Tat‐ und VerdachtskündigungBundesarbeitsgericht zur sozialen Rechtfertigung einer Verdachtskündigung
Eine Verdachtskündigung ist auch als ordentliche Kündigung sozial nur gerechtfertigt, wenn Tatsachen vorliegen, die zugleich eine außerordentliche, fristlose Kündigung gerechtfertigt hätten.
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung der Beklagten. Die Beklagte ist ein Einzelhandelsunternehmen. Die Klägerin war – unter Anrechnung von Vorbeschäftigungszeiten – seit 1991 bei ihr beschäftigt. Zuletzt war sie im Getränkemarkt des Einkaufsmarkts tätig. In dem Markt beschäftigt die Beklagte insgesamt weit mehr als zehn Arbeitnehmer, für die ein 7‑köpfiger Betriebsrat errichtet ist. Die Beklagte wirft der Klägerin vor, Geld aus der sogenannten „Klüngelgeld‐Kasse“, die aus dem abgelehnten Wechselgeld der Kunden besteht, entnommen zu haben, mit der Absicht der rechtswidrigen Aneignung. Auf diesen Verdacht stützt die Beklagte die „fristlose, hilfsweise fristgerechte“ Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien. Die Klägerin erhob fristgemäß Kündigungsschutzklage mit der Begründung, die Kündigung sei nicht sozial gerechtfertigt.
Ohne standhaften Grund überwiegt bei Güterabwägung das Bestandsinteresse des Arbeitnehmers
Das Bundesarbeitsgericht entschied, dass eine Verdachtskündigung auch als ordentliche Kündigung sozial nur gerechtfertigt ist, wenn Tatsachen vorliegen, die zugleich eine außerordentliche, fristlose Kündigung gerechtfertigt hätten. Damit revidiert es die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts, die ordentliche Kündigung sei gegenüber der außerordentlichen Kündigung als milderes Mittel sozial gerechtfertigt. Die inhaltliche Bewertung und die Interessenabwägung müssen zum Ergebnis führen, dass das Verhalten, dessen der Arbeitnehmer verdächtig ist, – wäre es erwiesen – sogar eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen würde, damit die ordentliche Kündigung sozial gerechtfertigt wäre. Ist ein solcher Grund nicht gegeben, überwiegt bei der Güterabwägung im Rahmen von Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG das Bestandsinteresse des Arbeitnehmers.
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ist zumutbar
Eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ist zumutbar, wenn das fragliche Verhalten selbst im erwiesenen Fall nur eine ordentliche Kündigung rechtfertigen würde. Im Rahmen der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB nahm das Landesarbeitsgericht zu Recht an, dass das verdächtigte Verhalten eine außerordentliche Kündigung nicht stützen würde.
Das Bundesarbeitsgericht verweist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurück.