Selbstbeurlaubung und Anzweifeln der Arbeitsunfähigkeit
Ein eigenmächtiger Urlaubsantritt bei vorgetäuschter Erkrankung nach abgelehnter Urlaubsgewährung kann eine Selbstbeurlaubung sein. Dies kann an sich einen wichtigen Grund für die Rechtfertigung einer außerordentlichen Kündigung darstellen. Der Arbeitnehmer kann sich in einem Kündigungsrechtsstreit auf eine Krankheit berufen, wenn er darlegt, woran er erkrankt war und warum er deswegen nicht arbeitsfähig war.
Der Arbeitgeber ist beweisbelastet und muss im Kündigungsschutzprozess den Beweis für das unentschuldigte Fehlen führen. Bietet der Arbeitgeber trotz Entbindung des behandelnden Arztes von seiner Schweigepflicht, nicht dessen Zeugnis als Beweis für das unentschuldigte Fehlen an, kommt er der Beweislast für das Vorliegen eines wichtigen Grundes selbst dann nicht nach, wenn der Beweiswert einer vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als erschüttert angesehen werden kann.
Die Grundlagen
Selbstbeurlaubung
Grundsätzlich muss Urlaub vom Arbeitnehmer beantragt und vom Arbeitgeber genehmigt werden. Eine Selbstbeurlaubung liegt dann vor, wenn ein Arbeitnehmer, ohne Genehmigung und gegen den Willen des Arbeitgebers seinen Urlaub antritt. Dieses Verhalten kann dem Arbeitgeber einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung geben (BAG 31.01.1985, NZA 1986, 138; 20.01.1994, NZA 1994, 548).
Die klassische Konstellation ist: Der Arbeitgeber lehnt ein Urlaubsbegehren ab und der Arbeitnehmer bleibt gleichwohl der Arbeit fern und setzt sich somit über den entgegenstehenden Willen des Arbeitgebers hinweg.
(mehr zur Selbstbeurlaubung können Sie hier lesen.)
Der Fall
Ein Arbeitnehmer des hier beklagten Unternehmens war seit fast vier Jahren als Produktionsmitarbeiter tätig. Der Arbeitnehmer hatte für die Zeit vom 17.09.2022 bis 20.09.2022 Urlaub beantragt, um den 1. Geburtstag seines Enkelkindes in Bad Doberan feiern zu können. Die Arbeitgeberin bewilligte den Urlaub nicht, da die Anwesenheit des Arbeitnehmers zu dem gewünschten Zeitpunkt im Unternehmen erforderlich sei.
Der Arbeitnehmer teilte seiner Arbeitgeberin am 15.9.2022 mit, dass er vom 16.09.2022 bis einschließlich Freitag, den 23.09.2022 krankgeschrieben sei und legte eine entsprechende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor. Darin wurde die Arbeitsunfähigkeit mit einem Diagnoseschlüssel Kopfschmerzen ausgewiesen.
Der Arbeitnehmer feierte den Geburtstag seines Enkelkindes am 17.09.2022 in Bad Doberan. Daher trafen andere Mitarbeiter der Arbeitgeberin den betreffenden Arbeitnehmer während der Zeit seiner Krankschreibung auch mehrfach nicht an seinem Wohnort an.
Nachdem der Arbeitnehmer seine Arbeit am 26.09.2022 wieder aufnahm, wurde er mit dem Vorwurf einer vorgetäuschten Erkrankung konfrontiert. Nach Anhörung des Betriebsrates wurde dem Arbeitnehmer mit am 07.10.2022 zugegangenem Schreiben das Arbeitsverhältnis fristlos gekündigt. Abmahnungen gab es vorher nicht.
Dagegen legte der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage ein. Der Betriebsrat sei nicht ordnungsgemäß angehört worden und es liege kein wichtiger Grund vor, der eine außerordentliche Kündigung rechtfertige.
