Fristlose Kündigung und Weiterbeschäftigung

Fristlose Kündigung und Weiterbeschäftigung

8. Mai 2023 Annahmeverzug Kündigung 0

Kündigt der Arbeit­geber das Arbeits­ver­hältnis fristlos, weil er meint, die Fortsetzung des Arbeits­ver­hält­nisses sei ihm nicht zuzumuten, bietet aber gleich­zeitig dem Arbeit­nehmer „zur Vermeidung von Annah­me­verzug“ nach der Kündigung die Weiter­be­schäf­tigung zu unver­än­derten Bedin­gungen während des Kündi­gungs­schutz­pro­zesses an, verhält er sich wider­sprüchlich. In einem solchen Fall spricht eine tatsäch­liche Vermutung dafür, dass das Beschäf­ti­gungs­an­gebot nicht ernst gemeint ist. Der Arbeit­nehmer muss dann das Weiter­be­schäf­ti­gungs­an­gebot nicht annehmen. Allein die bloße Ablehnung des Angebotes einer Prozess­be­schäf­tigung indiziert noch nicht den fehlenden Leistungs­willen des Arbeit­nehmers. Dies hat das Bundes­ar­beits­ge­richt entschieden. 

Bundes­ar­beits­ge­richt, Urteil vom 29. März 2023 – 5 AZR 255/22 –

Annahmeverzug

Nimmt der Arbeit­geber die vom Arbeit­nehmer geschul­deten Dienste nicht an, obwohl die Entge­gen­nahme der Leistung möglich und zumutbar ist, schuldet er dem Arbeit­nehmer dennoch die vertraglich verein­barte Vergütung. Dies kann bei einer unwirk­samen Kündigung der Fall sein. Grund­sätzlich muss der Arbeit­nehmer seine Arbeits­leistung tatsächlich anbieten. Der Arbeit­geber gerät sowohl bei einer ordent­lichen als auch bei einer frist­losen Kündigung mit Beginn des Tages in Annah­me­verzug, an dem das Arbeits­ver­hältnis nach dem Inhalt der Kündigung enden soll. Wenn der Arbeit­geber fristlos kündigt, wird dies üblicher­weise zugleich als Erklärung gedeutet, einen funkti­ons­fä­higen Arbeits­platz nicht weiterhin zur Verfügung zu stellen und den Arbeit­nehmer nicht weiter beschäf­tigen zu wollen. Denn die fristlose Kündigung ist nur dann gerecht­fertigt, wenn dem Arbeit­geber nicht zugemutet werden kann, den Arbeit­nehmer bis zum Ablauf der ordent­lichen Kündi­gungs­frist weiter zu beschäftigen.

Unvermögen des Schuldners nach § 297 BGB

Der Arbeit­geber kommt nicht in Annah­me­verzug, wenn der Arbeit­nehmer die Leistung nicht bewirken kann. Die Voraus­set­zungen, die Leistung bewirken zu können sind das Leistungs­ver­mögen und der Leistungs­willen des Arbeit­nehmers. Das Leistungs­ver­mögen kann z.B. bei krank­heits­be­dingter Arbeits­un­fä­higkeit, alkohol­be­dingter Arbeits­un­fä­higkeit oder gesund­heit­licher Überfor­derung durch die Arbeit fehlen.  Der Leistungs­wille erfordert die Bereit­schaft, die betref­fende Arbeit zu den vertrag­lichen Bedin­gungen zu leisten. Bietet der Arbeit­geber dem Arbeit­nehmer nach einer Kündigung eine Weiter­be­schäf­tigung während eines Kündi­gungs­schutz­pro­zesses an, muss diese Tätigkeit dem Arbeit­nehmer zumutbar sein. Ist dies der Fall und der Arbeit­nehmer nimmt das Weiter­be­schäf­ti­gungs­an­gebot nicht an, kann der Leistungs­wille fehlen. Eine mögliche Folge wäre dann nach § 11 Abs. 2 KSchG die Anrechnung des möglichen Verdienstes, den er beim bishe­rigen oder einem neuen Arbeit­geber hätte verdienen können, dies aber böswillig unter­lassen hat. (Mehr zum Thema des böswil­ligen Unter­lassens können Sie hier lesen.)

Anspruch auf Weiterbeschäftigung nach Kündigung

Aber es ist auch denkbar, dass der Arbeit­nehmer während des Kündi­gungs­schutz­pro­zesses von sich aus weiterhin im Betrieb arbeiten möchte. Dazu gibt es zwei Anspruchs­mög­lich­keiten. Es gibt einen betriebs­ver­fas­sungs­recht­lichen Weiter­be­schäf­ti­gungs­an­spruch und einen allge­meinen Weiter­be­schäf­ti­gungs­an­spruch. Der betriebs­ver­fas­sungs­recht­liche Weiter­be­schäf­ti­gungs­an­spruch nach § 102 Absatz 5 BetrVG besteht dann, wenn ein im Unter­nehmen bestehender Betriebsrat der Kündigung zuläs­si­ger­weise wider­sprochen hat und der Arbeit­geber dennoch kündigt. Der allge­meine Weiter­be­schäf­ti­gungs­an­spruch besteht dann, wenn in einem Kündi­gungs­schutz­prozess in der ersten Instanz festge­stellt wurde, dass die Kündigung unwirksam war und das Arbeits­ver­hältnis nicht aufgelöst wurde, der Arbeit­geber dann aber Berufung gegen das Urteil einlegt.

(Mehr zum Anspruch auf Weiter­be­schäf­tigung nach einer Kündigung können Sie hier in einem Spezi­al­ar­tikel lesen.)

