Abweichung vom „Equal Pay Grundsatz“ durch Tarifvertrag zulässig
Leiharbeitnehmer müssen nicht zwingend das gleiche Arbeitsentgelt wie ihre festangestellten Kollegen erhalten
Auch wenn Leiharbeitnehmer für die Dauer ihrer Überlassung grundsätzlich einen Anspruch auf das gleiche Arbeitsentgelt wie festangestellte Stammarbeitnehmer des Entleihers haben („equal pay“), darf in einem Tarifvertrag nach § 8 Abs. 2 AÜG eine niedrigere tarifliche Vergütung für Leiharbeitnehmer vereinbart werden. Einen solchen Tarifvertrag haben der Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (iGZ) und die Gewerkschaft ver.di miteinander geschlossen. Diese Regelungen verstoßen nicht gegen europäisches Gemeinschaftsrecht. So hat das Bundesarbeitsgericht entschieden.
Die Grundlagen
Arbeitnehmerüberlassung
Arbeitnehmerüberlassung, allgemein als „Leiharbeit“ bezeichnet, liegt nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) dann vor, wenn ein Arbeitgeber als Verleiher im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit den Arbeitnehmer einem anderen Unternehmen, dem Entleiher, zur Arbeitsleistung überlässt. Diese Dreiecksbeziehung ist kennzeichnend für die Arbeitnehmerüberlassung. Der Arbeitgeber, der als Verleiher auftritt, schließt mit dem Arbeitnehmer einen Arbeitsvertrag. Ein anderes Unternehmen entleiht vom Verleiher den Arbeitnehmer und zahlt dafür aufgrund eines Arbeitnehmerüberlassungsvertrages eine Gebühr an den Verleiher. Der Entleiher darf dem Arbeitnehmer konkrete Anweisungen bezüglich Arbeitsort und der Art sowie Ausführung der Tätigkeit erteilen. Der Arbeitnehmer ist dem arbeitsbezogenen Weisungsrecht des Entleihers unterstellt. Alle arbeitsvertraglichen Belange regelt hingegen der Verleiher mit dem Arbeitnehmer. Vom Verleiher bekommt der Arbeitnehmer auch sein Gehalt und zwar unabhängig davon, ob er entliehen wird oder nicht.
Equal pay
Grundsätzlich ist der Verleiher verpflichtet, dem Leiharbeitnehmer für die Zeit der Überlassung den gleichen Lohn zu zahlen, wie vergleichbaren Arbeitnehmern des entleihenden Betriebes. Dies schließt gegebenenfalls auch einen Wertausgleich für Sachbezüge, Zuschläge, Ansprüche auf Entgeltfortzahlung und andere Lohnbestandteile mit ein.
Der Leiharbeitnehmer soll den Arbeitnehmern des Entleiherbetriebes nach dem Gleichstellungsgrundsatz des § 8 Abs. 1 AÜG in den wesentlichen Arbeitsbedingungen gleichgestellt sein. Durch einen Tarifvertrag darf aber davon in den ersten neun Monaten der Überlassung abgewichen werden. Längere Ungleichbehandlungen sind nur zulässig, wenn nach einer Einarbeitungszeit eine stufenweise Angleichung an das tarifvertragliche Entgelt vergleichbarer Arbeitnehmer der Branche nach spätestens 15 Monaten erreicht wird.
Zum Fall
Die Klägerin war bei der Beklagten als Leiharbeitnehmerin in Teilzeit beschäftigt. Die Beklagte überließ sie zwischen Januar und April 2017 hauptsächlich einem Unternehmen des Einzelhandels als Kommissioniererin zu einem Gehalt von 9,23 € brutto/Stunde. Die klagende Arbeitnehmerin behauptete, ihre beim Entleiher festangestellten Kollegen in vergleichbarer Position und Tätigkeit würden einen Stundenlohn von 13,64 € brutto/Stunde erhalten. Sie war der Ansicht, nach dem Gleichstellungsgrundsatz aus § 8 Abs. 1 AÜG (§ 10 Abs. 4 Satz. 1 AÜG aF) müsse sie das gleiche Gehalt bekommen und verlangte die Differenzvergütung. Sie vertrat die Ansicht, dass der zugrunde gelegte Tarifvertrag und die Abweichung vom Gleichstellungsgrundsatz nicht mit Artikel 5 Abs. 3 europäischen Leiharbeitsrichtlinie (Richtlinie 2008/104/EG) vereinbar sei.
Nachdem das Bundesarbeitsgericht dem EuGH (Gerichtshof der Europäischen Union) die Rechtfrage der Vereinbarkeit des § 8 AÜG mit Artikel 5 Abs. 3 der Leiharbeitsrichtlinie, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der „Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern“ vorgelegt hatte, entschied es nach der Antwort des EuGH gegen die Klägerin.
Die Klägerin habe keinen Anspruch auf das gleiche Arbeitsentgelt wie vergleichbare Stammarbeitnehmer des Entleihers. Aufgrund der beiderseitigen Tarifgebundenheit finde das Tarifwerk der iGz und ver.di auf das Leiharbeitsverhältnis Anwendung. Dieses sieht für Leiharbeitsverhältnisse eine niedrigere Vergütung vor. Nach § 8 Abs. 2 Satz 2 AÜG müsse nur die tarifliche Vergütung gezahlt werden.
Das Tarifwerk genüge auch den Anforderungen des Art. 5 Abs. 3 der Leiharbeitsrichtlinie. Zwar habe die Arbeitnehmerin möglicherweise einen Nachteil erlitten, weil sie eine geringere Vergütung erhalten habe, als sie möglicherweise bei einer direkten Anstellung durch das entleihende Unternehmen bekommen hätte. Dies lasse Artikel 5 Abs. 3 der Leiharbeitsrichtlinie im Rahmen der „Achtung des Gesamtschutzes der Leiharbeitnehmer“ aber zu, wenn die Ungleichbehandlung durch Ausgleichsvorteile neutralisiert werde.
Ein solcher Ausgleichsvorteil könne bei befristeten und unbefristeten Leiharbeitsverhältnissen in der Fortzahlung des Entgelts in den Zeiten, da Leiharbeitnehmer nicht verliehen werden, bestehen. Eben diese Entgeltfortzahlung in den verleihfreien Zeiten gewährleiste das zugrundeliegende Tarifwerk. Zudem trage das verleihende Unternehmen nach § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG das Wirtschafts‐ und Betriebsrisiko für verleihfreie Zeiten, weil danach eine Vergütung bei Annahmeverzug nicht abbedungen werden könne. Außerdem sei gesetzlich dafür Sorge getragen, dass durch Regelungen eines Tarifvertrages der Mindestlohn nicht unterschritten werden darf. Zudem sei die Möglichkeit, vom Grundsatz des gleichen Arbeitsentgelts abzuweichen nach § 8 Abs. 4 Satz 1 AÜG zeitlich grundsätzlich auf die ersten neun Monate des Leiharbeitsverhältnisses begrenzt.
Fazit:
Für die ersten neun Monate der Überlassung eines Leiharbeitnehmers an einen Entleiher darf aufgrund eines Tarifvertrages vom Gleichstellungsgrundsatz des AÜG („Equal Pay”) abgewichen werden. Dies ist auch mit europäischem Gemeinschaftsrecht vereinbar.