Annahmeverzugslohn kann ohne ernsthafte Bewerbungsbemühungen wegfallen

Annahmeverzugslohn kann ohne ernsthafte Bewerbungsbemühungen wegfallen

9. Juni 2023 Annahmeverzug 0

Warum der Annahmeverzugslohn entfallen kann, wenn der Arbeitnehmer sich nicht sorgfältig bewirbt.

In einem schon etwas älteren Urteil hat das Landes­ar­beits­ge­richt Berlin‐Brandenburg  entschieden, dass der Anspruch auf Annah­me­ver­zugslohn bei unwirk­samen Kündi­gungen zwar besteht, jedoch auf 0 reduziert werden kann, wenn der Arbeit­nehmer es während einen Kündi­gungs­schutz­pro­zesses böswillig unter­lässt, sich ernsthaft um einen Zwischen­ver­dienst zu bemühen.

Der Arbeit­nehmer dürfe nicht untätig bleiben, wenn sich ihm eine realis­tische Arbeits­mög­lichkeit biete. Dies könne die Abgabe von eigenen Angeboten mit einschließen. Trage der Arbeit­geber Indizien für böswil­liges Unter­lassen einer Zwischen­be­schäf­tigung vor, obliege es im Wege abgestufter Darlegungs‐ und Beweislast dem Arbeit­nehmer, diesen Indizien entge­gen­zu­treten und darzu­legen, weshalb es nicht zu einem Vertrags­schluss gekommen ist bezie­hungs­weise ein solcher unzumutbar war.

(Landes­ar­beits­ge­richt Berlin‐Brandenburg, Urteil vom 30.09.2022 – 6 Sa 280/22)

Annahmeverzug

Grund­sätzlich schuldet der Arbeit­geber dem Arbeit­nehmer nur dann Vergütung, wenn der Arbeit­nehmer seine vertraglich geschuldete Arbeits­leistung erbracht hat. Wenn der Arbeit­geber die angebotene Arbeits­leistung aber unberech­tigter Weise nicht annimmt, gerät er nach § 615 BGB in den sogenannten Annah­me­verzug. Das bedeutet, der Arbeit­nehmer kann die verein­barte Vergütung als Annah­me­ver­zugslohn verlangen, auch wenn er seine Arbeits­leistung nicht tatsächlich erbracht hat. Im Falle einer unrecht­mä­ßigen Kündigung gerät der Arbeit­geber regel­mäßig in Annah­me­verzug. Nach einer unwirk­samen Arbeit­ge­ber­kün­digung bedarf es zur Begründung des Annah­me­verzugs eines Angebots des Arbeit­nehmers nicht.

Das bedeutet, einfach ausge­drückt, stellt sich die Kündigung im Nachhinein als unwirksam heraus, besteht das Arbeits­ver­hältnis fort und der Arbeit­geber muss den Lohn nachzahlen.

(Mehr zum Annah­me­verzug des Arbeit­gebers können Sie hier lesen.)

böswilliges Unterlassen

Der Arbeit­nehmer ist während des Kündi­gungs­schutz­pro­zesses verpflichtet, sich ander­weitig um Arbeit zu bemühen. Nach § 11 Nr. 2 des Kündi­gungs­schutz­ge­setzes wird erzielter Zwischen­ver­dienst sowie der Verdienst, der fiktiv hätte erreicht werden können, wenn der Arbeit­nehmer es nicht böswillig unter­lassen hätte, eine Arbeits­mög­lichkeit als Zwischen­erwerb anzunehmen, auf den Annah­me­ver­zugslohn angerechnet. Der Arbeit­geber muss dann also weniger Annah­me­ver­zugslohn zahlen. Der Annah­me­ver­zugslohn kann auch der Höhe nach auf 0 gekürzt werden, so dass gar kein Annah­me­ver­zugslohn gezahlt wird.

Das Bundes­ar­beits­ge­richt entschied dazu:

Ein Arbeit­nehmer unter­lässt böswillig im Sinne des § 11 Nr. 2 KSchG ander­wei­tigen Verdienst, wenn ihm ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er während des Annah­me­verzugs trotz Kenntnis aller objek­tiven Umstände vorsätzlich untätig bleibt und eine ihm nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB unter Beachtung des Grund­rechts auf freie Arbeits­platzwahl nach Art. 12 GG zumutbare ander­weitige Arbeit nicht aufnimmt oder die Aufnahme der Arbeit bewusst verhindert. Maßgebend sind dabei die gesamten Umstände des Einzel­falls. […] Erfor­derlich für die Beurteilung der Böswil­ligkeit ist stets eine unter Bewertung aller Umstände des konkreten Falls vorzu­neh­mende Gesamt­ab­wägung der beider­sei­tigen Interessen.

