Vertraulichkeitserwartung bei einer geschlossenen Chatgruppe

Vertraulichkeitserwartung bei einer geschlossenen Chatgruppe

1. September 2023 Kündigung 0

Auch in einer privaten Chatgruppe kann sich ein Arbeit­nehmer nur im Ausnah­mefall auf eine berech­tigte Vertrau­lich­keits­er­wartung berufen. Einem Arbeit­nehmer wurde das Arbeits­ver­hältnis außer­or­dentlich gekündigt, nachdem er sich mit fünf anderen Arbeit­nehmern in einer privaten Chatgruppe in Bezug auf einen Vorge­setzten und andere Kollegen stark belei­digend, rassis­tisch, sexis­tisch und in zu Gewalt aufsta­chelnder Weise geäußert hatte.

(Bundes­ar­beits­ge­richt, Urteil vom 24. August 2023 – 2 AZR 17/23 –)
 

Grundsätzliches

 

Vertraulichkeitserwartung

Äußerungen im Famili­en­kreis oder engsten Freun­des­kreis sind privi­le­giert. Ein solch enges Freund­schafts­ver­hältnis muss im Zweifelsfall bewiesen werden. Das allge­meine Persön­lich­keits­recht gewährt dann einen beson­deren Schutz davor, dass diese Äußerungen weiter­ge­geben oder Dritten zur Kenntnis  gelangen, etwa durch eine Tonband­auf­nahme, Mithören oder mündliche Weitergabe. In solch einer Persön­lich­keits­sphäre darf jeder darauf vertrauen, dass er sich ohne Rücksicht­nahme auf andere frei aussprechen darf ohne Konse­quenzen durch Dritte erfahren zu müssen. Daraus kann ein Beweis­ver­wer­tungs­verbot erwachsen. Äußerungen sind unabhängig davon geschützt, wie der Inhalt an einen Dritten gerät. Das allge­meine Persön­lich­keits­recht ist aber nicht vorbe­haltlos gewähr­leistet, sondern endet da, wo Rechts­güter anderer beein­trächtigt werden. Dies muss im Einzelfall abgewogen werden. Die Vertrau­lich­keits­er­wartung kann zudem entfallen, wenn Tatsachen vorliegen, die einem Vertrauen entge­gen­stehen, beispiels­weise wegen eines angespannten Vertrauensverhältnises.

 

Beleidigung als wichtiger Grund für fristlose Kündigung

Zu den arbeits­ver­trag­lichen Neben­pflichten eines Arbeit­nehmers gehört auch ein rücksichts­voller Umgangston im Betrieb. Dieser ist natürlich abhängig von der Art des Betriebes. Auf einer Baustelle kann mehr toleriert werden, als in einem Büro. Wichtig sind wie immer die Umstände des Einzel­falls. Eine ausdrück­liche Belei­digung eines Vorge­setzten oder Kollegen kann je nach Schwere der Belei­digung einen wichtigen Grund für eine frist­gemäße oder sogar fristlose Kündigung recht­fer­tigen. (So auch BAG Urteil vom 18.12.2014 – Az.: 2 AZR 265÷14−. Weitere Infor­ma­tionen zur frist­loser Kündigung können Sie hier lesen.)

 

Zum Fall:

Der klagende Arbeit­nehmer war bei der Beklagten, einem Luftver­kehrs­un­ter­nehmen, als Gruppen­leiter in der Lager­lo­gistik beschäftigt. Das Arbeits­ver­hältnis des Klägers und anderer Mitar­beiter der Beklagten sollte im Zuge einer Umstruk­tu­rierung aus betriebs­be­dingten Gründen zum 31.12.2021 enden. Der Kläger sollte ab dem 1.1.2022 ein Anstel­lungs­ver­hältnis mit einer Trans­fer­ge­sell­schaft bekommen.

Der Kläger war seit 2014 Mitglied in einer privaten Chatgruppe. Außer ihm waren noch fünf weitere Arbeit­nehmer Mitglieder der Chatgruppe. Im November 2020 wurde ein ehema­liger Kollege als weiteres Gruppen­mit­glied in die Chatgruppe aufge­nommen. Alle Mitglieder waren langjährig befreundet, zwei waren mitein­ander verwandt.

Neben privaten Themen äußerten sich der Kläger und andere Mitglieder der Chatgruppe in äußerst belei­di­gender und menschen­ver­ach­tender Weise über Vorge­setzte und andere Arbeitskollegen.

Die Beklagte erhielt hierüber zufällig Kenntnis, nachdem ein Chatgrup­pen­mit­glied einem weiteren Mitar­beiter den Chatverlauf zeigte und auf dessen Smart­phone kopierte.

Die Beklagte konsul­tierte daraufhin den Betriebsrat und kündigte das Arbeits­ver­hältnis des Klägers außer­or­dentlich fristlos.

 

Die Vorinstanzen

Das Arbeits­ge­richt Hannover und das Landes­ar­beits­ge­richt Nieder­sachsen (Urteil vom 19. Dezember 2022 – 15 Sa 284/22 –) gaben der Kündi­gungs­schutz­klage statt.

