Kündigung trotz Bildes „IMPFUNG MACHT FREI“ unwirksam

Kündigung trotz Bildes „IMPFUNG MACHT FREI“ unwirksam

22. Juni 2023 Allgemein Auflösung des Arbeitsvertrages Kündigung 0
 

Warum die Kündigung eines Lehrers trotz Verwendung eines YouTube‐Videos mit dem Titel „IMPFUNG MACHT FREI“ unwirksam war.

Die Kündigung des Arbeits­ver­trages eines Lehrers, der ein Video unter Verwendung eines Bildes des Tores eines Konzen­tra­ti­ons­lagers mit dem Schriftzug „IMPFUNG MACHT FREI“ bei YouTube einstellte war unwirksam. So entschied es das Landes­ar­beits­ge­richt Berlin‐Brandenburg. Es löste den Arbeits­vertrag jedoch auf Antrag des beklagten Landes auf und verur­teilte das beklagte Land zur Zahlung einer Abfindung von etwa 72.000 €.

Landes­ar­beits­ge­richt Berlin‐Brandenburg, Urteil vom 15.06.2023, – Akten­zeichen 10 Sa 1143/22 -
 

Die Grundlagen

 

Grenzen der Meinungsfreiheit

Die Meinungs­freiheit schützt Äußerungen, die nicht ganz überwiegend Tatsa­chen­be­haup­tungen sind, sondern ein Werturteil enthalten. Dabei ist es unwichtig, ob diese Äußerungen begründet, rational, grundlos oder von anderen anerkannt sind. Das Grund­recht aus Artikel 5 des Grund­ge­setzes ist aber durch die allge­meinen Gesetze sowie die Grund­rechte anderer, insbe­sondere deren allge­meine Persön­lich­keits­rechte beschränkt. Auch kann die wirtschaft­liche Betäti­gungs­freiheit des Arbeit­gebers durch geschäfts­schä­di­gende Äußerungen verletzt sein und die Meinungs­freiheit begrenzen.

Grund­sätzlich darf man seine Meinung sagen und Kritik äußern. Dies recht­fertigt aber keine bewusst unwahren Tatsa­chen­be­haup­tungen oder Schmäh­kritik. Letzteres wäre eine Äußerung, bei der es jenseits polemi­scher und überspitzter Kritik nicht mehr um die Ausein­an­der­setzung in der Sache, sondern vorder­gründig allein um die Diffa­mierung der Person bzw. der „Gegen­seite“ geht. Schmäh­kritik ist nicht mehr von dem Recht auf Meinungs­freiheit erfasst und geschützt. (BAG, Urteil vom 5. Dezember 2019 – 2 AZR 240/19 –)

 

Pflicht zur Rücksichtnahme gegenüber dem Arbeitgeber

Jeder Arbeit­nehmer ist nach den Grund­sätzen von Treu und Glauben in jedem Arbeits­ver­hältnis zu einem Mindestmaß an Rücksicht gegenüber den Rechten, Rechts­gütern und Inter­essen des Arbeit­gebers verpflichtet. Er muss sich insbe­sondere auch so verhalten, dass der Betriebs­frieden nicht ernstlich, schwer gefährdet wird und eine Zusam­men­arbeit weiterhin zumutbar bleibt. Das umfasst beispiels­weise die Pflicht, rufschä­di­gende Meinungs­äu­ße­rungen zu unterlassen.

Für Arbeit­nehmer mit hoheit­lichen Befug­nissen und spezi­ellen Tätig­keiten sind in Bezug auf die Rücksicht­nah­me­pflicht höhere Anfor­de­rungen zu stellen als bei anderen Berufs­gruppen. Denn ihr Arbeit­geber ist in beson­derem Maße an Recht und Gesetz gebunden und hat daher ein gestei­gertes Interesse an seiner Außen­wirkung. Das Bundes­ar­beits­ge­richt sieht als Konkre­ti­sierung der Rücksicht­nah­me­pflicht bei Arbeit­nehmern mit bestimmten Tätig­keiten eine „einfache“ politische „Treue­pflicht“ gegeben, die ihnen ein Mindestmaß an Verfas­sungs­treue vorgibt. Sie dürfen sich nicht dahin­gehend äußern, den Staat, die Verfassung oder deren Organe zu besei­tigen und sie nicht beschimpfen oder verächtlich machen. (BAG, Urteil vom 6. September 2012 – 2 AZR 372/11 –)

Kommt es zum Streit, muss in jedem Einzelfall eine Abwägung mit dem Grund­recht des Arbeit­nehmers auf freie Meinungs­äu­ßerung statt­finden. Diese ist nur bei Schmäh­kritik und Formal­be­lei­di­gungen entbehrlich. Bei der vorzu­neh­menden Abwägung müssen Mehrdeu­tig­keiten ausge­schlossen werden.