(BAG, Urteil vom 12.10.2022 – 5 AZR 30/22)

Auskunftsanspruch

Will der Arbeit­geber gegen den Annah­me­ver­zugs­lohn­an­spruch das böswillige Unter­lassen des Arbeit­nehmers einwenden, muss er diesem nachweisen, dass Stellen­an­gebote mit zumut­barer Arbeit bekannt waren und es unter­lassen wurde, sich darauf ernsthaft zu bewerben. Damit der Arbeit­geber die Chance hat, dieses beweisen zu können, trifft den Arbeit­nehmer laut Recht­spre­chung des Bundes­ar­beits­ge­richtes eine „sekundäre Beweislast“.

Der Arbeit­geber kann daher vom Arbeit­nehmer schrift­liche Auskunft über die unter­brei­teten Vermitt­lungs­vor­schläge unter Nennung von Tätigkeit, Arbeitszeit, Arbeitsort und Vergütung verlangen.

(BAG, Urteil vom 27. Mai 2020 – 5 AZR 387/19 –)

Der Arbeit­nehmer muss dem Arbeit­geber bei entspre­chender Auffor­derung zumindest Auskunft über die Vermitt­lungs­vor­schläge der Bundes­agentur für Arbeit bzw. des Jobcenters erteilen und sich dann gegebe­nen­falls auch dazu erklären, wie er mit objektiv geeig­neten Stellen­an­ge­boten verfahren ist.

Zum Fall:

Der Kläger war bei der Beklagten als Sachbe­ar­beiter bei einer Versi­cherung beschäftigt. Die Arbeit­ge­berin kündigte den Arbeits­vertrag mehrfach. Dagegen wehrte sich der Arbeit­nehmer mittels Kündi­gungs­schutz­klagen, denen statt­ge­geben wurde. Die Kündi­gungen waren rechts­widrig. Der Kündi­gungs­schutz­prozess dauerte 4 Jahre. Im Anschluss erhob der Arbeit­nehmer erneut Klage und machte Annah­me­verzug für die Zeit ab Ende der Kündi­gungs­frist bis zur Entscheidung über die Rechts­wid­rigkeit der Kündi­gungen geltend.

Die Arbeit­ge­berin verlangte vom klagenden Arbeit­nehmer Auskunft über dessen Bewer­bungs­be­mü­hungen. Der Arbeit­nehmer übermit­telte sodann auch seine Bewer­bungs­schreiben auf drei der 23 übermit­telten Vermitt­lungs­vor­schläge von Arbeits­agentur und Jobcenter sowie seine eigenen  Bewer­bungs­be­mü­hungen. Er behauptete zudem, er habe sich auf 104 weitere Stellen­of­ferten beworben. Die Arbeit­ge­berin sah diese Bewer­bungs­be­mü­hungen als unzurei­chend an und hielt dem Arbeit­nehmer entgegen, er habe es böswillig unter­lassen, sich während der Zeit des Kündi­gungs­schutz­pro­zesses um zumutbare Arbeit als Zwischen­ver­dienst zu bemühen. Daher müsse er sich nach § 11 Nr. 2 Kündi­gungs­schutz­gesetz auf den Annah­me­ver­zugslohn anrechnen lassen, was er bei einer hypothe­ti­schen, ander­wei­tigen Beschäf­tigung hätte verdienen können.

Die Entscheidung

Das sah das Landes­ar­beits­ge­richt ebenso. Zwar stehe dem Arbeit­nehmer grund­sätzlich Annah­me­ver­zugslohn aufgrund der unwirk­samen Kündi­gungen zu. Die Arbeit­ge­berin habe jedoch ausrei­chend Indizien böswil­ligen Unter­lassens ander­wei­tigen Erwerbs seitens des Arbeit­nehmers dargelegt. Diese Indizien habe der Arbeit­nehmer nicht entkräften können.

Da der Arbeit­nehmer nur unzurei­chende Bewer­bungs­be­mü­hungen angestellt habe, sei der Annah­me­ver­zug­lohns­an­spruch der Höhe nach auf 0 zu reduzieren. Dies sei hier der Fall, da der Kläger zu wenige und zudem unzurei­chende Bewer­bungen gefertigt habe, obwohl ihm die Agentur für Arbeit und das Jobcenter eine Reihe von Joban­ge­boten zugesandt haben.