Die Äußerungen in einer privaten Chatgruppe würden als Ausdruck der Persön­lichkeit und Bedingung ihrer Entfaltung verfas­sungs­recht­lichen Schutz genießen, wenn der Äußernde auf die Wahrung der Vertrau­lichkeit vertrauen durfte. Dies gehe dem Schutz der Ehre des durch die Äußerung Betrof­fenen vor. Bei einer privaten Chatgruppe bestehend aus 7 mitein­ander befreun­deten Personen könnten die Mitglieder in der Regel darauf vertrauen, dass Dritten der Chatverlauf nicht offen­gelegt werde.

 

Die Entscheidung

Das sah das Bundes­ar­beits­ge­richt anders und verwies die Sache an das Landes­ar­beits­ge­richt Nieder­sachsen zurück. Das Landes­ar­beits­ge­richt Nieder­sachsen habe rechts­feh­lerhaft angenommen, der Kläger habe eine berech­tigte Vertrau­lich­keits­er­wartung betreffend der ihm vorge­wor­fenen Äußerungen. Das Vorliegen eines Kündi­gungs­grundes sei zu Unrecht verneint worden.

Das Bundes­ar­beits­ge­richt führt auf, es bestehe kein Beweis­ver­wer­tungs­verbot bezüglich der Chatver­läufe, weil die Äußerungen keinen den Kläger betref­fenden, höchst­per­sön­lichen Charakter hätten. Die Äußerungen zielten auf Herab­wür­digung  Verächt­lich­ma­chung und Belei­digung anderer Personen ab und berührte im Zusam­menhang mit den Gewalt­auf­rufen auch Belange der Gemein­schaft. Daher überwiege der Anspruch der Beklagten aus Art. 103 Abs. 1 GG auf recht­liches Gehör dem Recht des Klägers auf Privatsphäre.

 

Vertraulichkeitserwartung nur in Sphäre vertraulicher Kommunikation

Zudem sei eine Vertrau­lich­keits­er­wartung sei nur dann berechtigt, wenn die Mitglieder der Chatgruppe den beson­deren persön­lich­keits­recht­lichen Schutz einer Sphäre vertrau­licher Kommu­ni­kation in Anspruch nehmen könnten. Dies sei wiederum abhängig von dem Inhalt der ausge­tauschten Nachrichten sowie von der Größe und der perso­nellen Zusam­men­setzung der Chatgruppe.

Die Chatgruppe sei nicht einheitlich gewesen. Angesichts ihrer Größe von zeitweise sieben Mitgliedern sei nicht unbedingt naheliegend, dass die Gruppe noch so leicht zu überschauen wäre, wie bei einer Kommu­ni­kation zwischen zwei Personen. Wenn zugunsten einer Vertrau­lich­keits­er­wartung darauf abgestellt werde, müsse dies begründet werden. Dies sei nicht erfolgt.

 

Bei menschenverachtenden Äußerungen muss Vertraulichkeitserwartung besonders begründet werden

Bei belei­di­genden und menschen­ver­ach­tenden Äußerungen über Betriebs­an­ge­hörige – wie sie hier vorlägen –  bedürfe es einer beson­deren Darlegung, warum ein Arbeit­nehmer berechtigt erwarten könne, dass der Inhalt des Chats von keinem Gruppen­mit­glied an einen Dritten weiter­ge­geben werden würde. In der vorlie­genden Konstel­lation komme eine berech­tigte Vertrau­lich­keits­er­wartung nur in Ausnah­me­fällen in Betracht.

Wegen der in beson­derer Weise menschen­ver­ach­tenden und zu Gewalt aufsta­chelnden Äußerungen sei zudem fraglich, ob es überhaupt eine berech­tigte Vertrau­lich­keits­er­wartung geben könne. Denn es liege nicht fern, dass ein Chatgruppen‐Mitglied aus Entrüstung oder morali­schen Bedenken, Prahlerei oder Imponier­gehabe die Äußerung Dritten gegenüber offen­baren könnte. Damit habe sich das Landes­ar­beits­ge­richt nicht auseinandergesetzt.

Durch die Zurück­ver­weisung an das Landes­ar­beits­ge­richt bekomme der Kläger die Möglichkeit darzu­legen, warum er angesichts der Größe der Chatgruppe, der geänderten Zusam­men­setzung, der unter­schied­lichen Betei­ligung der Gruppen­mit­glieder an den Chats und der Nutzung eines auf eine schnelle Weiter­leitung ausge­legten Mediums davon ausgehen durfte, die Äußerungen würden nicht aus der Chatgruppe heraus gelangen.

Selbst wenn eine etwaige bisherige Vertrau­lichkeit angenommen werden könnte, ließe sich allein daraus, bei Hinzu­kommen neuer Mitglieder der Chatgruppe, keine berech­tigte Vertrau­lich­keits­er­wartung ableiten.

 

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