Darf mein Arbeitgeber mich zur Impfung zwingen?

Das Thema Corona beherrscht die Gesell­schaft auch im noch jungen Jahr 2021. Ein Ende der Pandemie ist nicht absehbar, doch der Ton wird rauer. Hoffnung setzen viele auf die Covid‐Impfung. Während die Impfkam­pagne nur langsam Fahrt aufnimmt, stellt sich zunehmend nicht nur die Frage nach der Impfstoff­ver­teilung und ‑priori­sierung der Bevöl­ke­rungs­gruppen, sondern auch danach, ob nicht eine generelle Impfpflicht gegen Corona einge­führt oder in einzelnen Bereichen vorge­schrieben werden soll. Dies betrifft insbe­sondere den Arbeits­platz. So machte bereits Anfang Januar eine Schlag­zeile die Runde, wonach ein Zahnarzt in Bayern von seinen Angestellten verlangt habe, sich impfen zu lassen. Wer dies nicht möchte, werde von der Arbeit freigestellt.

Aber steht eine solche Weisung des Arbeit­gebers im Einklang mit dem Arbeits­recht? Darf der Arbeit­geber seine Arbeit­nehmer tatsächlich zur Impfung zwingen mit der Folge, dass, wer sich nicht impfen lässt, den Arbeits­platz verliert? Kann bei Impfver­wei­gerung eine (fristlose) Kündigung ausge­sprochen werden? Welche Rechte und Pflichten haben Arbeit­nehmer in Bezug auf eine Impf‐Anweisung des Arbeitgebers?

Keine gesetzliche Pflicht zur Corona‐Impfung in Deutschland

Nach der derzei­tigen Rechtslage besteht in Deutschland keine Covid‐19‐Impfpflicht. Die Bundes­re­gierung hat mehrfach betont, dass nicht beabsichtigt sei, eine gesetz­liche Impfpflicht einzu­führen. Die Covid‐Impfung beruhe auf Freiwilligkeit.

Das bedeutet in arbeits­recht­licher Hinsicht: So lange keine gesetz­liche Impfpflicht gegen Corona besteht, kann der Arbeit­geber auch keine solche Impfung von seinen Arbeit­nehmern verlangen. Der Arbeit­geber kann seine Mitar­beiter weder anweisen, sich impfen zu lassen, noch von ihnen verlangen, die Impfung nachzu­weisen (etwa durch Vorlage des Impfaus­weises). So lange keine Rechts­grundlage in Form einer gesetz­lichen Impfpflicht vorliegt, kann sich der Arbeit­geber auch nicht auf seine Fürsor­ge­pflicht gegenüber seinen Angestellten berufen, um eine Impfung verpflichtend zu verlangen. Die Fürsor­ge­pflicht des Arbeit­gebers tritt hinter dem Persön­lich­keits­recht der Arbeit­nehmer zurück.

Auch medizinisches Personal, sowie Kranken‐ und Altenpfleger können Impfung ablehnen

Dies gilt grund­sätzlich auch für Beschäf­tigte im Gesund­heits­wesen (Kranken­schwestern und ‑pfleger, Beschäf­tigte in der Alten­pflege, medizi­ni­sches Personal in Arztpraxen und Kranken­häusern). Für sie gilt zunächst einmal das Gleiche wie für jeden anderen Arbeit­nehmer in Deutschland: Eine Impfpflicht besteht nur, wenn es eine entspre­chende Rechts­grundlage gibt. Dafür, dass es derzeit auch im Gesund­heits­sektor keine Pflicht zur Impfung gibt, sprechen zudem die „Arbeits­me­di­zi­ni­schen Regeln“ der Bundes­an­stalt für Arbeits­schutz und Arbeits­me­dizin. So sieht die AMR 6.5 mit dem schönen Titel „Impfungen als Bestandteil der arbeits­me­di­zi­ni­schen Vorsorge bei Tätig­keiten mit biolo­gi­schen Arbeits­stoffen“ in Ziffer 4.2 Absatz 3 ausdrücklich vor, dass Beschäf­tigte das Impfan­gebot des Arbeit­gebers, das dieser im Rahmen seiner arbeits­me­di­zi­ni­schen Vorsorge durch einen Arzt zu unter­breiten hat, annehmen oder ablehnen können.

Diese Entschei­dungs­freiheit lässt sich den Beschäf­tigten ohne entspre­chende Rechts­grundlage nicht nehmen.

