Einwurf-Einschreiben bei der Kündigungszustellung

Einwurf‐Einschreiben bei der Kündigungszustellung

25. Mai 2023 Allgemein Kündigung 0

Genügt der Auslieferungsbeleg beim Einwurf‐Einschreiben als Anscheinsbeweis für den Zugang der Kündigung?

Wird ein Kündi­gungs­ein­schreiben per Einwurf‐Einschreiben übersendet und legt der Absender den Einlie­fe­rungs­beleg und die Repro­duktion des Auslie­fe­rungs­belegs mit der Unter­schrift des Zustellers vor, spricht der Beweis des ersten Anscheins für den Zugang des Schreibens beim Empfänger.

(Landes­ar­beits­ge­richt Schleswig‐Holstein, Urteil vom 18. Januar 2022 – 1 Sa 159/21 –)

So hat das Landes­ar­beits­ge­richt Schleswig‐Holstein mit Urteil vom 18. Januar 2022 entschieden. Es geht um die Frage, ob mit dem Auslie­fe­rungs­beleg der Post bei einem Einwurf‐Einschreiben, im Wege des Anscheins­be­weises, eine Zustellung der Kündigung bewiesen werden kann.

Die Gerichte entscheiden in dieser Frage bislang noch nicht einheitlich. Der BGH hat dies in seiner Entscheidung vom 27.8.2016 (BGH, Urteil vom 27. September 2016 – II ZR 299/15 –) bejaht. Eine Entscheidung des Bundes­ar­beits­ge­richtes gibt es zu dieser Frage noch nicht. Sollte das Bundes­ar­beits­ge­richt in einer Entscheidung von der Sicht­weise des BGH entscheidend abweichen und einen Anscheins­beweis ablehnen, würde der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe angerufen werden.

 

Zu den Begrifflichkeiten:

 

Zugang

Die Kündigung ist eine empfangs­be­dürftige Willens­er­klärung des Arbeit­gebers und bedarf zu ihrer Wirksamkeit des Zugangs beim Arbeit­nehmer. Eine Kündigung ist  gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB zugegangen, wenn sie so in den sogenannten Macht­be­reich des Arbeit­nehmers gelangt ist, dass unter gewöhn­lichen Umständen damit zu rechnen ist, dass er von der Kündigung Kenntnis erlangen kann. Ob er das dann auch tut, ist nicht von Belang. Er trägt sodann das Kenntnisnahmerisiko. 

Dies gilt übrigens auch dann, wenn der Arbeit­nehmer eine Haftstrafe verbüßt, unabhängig davon, ob der Arbeit­geber sogar davon weiß. So stellte das Landes­ar­beits­ge­richt Schleswig‐Holstein in einem früheren Urteil darauf ab, ob unter gewöhn­lichen Verhält­nissen die Möglichkeit der Kennt­nis­nahme bestand. Es sei unerheblich, ob der Arbeit­nehmer durch besondere Umstände – wie eine Haftstrafe – an der tatsäch­lichen Kennt­nis­nahme gehindert sei.

(Landes­ar­beits­ge­richt Schleswig‐Holstein hat am 19.03.2014 – 6 Sa 297/13 – )

Das selbe gilt übrigens auch für Urlaub oder Krankheit. (Mehr zur Kündigung während des Urlaubs können Sie hier lesen.) 

Im Arbeits­vertrag können spezielle Verein­ba­rungen zum Zugang getroffen werden. Der Zugang kann durch direkte Übergabe an den Arbeit­nehmer erfolgen. Auch durch eine Zustellung per Post kann grund­sätzlich der Zugang erfolgen, sobald ein „normaler“ Brief in den Hausbrief­kasten des Arbeit­nehmers gelegt wird. Der Arbeit­geber trägt aber das Übermitt­lungs­risiko, falls die Sendung auf dem Weg verloren geht. Bei einem „normalen“ Brief kann der Arbeit­geber nicht ausschließen, dass dies passiert. Er kann dann regel­mäßig zumindest nicht nachweisen, dass der Arbeit­nehmer die Kündigung zugestellt bekommen hat. Beim Einwurf‐Einschreiben gibt es dagegen einen Auslieferungsbeleg.

Zustel­lungen sind auch per Gerichts­voll­zieher oder Einschreiben Rückschein möglich.

(Mehr zu der Frage, was Sie tun können, wenn Ihnen eine Kündigung zugegangen ist, können Sie hier lesen.)

 

Beweis des ersten Anscheins

Beim Anscheins­beweis geht es um die Berück­sich­tigung der allge­meinen Lebens­er­fahrung durch den Richter im Rahmen der freien Beweis­wür­digung. Der Beweis des ersten Anscheins greift dann ein, wenn ein bestimmter Tatbe­stand nach der Lebens­er­fahrung mit an Sicherheit grenzender Wahrschein­lichkeit auf eine bestimmte Ursache für den Eintritt eines bestimmten Erfolges hinweist.