Zum Fall:

Ein techni­scher Leiter hatte von seinem Arbeit­geber eine fristlose Änderungs­kün­digung erhalten. Für den Fall dass er diese annehme oder vom Bestand des bishe­rigen Arbeits­ver­hältnis ausgehe, sollte er einige Tage später wieder zur Arbeit erscheinen. Als der Arbeit­nehmer daraufhin nicht zur Arbeit erschien, kündigte der Arbeit­geber fristlos und wies darauf hin, dass der Arbeit­nehmer, sollte er die Kündigung ablehnen, wieder zur Arbeit erscheinen solle. Der Arbeit­nehmer erschien nicht zur Arbeit und legte Kündi­gungs­schutz­klage ein. Dieser gab das Arbeits­ge­richt statt und stellte fest, dass das Arbeits­ver­hältnis durch keine der beiden Kündi­gungen aufgelöst worden sei.

Daraufhin klagte der Arbeit­nehmer auf Vergütung wegen Annah­me­ver­zuges des Arbeit­gebers. Durch die unwirk­samen Kündi­gungen habe sich der Arbeit­geber im Annah­me­verzug befunden. Die Angebote der Weiter­be­schäf­tigung seien ihm, sofern diese überhaupt ernst gemeint seien, nicht zumutbar, da der Arbeit­geber ihm zur Begründung der frist­losen Kündigung umfang­reich und zu Unrecht mannig­fal­tiges Fehlver­halten vorge­worfen und seine Person herab­ge­würdigt habe. Zudem habe der Arbeit­geber geltend gemacht, eine Weiter­be­schäf­tigung des Arbeit­nehmers sei ihm unzumutbar.

Vor dem Arbeits­ge­richt und dem Landes­ar­beits­ge­richt hatte der Arbeit­nehmer damit keinen Erfolg. Die Gerichte sahen keinen Anspruch auf Annah­me­ver­zugs­ver­gütung gegeben, da der Arbeit­nehmer das Angebot des Arbeit­gebers, während des Kündi­gungs­schutz­pro­zesses weiter­zu­ar­beiten, nicht angenommen habe. Der Kläger sei deshalb nicht leistungs­willig im Sinne des § 297 BGB gewesen.

Widersprüchliches Verhalten des Arbeitgebers bei Angebot einer Weiterbeschäftigung nach fristloser Kündigung.

Das sah das Bundes­ar­beits­ge­richt anders. Der Arbeit­geber habe sich aufgrund der unwirk­samen Kündi­gungen im Annah­me­verzug befunden, ohne dass es eines Arbeits­an­ge­botes des Arbeit­nehmers bedurft hätte. Denn der Arbeit­geber sei selbst nicht davon ausge­gangen, dass ihm eine Weiter­be­schäf­tigung des Arbeit­nehmers  zuzumuten sei und deswegen eine fristlose Kündigung begründet sei. Daher sei das Angebot einer Weiter­be­schäf­tigung während des Kündi­gungs­schutz­pro­zesses ein wider­sprüch­liches Verhalten des Arbeit­gebers, das die Vermutung zulasse, dass dieses Angebot nicht ernst gemeint sei.

Ein fehlender Leistungs­wille des Arbeit­nehmers liege ebenfalls nicht vor. Es käme allen­falls die Anrechnung eines böswillig unter­las­senen Verdienstes gemäß § 11 KSchG in Betracht, wenn der Arbeit­nehmer durch die Weiter­be­schäf­tigung den Annah­me­ver­zugs­schaden hätte mindern müssen. Dem Arbeit­nehmer sei eine Weiter­be­schäf­tigung beim Arbeit­geber aber nicht zumutbar gewesen, da dieser im Rahmen der Kündi­gungen Vorwürfe gegen den Arbeit­nehmer erhoben und ihn in seiner Person herab­ge­würdigt habe. Die Beklagte habe im Kündi­gungs­schreiben und im Verlaufe des Kündi­gungs­schutz­pro­zesses immer wieder geltend gemacht, eine Weiter­be­schäf­tigung des Klägers sei ihr unzumutbar und das Vertrau­ens­ver­hältnis sei „irrepa­rabel zerstört”. Sie habe nicht ansatz­weise erläutert, wie sich eine – auch nur vorüber­ge­hende – Zusam­men­arbeit gestalten solle. Demzu­folge sei dem Arbeit­nehmer eine Weiter­be­schäf­tigung nicht zuzumuten.

Dem stünde auch nicht entgegen, dass der Arbeit­nehmer im Kündi­gungs­schutz­prozess eine vorläufige Weiter­be­schäf­tigung beantragt habe. Denn dieser Antrag sei auf die Weiter­be­schäf­tigung nach einer festge­stellten Unwirk­samkeit der Kündi­gungen gerichtet gewesen. Die vom Arbeit­geber angebotene und vom Bundes­ar­beits­ge­richt als unzumutbar erachtete Weiter­be­schäf­tigung habe sich aber auf die Zeit während des erstin­stanz­lichen Kündi­gungs­schutz­pro­zesses bezogen.

Es mache einen Unter­schied, ob der Arbeit­nehmer trotz der gegen ihn im Rahmen einer verhal­tens­be­dingten Kündigung erhobenen (gravie­renden) Vorwürfe weiter­ar­beiten soll oder er nach erstin­stanz­lichem Obsiegen im Kündi­gungs­schutz­prozess gleichsam „rehabi­li­tiert“ in den Betrieb zurück­kehren könne.

 

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