Bislang nur gesetzliche Pflicht zur Masern‐Impfung für bestimmte Arbeitnehmer im Gesundheitssektor

Bei Impfungen war der Gesetz­geber in Deutschland bislang sehr zurück­haltend. Bis heute wurde nur eine einzige Impfpflicht gesetzlich verankert – und auch das erst in neuester Zeit. So müssen aufgrund des Masern­schutz­ge­setzes Beschäf­tigte in medizi­ni­schen Einrich­tungen, die nach 1970 geboren sind, seit März 2020 gegen Masern geimpft sein oder ihre Immunität nachweisen. Arbeit­nehmer in diesen Einrich­tungen, die sich dieser Impfpflicht verweigern, können unter Verweis auf das Masern­schutz­gesetz entlassen werden. Dies leuchtet in arbeits­recht­licher Hinsicht auch ein, da Beschäf­tigte in solchen Einrich­tungen ohne eine solche Masern­schutz­impfung nicht beschäftigt werden dürfen. Eine entspre­chende Impfung gehört demnach zu den arbeits­ver­trag­lichen Neben­pflichten der Arbeit­nehmer, deren Nicht­be­achtung eine perso­nen­be­dingte Kündigung begründen kann.

Ohne gesetzliche Impfpflicht kein arbeitsrechtlicher Impfzwang

Wie gesagt: Ohne eine solche ausdrück­liche gesetz­liche Impfpflicht unter­liegen Arbeit­nehmer keinem Impfzwang. Sie brauchen eine Impfan­weisung des Arbeit­gebers nicht zu befolgen. Sie haben grund­sätzlich keine arbeits­recht­lichen Konse­quenzen zu fürchten, solange keine gesetz­liche Impfpflicht besteht. Das Weisungs­recht des Arbeit­gebers erschöpft sich in milderen Mitteln des Arbeits‐ und Gesund­heits­schutzes wie der Verpflichtung zum Maske‐Tragen oder zur Durch­führung von Corona‐Schnelltests vor Betreten der medizi­ni­schen Einrichtung bzw. Pflegeeinrichtung.

Aber unter uns: Gesetze lassen sich ändern und politische Verspre­chungen unter­liegen einer kurzen Haltbarkeit. Sollte die Politik in Zukunft also entgegen ihrer bishe­rigen Beteue­rungen eine gesetz­liche Impfpflicht einführen, so kann der Arbeit­geber seine Arbeit­nehmer tatsächlich anweisen, sich impfen zu lassen. Je nach Tätig­keits­be­reich kann eine Impfver­wei­gerung, dann zur Freistellung von der Arbeit, sowie zur Kündigung führen. Dass dies insbe­sondere Arbeits­plätze im Gesund­heits­sektor betreffen wird, liegt auf der Hand.

Aber: Personenbedingte Kündigung von Beschäftigten im Gesundheits‐ und Pflegesektor bei Impfweigerung doch möglich?

Solange wir noch nicht so weit sind, gibt es grund­sätzlich keine solche Impfpflicht – auch nicht am Arbeitsplatz.

Aber Mediziner und Pflege­per­sonal aufge­passt: Im Einzelfall kann mögli­cher­weise bereits nach bishe­riger Rechtslage die Weigerung, sich gegen Corona impfen zu lassen bzw. einen entspre­chenden Impfnachweis vorzu­legen, zur perso­nen­be­dingten Kündigung führen. Dies kann der Fall sein, wenn medizi­ni­sches Personal bzw. Pflege­per­sonal engen Kontakt zu Risiko­gruppen hat und die Beschäf­tigung nicht geimpften Personals eine besondere Gesund­heits­gefahr darstellt. Dann könnte der Arbeit­geber auf den Gedanken kommen, dass es dem Arbeit­nehmer, der sich weigert, sich gegen Corona impfen zu lassen, an der persön­lichen Eignung zur Ausführung der arbeits­ver­traglich verein­barten Leistungen fehlt und eine perso­nen­be­dingte Kündigung aussprechen. Dies dürfte aller­dings voraus­setzen, dass erwiesen ist, dass die Corona‐Impfung vor der Anste­ckung anderer Personen schützt.

Und auch dann ist eine perso­nen­be­dingte Kündigung nur möglich, wenn der betroffene Arbeit­nehmer nicht an anderer Stelle in dem Unter­nehmen (Krankenhaus, Pflege­ein­richtung) einge­setzt werden kann, wo die fehlende Impfung keine solche besondere Gesund­heits­gefahr für Kollegen oder Patienten (bzw. in den Worten der Bundes­an­stalt für Arbeits­schutz und Arbeits­me­dizin: Das „biolo­gische Material“) darstellt. Wie die Arbeits­ge­richte diesen Sonderfall der perso­nen­be­dingten Kündigung trotz fehlender gesetz­licher Impfpflicht einschätzen, wird sich in den kommenden Monaten sicherlich zeigen.

SI Rechtsanwaltsgesellschaft mbH