Das Urteil
Selbstbeurlaubung grundsätzlich wichtiger Grund zur Kündigung
Das Arbeitsgericht Gera gab der Kündigungsschutzklage statt. Die außerordentliche Kündigung sei rechtsunwirksam. Die Beklagte sei ihrer Beweislast für die Darlegung eines wichtigen Grundes zur fristlosen Kündigung nicht nachgekommen.
Eine Selbstbeurlaubung in Form eines eigenmächtigen Urlaubsantritts nach vorgetäuschter Erkrankung stelle aufgrund der erheblichen Pflichtverletzung im Vertrauensbereich grundsätzlich ein wichtigen „an-sich“-Grund für eine fristlose Kündigung dar.
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann Fernbleiben der Arbeit entschuldigen
Im Falle der Nichterbringbarkeit der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers aufgrund einer Erkrankung könne sich der Arbeitnehmer grundsätzlich auf die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung seines behandelnden Arztes berufen. Die ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Der ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung komme daher aufgrund der normativen Vorgaben im Entgeltfortzahlungsgesetz ein hoher Beweiswert zu.
Wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit mit einer ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachgewiesen habe, genüge ein „bloßes Bestreiten“ der Arbeitsunfähigkeit mit Nichtwissen durch den Arbeitgeber nicht. Vielmehr müsse der Arbeitgeber den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mittels Darlegung tatsächlicher Umstände erschüttern. Ein Arbeitgeber könne regelmäßig nur Indizientatsachen vortragen.
Anzweifeln der Arbeitsunfähigkeit
Vorliegend würden sich ernsthafte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aber nicht allein daraus ergeben, dass sich der Kläger nicht während des gesamten Zeitraums der Bescheinigung in seiner Wohnung aufgehalten habe. Bei bestimmten Erkrankungen könne ein Entfernen aus der Wohnstätte des Erkrankten durchaus gesundheitsfördernd sein.
Erhebliche Zweifel an der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung würden sich allerdings aus der Tatsache ergeben, dass die Bescheinigung genau den Zeitraum umfasse, den der Kläger zuvor mit seiner Urlaubsbewilligung begehrt hatte und ihm seitens der Beklagten aufgrund der Personalsituation ablehnt wurde. Weiterhin erscheine es mehr als fragwürdig, weshalb wegen einer akuten Kopferkrankung die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gleich eine Woche und einen Tag umfasse. Dies sei passgenau auf den ursprünglichen Urlaubszeitraumwunsch des Klägers.
Es sei auch nicht nachvollziehbar, dass die Kopfschmerzen so stark gewesen sein sollen, dass der Kläger eine Woche arbeitsunfähig gewesen sein soll, jedoch eine ca. 500 km Autofahrt antreten habe können.
Beweislast des Arbeitgebers
Die Beklagte habe jedoch den Beweiswert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht erschüttert. Denn dazu hätte die Arbeitgeberin den Beweis für das unentschuldigte Fehlen des Arbeitnehmer führen müssen. Etwa durch Benennung des behandelnden Arztes als Zeugen. Dies habe die Beklagte unterlassen. Sie sei daher Ihrer Beweislast für das Vorliegen eines wichtigen Grundes nicht nagekommen.
Fazit:
Das Gericht war hier nicht überzeugt, dass der Arbeitnehmer wirklich krank war. Dem Gericht fiel der zeitliche Zusammenhang der Erkrankung mit dem exakten Zeitraum des abgelehnten Urlaubs ins Auge. Es bemängelte aber, dass der Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in keiner Form in Frage gestellte hatte, obwohl der ausstellende Arzt von seiner Schweigepflicht entbunden worden war. Die Arbeitgeberin hätte den Arzt als Zeugen zur Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnhemers befragen und diese dann in Zweifel ziehen müssen. Da dies unterblieb, war dieses Versäumnis für das Urteil des Gerichts ausschlaggebend. Deswegen erachtete das Gericht die Kündigung als rechtsunwirksam.