Ist eine Aussage mehrdeutig, so haben die Gerichte, wollen sie die zur Anwendung sanktio­nie­render Normen führende Deutung ihrer recht­lichen Würdigung zugrunde legen, andere Ausle­gungs­va­ri­anten mit nachvoll­zieh­baren und tragfä­higen Gründen auszu­schließen.

 (ständige Recht­spre­chung, vgl. BVerfG 24. Mai 2019 – 1 BvQ 45/19)
 

Auflösung des Arbeitsvertrages durch das Gericht und Abfindung

Wenn dem Arbeit­nehmer oder dem Arbeit­geber eine Fortsetzung des Arbeits­ver­hält­nisses nicht mehr zumutbar ist, kann das Arbeits­ge­richt auf Antrag nach § 9 des Kündi­gungs­schutz­ge­setzes das Arbeits­ver­hältnis ausnahms­weise auflösen. Das Gericht muss dann von Amts wegen den Arbeit­geber zur Zahlung einer Abfindung verur­teilen. Die Höhe der Abfindung liegt, im Rahmen der Höchst­grenzen, im Ermessen des Arbeits­ge­richtes. Grund­sätzlich beträgt die Maximalhöhe der Abfindung zwölf Monats­ver­dienste. Bei älteren Arbeit­nehmern mit vielen Dienst­jahren, kann die Abfindung sogar bis zu achtzehn Monats­ver­dienste betragen.

Der Auflö­sungs­antrag kann nur für den Fall gestellt werden, dass die Kündigung wegen Sozial­wid­rigkeit unwirksam ist. Dies ist der Fall, wenn kein Kündi­gungs­grund besteht, der in der Person des Arbeit­nehmers, seinem Verhalten oder in betrieb­lichen Gründen liegt. Die Pflicht zur Zahlung einer angemes­senen Abfindung resul­tiert daraus, dass der Arbeit­nehmer seinen Arbeits­platz zu Unrecht verliert.

Bei der Beurteilung der Zumut­barkeit kommt es darauf an, ob das persön­liche Vertrau­ens­ver­hältnis zwischen den Arbeits­ver­trags­par­teien dauerhaft gestört bzw. unheilbar zerrüttet ist. Dabei wird das Verhalten der Parteien vor und während des Kündi­gungs­rechts­streits betrachtet. Umstände, die eine Unzumut­barkeit zu begründen vermögen, können beispiels­weise unzutref­fende, belei­di­gende und ehrver­let­zende Behaup­tungen über die Parteien des Arbeits­ver­hältnis, tätliche Angriffe der Parteien unter­ein­ander oder bewusstes wahrheits­wid­riges Vorbringen sein.

 

Zum Fall

 

Der Sachverhalt

1.Video

Ein Lehrer aus Berlin veröf­fent­lichte ein YouTube‐Video unter dem Titel „Sie machen Tempo! Und Ich denke…“ an dessen Anfang für etwa 3 Sekunden ein Bild einge­blendet wurde, auf dem das Tor eines Konzen­tra­ti­ons­lagers abgebildet war. Der Origi­nal­schriftzug des Tores „ARBEIT MACHT FREI“ wurde durch den Text „IMPFUNG MACHT FREI“ ersetzt. Es folgte dann eine ebenfalls etwa 3 Sekunden lange Einblendung eines Tweets des bayri­schen Minis­ter­prä­si­denten Markus Söder, der eine Ausweitung der Impfan­gebote ankün­digte und in dem er die Aussage „Impfen ist der Weg zur Freiheit“ traf. Die Einblen­dungen zu Beginn des Videos wurden weder durch Text noch durch mündliche Erklä­rungen näher erläutert. Abrufbar war das Video unter einem Standbild der ersten Einblendung des Videos mit ebenjenem Textzug „IMPFUNG MACHT FREI“.

Das beklagte Land Berlin kündigte daraufhin das Arbeits­ver­hältnis mit Schreiben vom 19.8.2021 fristlos, hilfs­weise frist­gemäß, nachdem es den Lehrer im Vorfeld wegen eines anderen Videos und weiterer Äußerungen abgemahnt hatte.

Es führte aus, der Lehrer setze in dem Video das staat­liche Werben um eine Impfbe­reit­schaft in der Pandemie mit der Unrechts­herr­schaft und dem System der Konzen­tra­ti­ons­lager gleich. Damit verharmlose er die Unrechts­taten der Natio­nal­so­zia­listen und missachte die Opfer. Der Lehrer habe seine Schüler aufge­fordert, seinen außer­dienst­lichen Aktivi­täten im Internet zu folgen und sich in anderen Videos auch als Lehrer des beklagten Landes vorgestellt.

Dagegen erhob der Lehrer im September 2021 Kündi­gungs­schutz­klage mit Klage­er­wei­terung im Juli 2022. Er sah in dem Video keinen Grund für eine Kündigung des Arbeits­ver­hält­nisses. Er habe mit dem privaten Video ausschließlich scharfe Kritik an der Äußerung des bayri­schen Minis­ter­prä­si­denten üben und deutlich machen wollen, dass diese der menschen‐ und rechts­ver­ach­tenden Polemik des Natio­nal­so­zia­lismus nahekomme. Das Video sei durch das Grund­recht auf Meinungs­äu­ßerung und Kunst­freiheit gedeckt.

