden.
Die Probezeit kann nur ausnahmsweise länger sein, wenn die Ausbildung während der Probezeit beispielsweise wegen Krankheit um mehr als ein Drittel der Zeit unterbrochen wurde und für diesen Fall eine Verlängerung vereinbart war. Geringfügige Unterbrechungen sind unbeachtlich.
Nach § 22 BBiG kann während der Probezeit das Berufsausbildungsverhältnis jederzeit ohne Einhalten einer Kündigungsfrist gekündigt werden.
Zum Fall
Der Sachverhalt
Ein Auszubildender hatte im September 2023 eine Ausbildung zum Mediengestalter in einem großen Medien‐Konzern begonnen. Es war eine Probezeit vereinbart.
Nach dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 bekannte sich der ausbildende Medien‐Konzern eindeutig dazu, zu Israel zu stehen.
Daraufhin stellte der Auszubildende auf der Plattform „Teams“ als Profilbild den Text „I don’t stand with Israel“ ein. Zusätzlich veröffentlichte er auf YouTube unter Verwendung von Bildmaterial seiner Arbeitgeberin ein Video mit dem Titel „Wie entsteht eine Lüge“. Dieses YouTube‐Video behandelte die Berichterstattung seiner Arbeitgeberin über den Angriff der Hamas auf Israel.
Die Arbeitgeberin sah dies als Angriff auf die Unternehmenswerte an und sprach noch innerhalb der Probezeit zwei fristlose Kündigungen gegen den Auszubildenden aus. Dieser legte Kündigungsschutzklage ein. Der Auszubildende berief sich auf seine Meinungsfreiheit. Zudem vertrat er die Auffassung, die Kündigungen stellten ein Maßregelungsverbot gemäß § 612a BGB dar und wären danach unwirksam.
Die Entscheidung
Das Arbeitsgericht Berlin sah die erste Kündigung als unwirksam an, da der Betriebsrat fehlerhaft angehört worden sei. Die zweite Kündigung sei jedoch wirksam. Das Ausbildungsverhältnis könne während der vereinbarten Probezeit jederzeit und ohne verpflichtende Angabe eines Kündigungsgrundes gekündigt werden. Dies stelle auch keine Maßregelung dar, sondern vielmehr eine berechtigte Wahrnehmung der unternehmerischen Interessen der Arbeitgeberin. Die durch das Grundgesetz geschützte Meinungsfreiheit rechtfertige das veröffentlichte YouTube‐Video nicht.
Beide Parteien können gegen das Urteil beim Landesarbeitsgericht Berlin‐Brandenburg Berufung einlegen.
(Der Beitrag beruht auf der Pressemitteilung des Arbeitsgerichts Berlin Nr. 05/24 vom 23.05.2024 . Der Urteilstext lag dem Verfasser zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels noch nicht vor. Wir werden das Geschehen im Auge behalten.)