Vertraulichkeitserwartung bei einer geschlossenen Chatgruppe
Auch in einer privaten Chatgruppe kann sich ein Arbeitnehmer nur im Ausnahmefall auf eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung berufen. Einem Arbeitnehmer wurde das Arbeitsverhältnis außerordentlich gekündigt, nachdem er sich mit fünf anderen Arbeitnehmern in einer privaten Chatgruppe in Bezug auf einen Vorgesetzten und andere Kollegen stark beleidigend, rassistisch, sexistisch und in zu Gewalt aufstachelnder Weise geäußert hatte.
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Grundsätzliches
Vertraulichkeitserwartung
Äußerungen im Familienkreis oder engsten Freundeskreis sind privilegiert. Ein solch enges Freundschaftsverhältnis muss im Zweifelsfall bewiesen werden. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährt dann einen besonderen Schutz davor, dass diese Äußerungen weitergegeben oder Dritten zur Kenntnis gelangen, etwa durch eine Tonbandaufnahme, Mithören oder mündliche Weitergabe. In solch einer Persönlichkeitssphäre darf jeder darauf vertrauen, dass er sich ohne Rücksichtnahme auf andere frei aussprechen darf ohne Konsequenzen durch Dritte erfahren zu müssen. Daraus kann ein Beweisverwertungsverbot erwachsen. Äußerungen sind unabhängig davon geschützt, wie der Inhalt an einen Dritten gerät. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist aber nicht vorbehaltlos gewährleistet, sondern endet da, wo Rechtsgüter anderer beeinträchtigt werden. Dies muss im Einzelfall abgewogen werden. Die Vertraulichkeitserwartung kann zudem entfallen, wenn Tatsachen vorliegen, die einem Vertrauen entgegenstehen, beispielsweise wegen eines angespannten Vertrauensverhältnises.
Beleidigung als wichtiger Grund für fristlose Kündigung
Zu den arbeitsvertraglichen Nebenpflichten eines Arbeitnehmers gehört auch ein rücksichtsvoller Umgangston im Betrieb. Dieser ist natürlich abhängig von der Art des Betriebes. Auf einer Baustelle kann mehr toleriert werden, als in einem Büro. Wichtig sind wie immer die Umstände des Einzelfalls. Eine ausdrückliche Beleidigung eines Vorgesetzten oder Kollegen kann je nach Schwere der Beleidigung einen wichtigen Grund für eine fristgemäße oder sogar fristlose Kündigung rechtfertigen. (So auch BAG Urteil vom 18.12.2014 – Az.: 2 AZR 265÷14−. Weitere Informationen zur fristloser Kündigung können Sie hier lesen.)
Zum Fall:
Der klagende Arbeitnehmer war bei der Beklagten, einem Luftverkehrsunternehmen, als Gruppenleiter in der Lagerlogistik beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis des Klägers und anderer Mitarbeiter der Beklagten sollte im Zuge einer Umstrukturierung aus betriebsbedingten Gründen zum 31.12.2021 enden. Der Kläger sollte ab dem 1.1.2022 ein Anstellungsverhältnis mit einer Transfergesellschaft bekommen.
Der Kläger war seit 2014 Mitglied in einer privaten Chatgruppe. Außer ihm waren noch fünf weitere Arbeitnehmer Mitglieder der Chatgruppe. Im November 2020 wurde ein ehemaliger Kollege als weiteres Gruppenmitglied in die Chatgruppe aufgenommen. Alle Mitglieder waren langjährig befreundet, zwei waren miteinander verwandt.
Neben privaten Themen äußerten sich der Kläger und andere Mitglieder der Chatgruppe in äußerst beleidigender und menschenverachtender Weise über Vorgesetzte und andere Arbeitskollegen.
Die Beklagte erhielt hierüber zufällig Kenntnis, nachdem ein Chatgruppenmitglied einem weiteren Mitarbeiter den Chatverlauf zeigte und auf dessen Smartphone kopierte.
Die Beklagte konsultierte daraufhin den Betriebsrat und kündigte das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich fristlos.
Die Vorinstanzen
Das Arbeitsgericht Hannover und das Landesarbeitsgericht Niedersachsen (Urteil vom 19. Dezember 2022 – 15 Sa 284/22 –) gaben der Kündigungsschutzklage statt.
