Kündigung trotz Bildes „IMPFUNG MACHT FREI“ unwirksam
Warum die Kündigung eines Lehrers trotz Verwendung eines YouTube‐Videos mit dem Titel „IMPFUNG MACHT FREI“ unwirksam war.
Die Kündigung des Arbeitsvertrages eines Lehrers, der ein Video unter Verwendung eines Bildes des Tores eines Konzentrationslagers mit dem Schriftzug „IMPFUNG MACHT FREI“ bei YouTube einstellte war unwirksam. So entschied es das Landesarbeitsgericht Berlin‐Brandenburg. Es löste den Arbeitsvertrag jedoch auf Antrag des beklagten Landes auf und verurteilte das beklagte Land zur Zahlung einer Abfindung von etwa 72.000 €.
Die Grundlagen
Grenzen der Meinungsfreiheit
Die Meinungsfreiheit schützt Äußerungen, die nicht ganz überwiegend Tatsachenbehauptungen sind, sondern ein Werturteil enthalten. Dabei ist es unwichtig, ob diese Äußerungen begründet, rational, grundlos oder von anderen anerkannt sind. Das Grundrecht aus Artikel 5 des Grundgesetzes ist aber durch die allgemeinen Gesetze sowie die Grundrechte anderer, insbesondere deren allgemeine Persönlichkeitsrechte beschränkt. Auch kann die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit des Arbeitgebers durch geschäftsschädigende Äußerungen verletzt sein und die Meinungsfreiheit begrenzen.
Grundsätzlich darf man seine Meinung sagen und Kritik äußern. Dies rechtfertigt aber keine bewusst unwahren Tatsachenbehauptungen oder Schmähkritik. Letzteres wäre eine Äußerung, bei der es jenseits polemischer und überspitzter Kritik nicht mehr um die Auseinandersetzung in der Sache, sondern vordergründig allein um die Diffamierung der Person bzw. der „Gegenseite“ geht. Schmähkritik ist nicht mehr von dem Recht auf Meinungsfreiheit erfasst und geschützt. (BAG, Urteil vom 5. Dezember 2019 – 2 AZR 240/19 –)
Pflicht zur Rücksichtnahme gegenüber dem Arbeitgeber
Jeder Arbeitnehmer ist nach den Grundsätzen von Treu und Glauben in jedem Arbeitsverhältnis zu einem Mindestmaß an Rücksicht gegenüber den Rechten, Rechtsgütern und Interessen des Arbeitgebers verpflichtet. Er muss sich insbesondere auch so verhalten, dass der Betriebsfrieden nicht ernstlich, schwer gefährdet wird und eine Zusammenarbeit weiterhin zumutbar bleibt. Das umfasst beispielsweise die Pflicht, rufschädigende Meinungsäußerungen zu unterlassen.
Für Arbeitnehmer mit hoheitlichen Befugnissen und speziellen Tätigkeiten sind in Bezug auf die Rücksichtnahmepflicht höhere Anforderungen zu stellen als bei anderen Berufsgruppen. Denn ihr Arbeitgeber ist in besonderem Maße an Recht und Gesetz gebunden und hat daher ein gesteigertes Interesse an seiner Außenwirkung. Das Bundesarbeitsgericht sieht als Konkretisierung der Rücksichtnahmepflicht bei Arbeitnehmern mit bestimmten Tätigkeiten eine „einfache“ politische „Treuepflicht“ gegeben, die ihnen ein Mindestmaß an Verfassungstreue vorgibt. Sie dürfen sich nicht dahingehend äußern, den Staat, die Verfassung oder deren Organe zu beseitigen und sie nicht beschimpfen oder verächtlich machen. (BAG, Urteil vom 6. September 2012 – 2 AZR 372/11 –)
Kommt es zum Streit, muss in jedem Einzelfall eine Abwägung mit dem Grundrecht des Arbeitnehmers auf freie Meinungsäußerung stattfinden. Diese ist nur bei Schmähkritik und Formalbeleidigungen entbehrlich. Bei der vorzunehmenden Abwägung müssen Mehrdeutigkeiten ausgeschlossen werden.
