Keine Selbstbindung des Arbeitgebers im Kleinbetrieb
Eine Kündigung aus „neutralen” betriebsbedingten Gründen hindert den Chef in einem Kleinbetrieb nicht daran, die Stelle gleich wieder zu besetzen. Eine Selbstbindung findet nicht statt.
Mit einer Sachlage, die Rechtsanwälten für Arbeitsrecht auch in Berlin immer wieder begegnet, hatte sich das Landesarbeitsgericht Düsseldorf vor gut einem Jahr zu befassen. Der Arbeitgeber eines Kleinbetriebes hatte einem Arbeitnehmer ordentlich „aus betriebsbedingten Gründen“ gekündigt.
Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf entschied dazu, dass der Angabe, dass die Kündigung aus „betriebsbedingten Gründen“ erfolge, nicht „dringende betriebliche Erfordernisse“ im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes zugrunde liegen müssen. Die pauschale Nennung „betriebsbedingter Gründe“ im Kündigungsschreiben stelle weder eine Selbstbindung des Arbeitgebers mit Anforderungen des § 1 Abs. 2 KSchG dar, noch erweise sich die Kündigung als sitten‐ oder treuwidrig, auch wenn die Stelle unmittelbar neu besetzt wird. Eine unzutreffende aber dem Fortkommen nicht hinderliche Kündigungsbegründung mache aus dem neutralen Rechtsgeschäft kein sitten‐ oder treuwidriges.
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Grundsätzliches
Voraussetzungen der ordentlichen Kündigung nach dem Kündigungsschutzgesetz wenn das Unternehmen kein Kleinbetrieb ist
Während der Arbeitnehmer ohne Angaben eines Grundes kündigen kann, müssen Arbeitgeber bei der Kündigung ihrer Arbeitnehmer zahlreiche Voraussetzungen beachten. Die Kündigung des Arbeitgebers muss bestimmt, frist‐ und formgerecht sein. Des Weiteren bedarf es eines zulässigen Kündigungsgrundes. Ist im Unternehmen ein Betriebsrat gebildet, ist dieser vor jeder Kündigung zu hören. Sind diese Voraussetzungen seitens des Arbeitgebers nicht eingehalten, gilt eine Kündigung als rechtsunwirksam und der Arbeitnehmer kann der Kündigung mit einer Kündigungsschutzklage entgegentreten.
Diese Regelungen gelten nur, sofern das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) Anwendung findet.
Abweichende Regelungen in einem Kleinbetrieb
Nach § 23 des Kündigungsschutzgesetzes zählen Betriebe, die in der Regel 10 oder weniger Arbeitnehmer beschäftigten, zu den Kleinbetrieben. Bei Kleinbetrieben findet das Kündigungsschutzgesetz nach § 23 Abs. 1 KSchG keine Anwendung. Eine ordentliche Kündigung vom Arbeitgeber ist aufgrund dessen ohne Nennung eines Kündigungsgrundes möglich. Wenn dennoch vom Arbeitgeber ein Kündigungsgrund angegeben wird, dient dieser meist dazu, dem Arbeitnehmer „keine Steine in den Weg“ legen zu wollen.
(Mehr zu Kleinbetrieben und der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes können Sie hier lesen.)
Sittenwidrigkeit
Eine Nichtigkeit eines Rechtsgeschäftes kann vorliegen, wenn dessen Gesamtcharakter gegen die jeweils herrschende Rechts‐ und Sozialmoral verstößt. Eine klassische Definition der „guten Sitten“ ist das „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“. Der Begriff muss durch Gerichte konkret ausgelegt und fortgebildet werden.
Treu und Glauben / venire contra factum proprium
Der Grundsatz von Treu und Glauben nach § 242 BGB bildet eine allen Rechten, Rechtslagen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung.
Jede Vertragspartei soll so handeln, wie „redlich und anständig denkende Menschen“ unter Beachtung der im konkreten Fall einschlägigen Verkehrssitte zu handeln pflegen. Das gerechtfertigte Vertrauen der Parteien untereinander darf nicht enttäuscht oder zu missbraucht werden.
Treuwidriges Verhalten kann beispielsweise in widersprüchlichem Verhalten, dem sogenannten venire contra factum proprium, bestehen. Wenn durch Vorverhalten eines Vertragspartners ein Vertrauenstatbestand geschaffen wird und sich dieser Vertragspartner dann dazu widersprüchlich verhält, kann er sich nicht auf eine planwidrige Rechtsposition oder Rechtsausübung berufen.
Eine gegen diese Rechtslage und Rechtsnormen verstoßende Kündigung wäre unwirksam.
Zum Sachverhalt des Falles
In einem Kleinbetrieb hatte der Arbeitgeber einer Arbeitnehmerin das Arbeitsverhältnis fristgerecht aus „betriebsbedingten Gründen“ mit Schreiben vom 29.10.2021 gekündigt. Zeitgleich schrieb der Arbeitgeber eine ähnliche Stelle mit Stellenausschreibungen vom 14.09.2021 und 11.10.2021 aus.