Insbe­sondere die Anzahl der Bewer­bungs­be­mü­hungen von 103 Bewer­bungen in 29 Monaten, was rechne­risch nicht einmal einer Bewerbung pro Woche entspräche, aber auch die Form der Bewer­bungen beanstandete das Landes­ar­beits­ge­richt. Da der Kläger ohne Arbeit gewesen sei, hätte er im zeitlichen Umfang einer Vollzeit­stelle Bewer­bungs­be­mü­hungen entfalten können und müssen. Dies habe er unter­lassen. Zudem spräche die mindere Qualität seiner nicht sorgfältig geführten Bewer­bungen als Indiz gegen ihn und für eine böswillige Unter­lassung der Annahme einer zumut­baren Arbeit. 

Insbe­sondere bemän­gelte das Landes­ar­beits­ge­richt, der Kläger sei mehrfach telefo­nisch nicht erreichbar gewesen und habe teilweise ein falsches Format für übersandten Bewer­bungs­un­ter­lagen benutzt. Seinen einge­reichten Bewer­bungs­mails lasse sich zudem weder ein Stellen­kenn­zeichen, eine schlag­wort­artige Bezeichnung der Stelle, auf die er sich beworben habe oder ein sonstiger Betreff entnehmen. Die Anrede in den Schreiben sei nicht indivi­dua­li­siert. Inhaltlich seien die Bewer­bungen nicht an die zu beset­zende Stelle und den poten­ti­ellen Arbeit­geber angepasst. Sie wiesen zudem im recht kurzen Text Fehler auf.

Das Landes­ar­beits­ge­richt ließ die Frage offen, ob sich der Auskunfts­an­spruch des Arbeit­gebers auch auf eigene Bewer­bungs­be­mü­hungen des Arbeit­nehmers erstreckt.

Die Revision wurde nicht zugelassen.

Fazit:

Das Urteil verdeut­licht noch einmal, dass ein von einer Kündigung betrof­fener Arbeit­nehmer, sich ernsthaft um einen Zwischen­erwerb bemühen muss, da sonst Ansprüche aus Annah­me­verzug des Arbeit­gebers ins Leere laufen würden. Arbeit­nehmer können während des Kündi­gungs­schutz­pro­zesses nicht untätig bleiben oder bei der Suche nach einem Zwischen­erwerb nachlässig werden.

Zu beachten ist aber, dass Gerichte böswil­liges Unter­lassen immer anhand des Einzel­falls bewerten werden und das Landes­ar­beits­ge­richt im vorlie­genden Fall wegen der sehr unzurei­chenden Art der vorlie­genden Bewer­bungs­be­mü­hungen im Rahmen einer Gesamt­wür­digung der Umstände so entschieden hat. Zwar wird die Qualität und Anzahl der Bewer­bungen bewertet werden, sofern diese vorgelegt werden. Absolute Mindest­zahlen und Anfor­de­rungen an Bewer­bungen gibt das Urteil nicht unbedingt vor. Es kann durchaus sein, dass andere Richter nicht ganz so hohe Anfor­de­rungen an die Bewer­bungs­be­mü­hungen stellen. Es kommt jedes Mal auf die konkrete Situation und den Gesamt­ein­druck an.

Dennoch wird die Verhand­lungs­po­sition der Arbeit­ge­ber­seite grund­sätzlich gestärkt. Arbeit­geber sind sich nunmehr weiterer Möglich­keiten, Annah­me­ver­zugs­for­de­rungen abzuwehren, bewusst. Das dürfte sich auf Risiko­ab­wä­gungen der Arbeit­geber bezüglich einer möglichen Gehalts­nach­zahlung im Falle einer rechts­un­wirk­samen Kündigung auswirken und die Bereit­schaft, einen Vergleich über eine Abfin­dungs­zahlung abzuschließen, verringern.

Für die Durch­setzung von Annah­me­ver­zugs­an­sprüchen und Vergleichs­ver­hand­lungen über eine Abfindung bedeutet dies, dass die Mitarbeit des Arbeit­nehmers in Form gewis­sen­hafter Bewer­bungs­be­mü­hungen unerlässlich ist. Durch den Nachweis gewis­sen­hafter Bewer­bungs­be­mü­hungen, wird dem Arbeit­geber verdeut­licht, dass er nicht davon ausgehen kann, keinen Annah­me­ver­zugslohn leisten zu müssen.

 

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