Abweichung vom „Equal Pay Grundsatz“ durch Tarifvertrag zulässig

Abweichung vom „Equal Pay Grundsatz“ durch Tarifvertrag zulässig

1. Juni 2023 Allgemein Gleichbehandlung 0

Leiharbeitnehmer müssen nicht zwingend das gleiche Arbeitsentgelt wie ihre festangestellten Kollegen erhalten 

Auch wenn Leihar­beit­nehmer für die Dauer ihrer Überlassung grund­sätzlich einen Anspruch auf das gleiche Arbeits­entgelt wie festan­ge­stellte Stamm­ar­beit­nehmer des Entleihers haben („equal pay“), darf in einem Tarif­vertrag nach § 8 Abs. 2 AÜG eine niedrigere tarif­liche Vergütung für Leihar­beit­nehmer vereinbart werden. Einen solchen Tarif­vertrag haben der Inter­es­sen­verband Deutscher Zeitar­beits­un­ter­nehmen (iGZ) und die Gewerk­schaft ver.di mitein­ander geschlossen. Diese Regelungen verstoßen nicht gegen europäi­sches Gemein­schafts­recht. So hat das Bundes­ar­beits­ge­richt entschieden. 

Bundes­ar­beits­ge­richt, Urteil vom 31. Mai 2023 – 5 AZR 143/19 –

Die Grundlagen

Arbeitnehmerüberlassung

Arbeit­neh­mer­über­lassung, allgemein als „Leiharbeit“ bezeichnet, liegt nach dem Arbeit­neh­mer­über­las­sungs­gesetz (AÜG)  dann vor, wenn ein Arbeit­geber als Verleiher im Rahmen seiner wirtschaft­lichen Tätigkeit den Arbeit­nehmer einem anderen Unter­nehmen, dem Entleiher, zur Arbeits­leistung überlässt. Diese Dreiecks­be­ziehung ist kennzeichnend für die Arbeit­neh­mer­über­lassung. Der Arbeit­geber, der als Verleiher auftritt, schließt mit dem Arbeit­nehmer einen Arbeits­vertrag. Ein anderes Unter­nehmen entleiht vom Verleiher den Arbeit­nehmer und zahlt dafür aufgrund eines Arbeit­neh­mer­über­las­sungs­ver­trages eine Gebühr an den Verleiher. Der Entleiher darf dem Arbeit­nehmer konkrete Anwei­sungen bezüglich Arbeitsort und der Art sowie Ausführung der Tätigkeit erteilen. Der Arbeit­nehmer ist dem arbeits­be­zo­genen Weisungs­recht des Entleihers unter­stellt. Alle arbeits­ver­trag­lichen Belange regelt hingegen der Verleiher mit dem Arbeit­nehmer. Vom Verleiher bekommt der Arbeit­nehmer auch sein Gehalt und zwar unabhängig davon, ob er entliehen wird oder nicht.

Equal pay

Grund­sätzlich ist der Verleiher verpflichtet, dem Leihar­beit­nehmer für die Zeit der Überlassung den gleichen Lohn zu zahlen, wie vergleich­baren Arbeit­nehmern des entlei­henden Betriebes. Dies schließt gegebe­nen­falls auch einen Wertaus­gleich für Sachbezüge, Zuschläge, Ansprüche auf Entgelt­fort­zahlung und andere Lohnbe­stand­teile mit ein.

Der Leihar­beit­nehmer soll den Arbeit­nehmern des Entlei­her­be­triebes nach dem Gleich­stel­lungs­grundsatz des § 8 Abs. 1 AÜG in den wesent­lichen Arbeits­be­din­gungen gleich­ge­stellt sein. Durch einen Tarif­vertrag darf aber davon in den ersten neun Monaten der Überlassung abgewichen werden. Längere Ungleich­be­hand­lungen sind nur zulässig, wenn nach einer Einar­bei­tungszeit eine stufen­weise Anglei­chung an das tarif­ver­trag­liche Entgelt vergleich­barer Arbeit­nehmer der Branche nach spätestens 15 Monaten erreicht wird.