Die Parteien, die Arbeitgeberin und die Arbeitnehmerin, stritten über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses in einem Kleinbetrieb. Die Arbeitnehmerin als Klägerin war bei der Beklagten als kaufmännische Assistentin beschäftigt. Die Arbeitgeberin als Beklagte kündigte der Arbeitnehmerin fristgerecht, mit der Begründung für die Kündigung als „aus betriebsbedingten Gründen“. Innerhalb der Kündigungsfrist schrieb der Beklagte zwei Stellenausschreibungen für einen „Vertriebsassistenten“ aus. Daraufhin reichte die Arbeitnehmerin Kündigungsschutzklage ein. Erstinstanzlich hatte sie behauptet, die Beklagte würde mehr als zehn Arbeitnehmer haben. Aufgrund dessen würde es eines rechtswirksamen Kündigungsgrund benötigen. Die Klägerin sah die Kündigung als Treu und Sittenwidrig an. Dies begründete sie mit §§ 138, 242 BGB im Zusammenhang mit den erfolgten Stellenausschreibungen. Es würde ersichtlich nicht, die im Kündigungsschreiben genannten „betriebsbedingten Gründe“ vorliegen.
Die Arbeitgeberin brachte vor, dass sie das Arbeitsverhältnis wirksam gekündigt habe. Das Kündigungsschutzgesetz würde vorliegend keine Anwendung finden, da die Arbeitnehmerin regelmäßig nicht mehr als zehn Angestellte beschäftigen würde.
Urteil der 1. Instanz: Im Kleinbetrieb ist diese Kündigung wirksam
Das Arbeitsgericht Oberhausen (3 Ca 1164/21) hat die Kündigungsschutzklage abgewiesen. Eine unwirksame Kündigung würde aufgrund des Kleinbetriebes der Arbeitgeberin nicht vorliegen.
Berufung der Klägerin
Daraufhin legte die Klägerin beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf Berufung ein. Die Klägerin trug vor, dass die „betriebsbedingten Gründe“ als Kündigungsgrund nicht vorliegen würden. Die Arbeitgeberin sei dazu verpflichtet, dass ein Kündigungsgrund, wenn sie einen nenne, der Wahrheit entsprechen müsse. Die Arbeitgeberin entgegnete, es könne dahinstehen, ob tatsächliche betriebsbedingte Kündigungsgründe im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG vorgelegen hätten. Die Nennung der Kündigung aus „betriebsbedingten Gründen“ habe lediglich den Grund, dem Arbeitnehmer „keine Steine in den Weg legen zu wollen“.
Die Entscheidung
Die Berufung wurde abgewiesen. Die ordentliche, fristgerechte Kündigung sei nicht unter dem Maßstab des § 1 Abs. 2 KSchG auf ihre soziale Rechtfertigung zu überprüfen. Diese Norm finde auf Kleinbetriebe, wie den der Beklagten, gem. § 23 Abs. 1 KSchG keine Anwendung.
Keine willkürliche oder sittenwidrige Kündigung im Kleinbetrieb
Aufgrund dessen sei die Kündigung der Arbeitnehmerin auch nicht sittenwidrig. Die Kündigung sei auch nicht willkürlich erfolgt. Der Vorwurf, das Arbeitsverhältnis sei zum Schein aus „betriebsbedingten Gründen“ gekündigt worden, beruhe auf der Wertung, dass der Begriff den „dringenden betrieblichen Erfordernisse“ im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG gleichgesetzt worden sei.
Vor dem Hintergrund, dass ein Kleinbetrieb vorliege und infolgedessen das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung finde, seien hier keine Kündigungsgründe nach dem Maßstab des § 1 Absatz 2 KSchG zu prüfen.
Eine Neuausschreibung der Stelle stehe einer betriebsbedingten Kündigung bei Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes zwar entgegen, nicht jedoch außerhalb des Anwendungsbereichs.
Die Kündigung aus „betriebsbedingten Gründen“ aus Nettigkeit, sei durchaus ein einleuchtender Grund. Hintergrund der Nennung des neutralen Grundes sei, das Fortkommen der Klägerin zu fördern und gerade nicht gar sittenwidrig zu beeinträchtigen.
Keine treuwidrige Kündigung
Die Kündigung sei auch nicht treuwidrig. Der Grundsatz von Treu und Glauben nach § 242 BGB sei auf Kündigungen neben § 1 KSchG nur in beschränkter Weise anwendbar. Das Kündigungsschutzgesetz habe die Voraussetzungen und Wirkungen von Treu und Glauben konkretisiert und abschließend geregelt. Eine Kündigung könne daher den Grundsatz von Treu und Glauben nur aus Gründen verletzen, die von § 1 KSchG nicht erfasst sind.
Anhaltspunkte für den Ausspruch einer Kündigung zur Unzeit, eine Kündigung in ehrverletzender Form, eine diskriminierende Kündigung oder ein Kündigung unter Missachtung jeglicher sozialer Rücksichtnahme lägen nicht vor.
Es seien auch keine Anhaltspunkte für widersprüchliches Verhalten (venire contra factum proprium) des Arbeitgebers ersichtlich. Dazu hätte ein der Kündigung vorausgegangenes Verhalten der Arbeitgeberin vorliegen müssen, das bei der Arbeitnehmerin ein schutzwürdiges Vertrauen bewirkt hätte. Dazu hätte die Kündigung im Widerspruch stehen müssen. Dies ist hier nicht der Fall.
Eine treuwidrige Kündigung liege daher nicht vor.
Anmerkung
Der Arbeitgeber hat hier die Kündigung aus betriebsbedingten Gründen ausgesprochen, um zu verhindern, dass der Arbeitnehmerin unterstellt werden könnte, sie habe die Ursache für die Beendigung des Arbeitsvertrages gesetzt. Denn dies könnte beispielsweise zu einer Sperrzeit für das Arbeitslosengeld führen. Das Gericht sah dieses Motiv gerade nicht als treuwidrig an und verneinte eine Selbstbindung.
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