Ist eine Aussage mehrdeutig, so haben die Gerichte, wollen sie die zur Anwendung sanktionierender Normen führende Deutung ihrer rechtlichen Würdigung zugrunde legen, andere Auslegungsvarianten mit nachvollziehbaren und tragfähigen Gründen auszuschließen.
(ständige Rechtsprechung, vgl. BVerfG 24. Mai 2019 – 1 BvQ 45/19)
Auflösung des Arbeitsvertrages durch das Gericht und Abfindung
Wenn dem Arbeitnehmer oder dem Arbeitgeber eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zumutbar ist, kann das Arbeitsgericht auf Antrag nach § 9 des Kündigungsschutzgesetzes das Arbeitsverhältnis ausnahmsweise auflösen. Das Gericht muss dann von Amts wegen den Arbeitgeber zur Zahlung einer Abfindung verurteilen. Die Höhe der Abfindung liegt, im Rahmen der Höchstgrenzen, im Ermessen des Arbeitsgerichtes. Grundsätzlich beträgt die Maximalhöhe der Abfindung zwölf Monatsverdienste. Bei älteren Arbeitnehmern mit vielen Dienstjahren, kann die Abfindung sogar bis zu achtzehn Monatsverdienste betragen.
Der Auflösungsantrag kann nur für den Fall gestellt werden, dass die Kündigung wegen Sozialwidrigkeit unwirksam ist. Dies ist der Fall, wenn kein Kündigungsgrund besteht, der in der Person des Arbeitnehmers, seinem Verhalten oder in betrieblichen Gründen liegt. Die Pflicht zur Zahlung einer angemessenen Abfindung resultiert daraus, dass der Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz zu Unrecht verliert.
Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit kommt es darauf an, ob das persönliche Vertrauensverhältnis zwischen den Arbeitsvertragsparteien dauerhaft gestört bzw. unheilbar zerrüttet ist. Dabei wird das Verhalten der Parteien vor und während des Kündigungsrechtsstreits betrachtet. Umstände, die eine Unzumutbarkeit zu begründen vermögen, können beispielsweise unzutreffende, beleidigende und ehrverletzende Behauptungen über die Parteien des Arbeitsverhältnis, tätliche Angriffe der Parteien untereinander oder bewusstes wahrheitswidriges Vorbringen sein.
Zum Fall
Der Sachverhalt
1.Video
Ein Lehrer aus Berlin veröffentlichte ein YouTube‐Video unter dem Titel „Sie machen Tempo! Und Ich denke…“ an dessen Anfang für etwa 3 Sekunden ein Bild eingeblendet wurde, auf dem das Tor eines Konzentrationslagers abgebildet war. Der Originalschriftzug des Tores „ARBEIT MACHT FREI“ wurde durch den Text „IMPFUNG MACHT FREI“ ersetzt. Es folgte dann eine ebenfalls etwa 3 Sekunden lange Einblendung eines Tweets des bayrischen Ministerpräsidenten Markus Söder, der eine Ausweitung der Impfangebote ankündigte und in dem er die Aussage „Impfen ist der Weg zur Freiheit“ traf. Die Einblendungen zu Beginn des Videos wurden weder durch Text noch durch mündliche Erklärungen näher erläutert. Abrufbar war das Video unter einem Standbild der ersten Einblendung des Videos mit ebenjenem Textzug „IMPFUNG MACHT FREI“.
Das beklagte Land Berlin kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 19.8.2021 fristlos, hilfsweise fristgemäß, nachdem es den Lehrer im Vorfeld wegen eines anderen Videos und weiterer Äußerungen abgemahnt hatte.