Zum Fall

Die Klägerin war bei der Beklagten als Leihar­beit­neh­merin in Teilzeit beschäftigt. Die Beklagte überließ sie zwischen Januar und April 2017 haupt­sächlich einem Unter­nehmen des Einzel­handels als Kommis­sio­nie­rerin zu einem Gehalt von 9,23 € brutto/Stunde. Die klagende Arbeit­neh­merin behauptete, ihre beim Entleiher festan­ge­stellten Kollegen in vergleich­barer Position und Tätigkeit würden einen Stundenlohn von 13,64 € brutto/Stunde erhalten. Sie war der Ansicht, nach dem Gleich­stel­lungs­grundsatz aus § 8 Abs. 1 AÜG (§ 10 Abs. 4 Satz. 1 AÜG aF) müsse sie das gleiche Gehalt bekommen und verlangte die Diffe­renz­ver­gütung. Sie vertrat die Ansicht, dass der zugrunde gelegte Tarif­vertrag und die Abwei­chung vom Gleich­stel­lungs­grundsatz nicht mit Artikel 5 Abs. 3 europäi­schen Leihar­beits­richt­linie (Richt­linie 2008/104/EG) vereinbar sei.

Nachdem das Bundes­ar­beits­ge­richt dem EuGH (Gerichtshof der Europäi­schen Union) die Recht­frage der Verein­barkeit des § 8 AÜG mit Artikel 5 Abs. 3 der Leihar­beits­richt­linie, insbe­sondere unter dem Gesichts­punkt der „Achtung des Gesamt­schutzes von Leihar­beit­nehmern“ vorgelegt hatte, entschied es nach der Antwort des EuGH gegen die Klägerin.

Die Klägerin habe keinen Anspruch auf das gleiche Arbeits­entgelt wie vergleichbare Stamm­ar­beit­nehmer des Entleihers. Aufgrund der beider­sei­tigen Tarif­ge­bun­denheit finde das Tarifwerk der iGz und ver.di auf das Leihar­beits­ver­hältnis Anwendung. Dieses sieht für Leihar­beits­ver­hält­nisse eine niedrigere Vergütung vor. Nach § 8 Abs. 2 Satz 2 AÜG müsse nur die tarif­liche Vergütung gezahlt werden.

Das Tarifwerk genüge auch den Anfor­de­rungen des Art. 5 Abs. 3 der Leihar­beits­richt­linie. Zwar habe die Arbeit­neh­merin mögli­cher­weise einen Nachteil erlitten, weil sie eine geringere Vergütung erhalten habe, als sie mögli­cher­weise bei einer direkten Anstellung durch das entlei­hende Unter­nehmen bekommen hätte. Dies lasse Artikel 5 Abs. 3 der Leihar­beits­richt­linie im Rahmen der „Achtung des Gesamt­schutzes der Leihar­beit­nehmer“ aber zu, wenn die Ungleich­be­handlung durch Ausgleichs­vor­teile neutra­li­siert werde. 

Ein solcher Ausgleichs­vorteil könne bei befris­teten und unbefris­teten Leihar­beits­ver­hält­nissen in der Fortzahlung des Entgelts in den Zeiten, da Leihar­beit­nehmer nicht verliehen werden, bestehen. Eben diese Entgelt­fort­zahlung in den verleih­freien Zeiten gewähr­leiste das zugrun­de­lie­gende Tarifwerk. Zudem trage das verlei­hende Unter­nehmen nach § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG das Wirtschafts‐ und Betriebs­risiko für verleih­freie Zeiten, weil danach eine Vergütung bei Annah­me­verzug nicht abbedungen werden könne. Außerdem sei gesetzlich dafür Sorge getragen, dass durch Regelungen eines Tarif­ver­trages der Mindestlohn nicht unter­schritten werden darf. Zudem sei die Möglichkeit, vom Grundsatz des gleichen Arbeits­ent­gelts abzuweichen nach § 8 Abs. 4 Satz 1 AÜG zeitlich grund­sätzlich auf die ersten neun Monate des Leihar­beits­ver­hält­nisses begrenzt. 

Fazit:

Für die ersten neun Monate der Überlassung eines Leihar­beit­nehmers an einen Entleiher darf aufgrund eines Tarif­ver­trages vom Gleich­stel­lungs­grundsatz des AÜG („Equal Pay”) abgewichen werden. Dies ist auch mit europäi­schem Gemein­schafts­recht vereinbar.

Bundes­ar­beits­ge­richt, Urteil vom 31. Mai 2023 – 5 AZR 143/19 –

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

SI Rechtsanwaltsgesellschaft mbH