Der Richter kann aus festste­henden Tatsachen unter Berück­sich­tigung der allge­meinen Lebens­er­fahrung Schlüsse auf das Vorliegen strei­tiger Tatsa­chen­be­haup­tungen ziehen. Der Anscheins­beweis ist eine besondere Form dieser mittel­baren Beweis­führung. Er setzt einen sogenannten typischen Gesche­hens­ablauf voraus. Wenn typische, beständige, gleich­förmige Vorgänge feststehen, darf, sofern diesbe­züglich Erfah­rungs­grund­sätze bestehen, auf eine bestimmte Ursache für ein Ereignis oder auf den Eintritt eines bestimmten Erfolges, geschlossen werden, wenn andere Ursachen oder Folgen unwahr­scheinlich sind. Die tatsäch­lichen Einzel­um­stände müssen dann nicht bewiesen werden, sondern nur die Tatsachen festge­stellt werden, an die der Erfah­rungssatz knüpft.

 

Zum Fall:

Der bei der Beklagten als Service­mit­ar­beiter beschäf­tigte Kläger wohnt in einer Hochhaus­anlage mit 10 Stockwerken.

Der Arbeit­geber hatte dem Beschäf­tigten mit Schreiben vom 26.10.2020 frist­gemäß zum 30.11.2020 gekündigt und dieses Schreiben als Einwurf‐Einschreiben an dessen Wohnadresse geschickt. Der Postmit­ar­beiter bestä­tigte am 29.10.2020 mit seiner Unter­schrift, dass er das Einschreiben „dem Empfangs­be­rech­tigten übergeben bzw. das Einschreiben Einwurf in die Empfangs­vor­richtung des Empfängers eingelegt habe.

Der Arbeit­nehmer legte gegen die Kündigung Klage ein und behauptete, er habe die Kündigung nicht erhalten. Er beantragte, festzu­stellen, dass das Arbeits­ver­hältnis ungekündigt fortbe­stehe. Der Arbeit­geber führte dagegen aus, er habe die Kündigung dem Arbeit­nehmer zugesandt. Es sei davon auszu­gehen, dass dieser die Kündigung in seinem Brief­kasten vorge­funden habe. Der Arbeit­geber legte einen Auslie­fe­rungs­beleg der Post als Beweis vor.

Das Arbeits­ge­richt Elmshorn urteilte im Sinne des Arbeit­nehmers, dass das Arbeits­ver­hältnis fortbe­stehe, da der Arbeit­geber den Zugang einer Kündigung beim Arbeit­nehmer nicht bewiesen habe. Der Auslie­fe­rungs­beleg sei kein Beweis des ersten Anscheins für den Zugang der Kündigung.

Entscheidungsgründe des Landgerichtes Schleswig‐Holstein

Das Landes­ar­beits­ge­richt Schleswig‐Holstein sah dies anders und gab dem Arbeit­geber recht. Das Arbeits­ver­hältnis sei durch die Kündigung aufgelöst worden, da die Kündi­gungs­er­klärung dem Kläger zugegangen sei. Bei Übersendung eines Schrift­stücks per Einwurf‐Einschreiben und gleich­zei­tiger Vorlage des Einlie­fe­rungs­belegs und der Repro­duktion des ordnungs­gemäß unter­zeich­neten Auslie­fe­rungs­belegs spreche ein Beweis des ersten Anscheins für den Zugang dieses Schrift­stücks beim Empfänger. Die Voraus­set­zungen für diesen Beweis seien gegeben.

Denn es gebe einen festste­henden tatsäch­lichen Gesche­hens­ablauf, der mit an Sicherheit grenzender Wahrschein­lichkeit zu einem Einwurf der Sendung in das richtige Postfach bzw. den richtigen Brief­kasten führe. Dies sei durch die organi­sa­to­ri­schen Anwei­sungen der Deutschen Post AG für die Zustellung eines Einwurf‐Einschreibens hinrei­chend sicher­ge­stellt. Der Postzu­steller müsse vor dem Einwurf der Sendung in den Brief­kasten ein Abzie­he­tikett, das sogenannte „Peel‐Off‐Label“, auf den Auslie­fe­rungs­beleg kleben, mit Datum versehen und unter­schreiben. Dadurch werde die Sendung aus der üblichen Zustell­routine heraus­ge­nommen. Der Postzu­steller müsse seine Aufmerk­samkeit auf diese einzelne Sendung richten und durch seine eigene Unter­schrift sowie die Datums­angabe die Zustellung bestä­tigen. Bei dieser Vorge­hens­weise seien fehler­hafte Zustel­lungen zwar nicht natur­ge­setzlich ausge­schlossen, aber nach der Lebens­er­fahrung so unwahr­scheinlich, dass die Annahme eines Anscheins­be­weises gerecht­fertigt sei. Die theore­tische Möglichkeit eines Fehlwurfs bei einer Brief­kas­ten­anlage bzw. mehreren Brief­kästen sei so unwahr­scheinlich, dass zunächst einmal der Beweis des ersten Anscheins für die richtige Zustellung begründet werde.

(Landes­ar­beits­ge­richt Schleswig‐Holstein, Urteil vom 18. Januar 2022 – 1 Sa 159/21 –)

 

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