2.Video

Noch während des laufenden Kündi­gungs­schutz­pro­zesses veröf­fent­lichte der klagende Lehrer im Juli 2022 ein weiteres Video, in dem er unter Hinweis auf seine Beschäf­tigung als Lehrer des beklagten Landes unter anderem erklärte, die totali­tären Systeme Hitlers, Stalins und Maos hätten zusammen nicht so viel Leid und Tod verur­sacht, wie die „Corona‐Spritz‐Nötiger“.

Daraufhin kündigte das beklagte Land Berlin im Juli 2022 erneut fristlos, hilfs­weise ordentlich und sah auch in diesem Video eine eindeutige Verharm­losung des Holocaust sowie einen eindeu­tigen Bezug zum Arbeits­ver­hältnis. Das beklagte Land Berlin beantragte außerdem, im Falle der Unwirk­samkeit der Kündigung das Arbeits­ver­hältnis gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 16.000 € aufzu­lösen. Aufgrund der Äußerungen des Lehrers in dem Video vom Juli 2022 und während des Gerichts­ver­fahrens sei eine weitere vertrau­ens­volle Zusam­men­arbeit zwischen den Parteien nicht mehr zu erwarten.

Der klagende Lehrer wandte gegen die weiteren Kündi­gungen ein, es handele sich lediglich um ein wütendes Statement und ausschließlich um seine persön­liche Meinung, die dem Land Berlin nicht zugeordnet werden könnten.

 

Arbeitsgericht Berlin 1. Instanz

In der ersten Instanz sah das Arbeits­ge­richt Berlin in der Veröf­fent­li­chung des Videos, insbe­sondere des Bildes der Eingangs­se­quenz, des Tores mit der Aufschrift „IMPFUNG MACHT FREI“, sowie den Äußerungen innerhalb des Videos eine Verharm­losung des Holocaust. Es wies die Klage ab. Das Video könne nicht so ausgelegt werden, dass es noch durch die Meinungs­freiheit oder Kunst­freiheit geschützt sei. Das Arbeits­ge­richt sah überdies in der Gleich­stellung des Handelns des beklagten Landes in der Corona‐Pandemie mit den Taten der Nazis und deren Propa­gan­da­sprache ein Verächt­lich­machen und damit eine Verletzung der Loyali­täts­pflicht gegenüber der Arbeit­ge­berin des Lehrers. Aus dieser folge ein Vertrau­ens­bruch. Eine Weiter­be­schäf­tigung sei dem Land nicht zumutbar. Die erste außer­or­dent­liche Kündigung sei wirksam.

(Arbeits­ge­richt Berlin, Urteil vom 12. September 2022, Az. 22 Ca 223/22)
 

Landesarbeitsgericht Berlin‐Brandenburg 2. Instanz

Das sah das Landes­ar­beits­ge­richt unter Würdigung aller Umstände des Einzel­falls etwas anders und änderte das Urteil des Arbeits­ge­richtes ab.

Da das beklagte Land dem Perso­nalrat im Verfahren der Kündigung im August 2021 nur den Screenshot des Eingangs­bildes des Videos als Kündi­gungs­grund genannt habe, könne es sich im Kündi­gungs­schutz­ver­fahren auch nur darauf stützen.

Eine Überschreitung des Grund­rechts auf freie Meinungs­äu­ßerung habe das Arbeits­ge­richt nicht eindeutig feststellen können. Denn es habe nicht zwingend ausschließen können, dass die Deutung des Klägers, er habe nur eine scharfe Kritik an der Corona‐Politik äußern wollen, möglich sei.

Auch als Lehrer sei der Kläger bei der Beurteilung keinem anderen Maßstab bei der Beurteilung unterworfen.

Ein Vergleich, den die Parteien während der Berufungs­ver­handlung geschlossen hatten wurde wieder­rufen. Das Landes­ar­beits­ge­richt löste das Arbeits­ver­hältnis aber auf Antrag des beklagten Landes auf. Dem Land sei die Fortsetzung des Arbeits­ver­hält­nisses, unter anderem im Hinblick auf Äußerungen im Video von Juli 2022 und im Gerichts­ver­fahren, nicht mehr zumutbar. Das Beklagte Land wurde zur Zahlung einer Abfindung in Höhe von etwa 72.000 € – was zwölf Monats­ver­diensten entspricht – verurteilt.

Das Landes­ar­beits­ge­richt Berlin‐Brandenburg hat die Revision nicht zugelassen. Eine Nicht­zu­las­sungs­be­schwerde ist möglich.

(Weitere Infor­ma­tionen zu frist­losen Kündi­gungen können Sie hier lesen.)

 

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