Fristlose Kündigungen wegen Teilnahme an einem wilden Streik
Die Teilnahme der Fahrradkuriere der Gorillas an „wilden“ Streiks kann fristlose Kündigungen rechtfertigen
Die fristlosen Kündigungen der beim Lieferdienst Gorillas beschäftigten Fahrradkurieren, den sogenannten „Ridern“ waren in zwei der entschiedenen Verfahren rechtmäßig, da sie sich an einem „wilden“ Streik beteiligt hatten. Das hat das Landesarbeitsgericht Berlin‐Brandenburg entschieden.
Im Kern geht es um die Frage, ob ein Streik gewerkschaftlich organisiert sein muss, also, ob es quasi ein Streikmonopol der Gewerkschaften gibt.
Grundsätzliches
Teilnahme an einem„Wilden Streik“
Grundsätzlich wird das Streikrecht als Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistet, um einen tatsächlichen Machausgleich zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu schaffen. Es soll den Gewerkschaften ermöglichen, Tarifverträge durchsetzen zu können. Daher ist das Streikrecht daran gebunden, dass die Streiks von einer Gewerkschaft organisiert werden. Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Streik sind:
- Der Streikaufruf muss durch eine Gewerkschaft erfolgen,
- der Streik muss verlautbart werden und dem Arbeitgeber bekannt gegeben werden,
- der Streik dient einem rechtmäßigen, tariflich regelbaren Streikziel,
- der Streik darf nicht während der Laufzeit eines Tarifvertrages eine Änderung der zugrundeliegenden Arbeitsbedingungen androhen oder durchsetzen (Friedenspflicht)
- der Streik muss verhältnismäßig sein, also das letzte Mittel zum Ausgleich sonst nicht lösbarer tariflicher Interessenkonflikte.
Streiks, die nicht von einer Gewerkschaft getragen organisiert werden, sind rechtswidrig. Man spricht dann von einem „wilden Streik“. „Wilde“ Streiks können aber durch eine Gewerkschaft übernommen und dadurch rückwirkend rechtmäßig werden.
Maßregelungsverbot
Nach § 612a BGB darf ein Arbeitnehmer, wenn er in zulässiger Weise seine Rechte ausgeübt hat, deswegen nicht bei einer Vereinbarung oder einer Maßnahme benachteiligt werden. Vorausgesetzt ist, dass der Arbeitnehmer ein tatsächlich bestehendes Recht geltend macht. Dann darf der Arbeitgeber keine nachteiligen Maßnahmen oder Vereinbarungen gegenüber dem Arbeitnehmer treffen, wenn der tragende Beweggrund ist, dass der Arbeitnehmer seine Rechte wahrnimmt.
Zum Fall:
Die klagenden Arbeitnehmer waren bei der beklagten Arbeitgeberin als Fahrradkuriere, sogenannte „Rider“ beschäftigt. Im Oktober 2021 nahmen eine Vielzahl dieser Rider an einer Protestaktion teil, die nicht gewerkschaftlich organisiert war. Sie blockierten den Zugang zu Filialen und stellten Lieferfahrräder auf den Kopf. Der Aufforderung der Arbeitgeberin, die Arbeit wieder aufzunehmen, leisteten sie nicht Folge.
Daraufhin kündigte die Arbeitgeberin den „Ridern“ fristlos, hilfsweise fristgemäß.
Dagegen wehrten sich drei der „Rider“ mit ihren Klagen vor dem Arbeitsgericht Berlin. Sie führten an, den fristlosen Kündigungen fehle ein wichtiger Grund und auch eine fristgemäße Kündigung sei wegen des Maßregelungsverbotes ausgeschlossen. Sie hätten zwar an dem Streik teilgenommen, eine gewerkschaftliche Organisation sei aber dafür auch gar nicht notwendig. Denn ihre Teilnahme an einem verbandsfreien Streik sei durch Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes geschützt und gerechtfertigt.
Die Vorinstanz
Das Arbeitsgericht wies die Klagen als unbegründet ab und führte aus, die Gruppe, die zum Streik aufgerufen hatte, sei keine Koalition. Denn es fehle der Gruppe bereits an der Organisation und der Durchsetzungskraft gegenüber dem Arbeitgeber. Wegen der fehlenden Organisation wäre jedes Verhandlungsergebnis mit dem Arbeitgeber beliebig. Daher sei die fristlose Kündigung in zweien der Fälle rechtmäßig. (ArbG Berlin, Urteil vom 6. April 2022 – 20 Ca 10257/21 – ArbG Berlin, Urteil vom 6. April 2022 – 20 Ca 10259/21 – (Parallelentscheidung))
Die Entscheidung
Das Landesarbeitsgericht bewertete die Beteiligung am „wilden Streik“ ebenfalls als arbeitsrechtliche Pflichtverletzung. Die nicht gewerkschaftliche Protestaktion sei keine zulässige Ausübung des Streikrechts gemäß Artikel 9 Absatz 1 des Grundgesetzes. Dies sei auch nicht unter Berücksichtigung von Teil II Artikel 6 Nr. 4 der Revidierten Europäischen Sozialcharta (RESC) zu erkennen. Daher sei in den beiden Verfahren, in denen die Beteiligung der „Rider“ bewiesen werden konnte, die außerordentlichen fristlosen Kündigungen rechtmäßig gewesen. Da im dritten Verfahren die aktive Beteiligung des „Riders“ nicht nachgewiesen werden konnte, sei das Arbeitsverhältnis nicht durch die fristlose Kündigung beendet worden. Die hilfsweise ausgesprochene fristgemäße Kündigung sei aber rechtmäßig.
Das Landesarbeitsgericht Berlin‐Brandenburg hat die Revision nicht zugelassen. Ob es eine Nichtzulassungsbeschwerde gibt, ist derzeit nicht bekannt.
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