Die Äußerungen in einer privaten Chatgruppe würden als Ausdruck der Persönlichkeit und Bedingung ihrer Entfaltung verfassungsrechtlichen Schutz genießen, wenn der Äußernde auf die Wahrung der Vertraulichkeit vertrauen durfte. Dies gehe dem Schutz der Ehre des durch die Äußerung Betroffenen vor. Bei einer privaten Chatgruppe bestehend aus 7 miteinander befreundeten Personen könnten die Mitglieder in der Regel darauf vertrauen, dass Dritten der Chatverlauf nicht offengelegt werde.
Die Entscheidung
Das sah das Bundesarbeitsgericht anders und verwies die Sache an das Landesarbeitsgericht Niedersachsen zurück. Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen habe rechtsfehlerhaft angenommen, der Kläger habe eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung betreffend der ihm vorgeworfenen Äußerungen. Das Vorliegen eines Kündigungsgrundes sei zu Unrecht verneint worden.
Das Bundesarbeitsgericht führt auf, es bestehe kein Beweisverwertungsverbot bezüglich der Chatverläufe, weil die Äußerungen keinen den Kläger betreffenden, höchstpersönlichen Charakter hätten. Die Äußerungen zielten auf Herabwürdigung Verächtlichmachung und Beleidigung anderer Personen ab und berührte im Zusammenhang mit den Gewaltaufrufen auch Belange der Gemeinschaft. Daher überwiege der Anspruch der Beklagten aus Art. 103 Abs. 1 GG auf rechtliches Gehör dem Recht des Klägers auf Privatsphäre.
Vertraulichkeitserwartung nur in Sphäre vertraulicher Kommunikation
Zudem sei eine Vertraulichkeitserwartung sei nur dann berechtigt, wenn die Mitglieder der Chatgruppe den besonderen persönlichkeitsrechtlichen Schutz einer Sphäre vertraulicher Kommunikation in Anspruch nehmen könnten. Dies sei wiederum abhängig von dem Inhalt der ausgetauschten Nachrichten sowie von der Größe und der personellen Zusammensetzung der Chatgruppe.
Die Chatgruppe sei nicht einheitlich gewesen. Angesichts ihrer Größe von zeitweise sieben Mitgliedern sei nicht unbedingt naheliegend, dass die Gruppe noch so leicht zu überschauen wäre, wie bei einer Kommunikation zwischen zwei Personen. Wenn zugunsten einer Vertraulichkeitserwartung darauf abgestellt werde, müsse dies begründet werden. Dies sei nicht erfolgt.
Bei menschenverachtenden Äußerungen muss Vertraulichkeitserwartung besonders begründet werden
Bei beleidigenden und menschenverachtenden Äußerungen über Betriebsangehörige – wie sie hier vorlägen – bedürfe es einer besonderen Darlegung, warum ein Arbeitnehmer berechtigt erwarten könne, dass der Inhalt des Chats von keinem Gruppenmitglied an einen Dritten weitergegeben werden würde. In der vorliegenden Konstellation komme eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung nur in Ausnahmefällen in Betracht.
Wegen der in besonderer Weise menschenverachtenden und zu Gewalt aufstachelnden Äußerungen sei zudem fraglich, ob es überhaupt eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung geben könne. Denn es liege nicht fern, dass ein Chatgruppen‐Mitglied aus Entrüstung oder moralischen Bedenken, Prahlerei oder Imponiergehabe die Äußerung Dritten gegenüber offenbaren könnte. Damit habe sich das Landesarbeitsgericht nicht auseinandergesetzt.
Durch die Zurückverweisung an das Landesarbeitsgericht bekomme der Kläger die Möglichkeit darzulegen, warum er angesichts der Größe der Chatgruppe, der geänderten Zusammensetzung, der unterschiedlichen Beteiligung der Gruppenmitglieder an den Chats und der Nutzung eines auf eine schnelle Weiterleitung ausgelegten Mediums davon ausgehen durfte, die Äußerungen würden nicht aus der Chatgruppe heraus gelangen.
Selbst wenn eine etwaige bisherige Vertraulichkeit angenommen werden könnte, ließe sich allein daraus, bei Hinzukommen neuer Mitglieder der Chatgruppe, keine berechtigte Vertraulichkeitserwartung ableiten.