Fristlose Kündigungen wegen Teilnahme an einem wilden Streik

Fristlose Kündigungen wegen Teilnahme an einem wilden Streik

22. Mai 2023 Kündigung Streik 0

Die Teilnahme der Fahrradkuriere der Gorillas an „wilden“ Streiks kann fristlose Kündigungen rechtfertigen

Die frist­losen Kündi­gungen der beim Liefer­dienst Gorillas beschäf­tigten Fahrrad­ku­rieren, den sogenannten „Ridern“ waren in zwei der entschie­denen Verfahren recht­mäßig, da sie sich an einem „wilden“ Streik beteiligt hatten. Das hat das Landes­ar­beits­ge­richt Berlin‐Brandenburg entschieden.

Landes­ar­beits­ge­richt Berlin‐Brandenburg, Urteile vom 25.04.2023 (16 Sa 868/22, 16 Sa 869/22 und 16 Sa 871/22)

Im Kern geht es um die Frage, ob ein Streik gewerk­schaftlich organi­siert sein muss, also, ob es quasi ein Streik­mo­nopol der Gewerk­schaften gibt.

 

Grundsätzliches

 

Teilnahme an einem„Wilden Streik“

Grund­sätzlich wird das Streik­recht als Grund­recht aus Art. 9 Abs. 3 GG gewähr­leistet, um einen tatsäch­lichen Machaus­gleich zwischen Arbeit­gebern und Arbeit­nehmern zu schaffen. Es soll den Gewerk­schaften ermög­lichen, Tarif­ver­träge durch­setzen zu können. Daher ist das Streik­recht daran gebunden, dass die Streiks von einer Gewerk­schaft organi­siert werden. Voraus­set­zungen für einen recht­mä­ßigen Streik sind:

  • Der Streik­aufruf muss durch eine Gewerk­schaft erfolgen,
  • der Streik muss verlautbart werden und dem Arbeit­geber bekannt gegeben werden,
  • der Streik dient einem recht­mä­ßigen, tariflich regel­baren Streikziel,
  • der Streik darf nicht während der Laufzeit eines Tarif­ver­trages eine Änderung der zugrun­de­lie­genden Arbeits­be­din­gungen androhen oder durch­setzen (Friedens­pflicht)
  • der Streik muss verhält­nis­mäßig sein, also das letzte Mittel zum Ausgleich sonst nicht lösbarer tarif­licher Interessenkonflikte.

Streiks, die nicht von einer Gewerk­schaft getragen organi­siert werden, sind rechts­widrig. Man spricht dann von einem „wilden Streik“. „Wilde“ Streiks können aber durch eine Gewerk­schaft übernommen und dadurch rückwirkend recht­mäßig werden.

 

Maßregelungsverbot

Nach § 612a BGB darf ein Arbeit­nehmer, wenn er in zuläs­siger Weise seine Rechte ausgeübt hat, deswegen nicht bei einer Verein­barung oder einer Maßnahme benach­teiligt werden. Voraus­ge­setzt ist, dass der Arbeit­nehmer ein tatsächlich bestehendes Recht geltend macht. Dann darf der Arbeit­geber keine nachtei­ligen Maßnahmen oder Verein­ba­rungen gegenüber dem Arbeit­nehmer treffen, wenn der tragende Beweg­grund ist, dass der Arbeit­nehmer seine Rechte wahrnimmt.

 

Zum Fall:

Die klagenden Arbeit­nehmer waren bei der beklagten Arbeit­ge­berin als Fahrrad­ku­riere, sogenannte „Rider“ beschäftigt. Im Oktober 2021 nahmen eine Vielzahl dieser Rider an einer Protest­aktion teil, die nicht gewerk­schaftlich organi­siert war. Sie blockierten den Zugang zu Filialen und stellten Liefer­fahr­räder auf den Kopf. Der Auffor­derung der Arbeit­ge­berin, die Arbeit wieder aufzu­nehmen, leisteten sie nicht Folge.

Daraufhin kündigte die Arbeit­ge­berin den „Ridern“ fristlos, hilfs­weise fristgemäß.

Dagegen wehrten sich drei der „Rider“ mit ihren Klagen vor dem Arbeits­ge­richt Berlin. Sie führten an, den frist­losen Kündi­gungen fehle ein wichtiger Grund und auch eine frist­gemäße Kündigung sei wegen des Maßre­ge­lungs­ver­botes ausge­schlossen. Sie hätten zwar an dem Streik teilge­nommen, eine gewerk­schaft­liche Organi­sation sei aber dafür auch gar nicht notwendig. Denn ihre Teilnahme an einem verbands­freien Streik sei durch Artikel 9 Absatz 3 des Grund­ge­setzes geschützt und gerechtfertigt.

 

Die Vorinstanz

Das Arbeits­ge­richt wies die Klagen als unbegründet ab und führte aus, die Gruppe, die zum Streik aufge­rufen hatte, sei keine Koalition. Denn es fehle der Gruppe bereits an der Organi­sation und der Durch­set­zungs­kraft gegenüber dem Arbeit­geber. Wegen der fehlenden Organi­sation wäre jedes Verhand­lungs­er­gebnis mit dem Arbeit­geber beliebig. Daher sei die fristlose Kündigung in zweien der Fälle recht­mäßig. (ArbG Berlin, Urteil vom 6. April 2022 – 20 Ca 10257/21 – ArbG Berlin, Urteil vom 6. April 2022 – 20 Ca 10259/21 – (Paral­lel­ent­scheidung))

 

Die Entscheidung

Das Landes­ar­beits­ge­richt bewertete die Betei­ligung am „wilden Streik“ ebenfalls als arbeits­recht­liche Pflicht­ver­letzung. Die nicht gewerk­schaft­liche Protest­aktion sei keine zulässige Ausübung des Streik­rechts gemäß Artikel 9 Absatz 1 des Grund­ge­setzes. Dies sei auch nicht unter Berück­sich­tigung von Teil II Artikel 6 Nr. 4 der Revidierten Europäi­schen Sozial­charta (RESC) zu erkennen. Daher sei in den beiden Verfahren, in denen die Betei­ligung der „Rider“ bewiesen werden konnte, die außer­or­dent­lichen frist­losen Kündi­gungen recht­mäßig gewesen. Da im dritten Verfahren die aktive Betei­ligung des „Riders“ nicht nachge­wiesen werden konnte, sei das Arbeits­ver­hältnis nicht durch die fristlose Kündigung beendet worden. Die hilfs­weise ausge­spro­chene frist­gemäße Kündigung sei aber rechtmäßig.

Das Landes­ar­beits­ge­richt Berlin‐Brandenburg hat die Revision nicht zugelassen. Ob es eine Nicht­zu­las­sungs­be­schwerde gibt, ist derzeit nicht bekannt.

(Mehr zu frist­losen Kündi­gungen können Sie hier lesen.)

 

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