Es führte aus, der Lehrer setze in dem Video das staatliche Werben um eine Impfbereitschaft in der Pandemie mit der Unrechtsherrschaft und dem System der Konzentrationslager gleich. Damit verharmlose er die Unrechtstaten der Nationalsozialisten und missachte die Opfer. Der Lehrer habe seine Schüler aufgefordert, seinen außerdienstlichen Aktivitäten im Internet zu folgen und sich in anderen Videos auch als Lehrer des beklagten Landes vorgestellt.
Dagegen erhob der Lehrer im September 2021 Kündigungsschutzklage mit Klageerweiterung im Juli 2022. Er sah in dem Video keinen Grund für eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Er habe mit dem privaten Video ausschließlich scharfe Kritik an der Äußerung des bayrischen Ministerpräsidenten üben und deutlich machen wollen, dass diese der menschen‐ und rechtsverachtenden Polemik des Nationalsozialismus nahekomme. Das Video sei durch das Grundrecht auf Meinungsäußerung und Kunstfreiheit gedeckt.
2.Video
Noch während des laufenden Kündigungsschutzprozesses veröffentlichte der klagende Lehrer im Juli 2022 ein weiteres Video, in dem er unter Hinweis auf seine Beschäftigung als Lehrer des beklagten Landes unter anderem erklärte, die totalitären Systeme Hitlers, Stalins und Maos hätten zusammen nicht so viel Leid und Tod verursacht, wie die „Corona‐Spritz‐Nötiger“.
Daraufhin kündigte das beklagte Land Berlin im Juli 2022 erneut fristlos, hilfsweise ordentlich und sah auch in diesem Video eine eindeutige Verharmlosung des Holocaust sowie einen eindeutigen Bezug zum Arbeitsverhältnis. Das beklagte Land Berlin beantragte außerdem, im Falle der Unwirksamkeit der Kündigung das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 16.000 € aufzulösen. Aufgrund der Äußerungen des Lehrers in dem Video vom Juli 2022 und während des Gerichtsverfahrens sei eine weitere vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den Parteien nicht mehr zu erwarten.
Der klagende Lehrer wandte gegen die weiteren Kündigungen ein, es handele sich lediglich um ein wütendes Statement und ausschließlich um seine persönliche Meinung, die dem Land Berlin nicht zugeordnet werden könnten.
Arbeitsgericht Berlin 1. Instanz
In der ersten Instanz sah das Arbeitsgericht Berlin in der Veröffentlichung des Videos, insbesondere des Bildes der Eingangssequenz, des Tores mit der Aufschrift „IMPFUNG MACHT FREI“, sowie den Äußerungen innerhalb des Videos eine Verharmlosung des Holocaust. Es wies die Klage ab. Das Video könne nicht so ausgelegt werden, dass es noch durch die Meinungsfreiheit oder Kunstfreiheit geschützt sei. Das Arbeitsgericht sah überdies in der Gleichstellung des Handelns des beklagten Landes in der Corona‐Pandemie mit den Taten der Nazis und deren Propagandasprache ein Verächtlichmachen und damit eine Verletzung der Loyalitätspflicht gegenüber der Arbeitgeberin des Lehrers. Aus dieser folge ein Vertrauensbruch. Eine Weiterbeschäftigung sei dem Land nicht zumutbar. Die erste außerordentliche Kündigung sei wirksam.
Landesarbeitsgericht Berlin‐Brandenburg 2. Instanz
Das sah das Landesarbeitsgericht unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls etwas anders und änderte das Urteil des Arbeitsgerichtes ab.
Da das beklagte Land dem Personalrat im Verfahren der Kündigung im August 2021 nur den Screenshot des Eingangsbildes des Videos als Kündigungsgrund genannt habe, könne es sich im Kündigungsschutzverfahren auch nur darauf stützen.
Eine Überschreitung des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung habe das Arbeitsgericht nicht eindeutig feststellen können. Denn es habe nicht zwingend ausschließen können, dass die Deutung des Klägers, er habe nur eine scharfe Kritik an der Corona‐Politik äußern wollen, möglich sei.
Auch als Lehrer sei der Kläger bei der Beurteilung keinem anderen Maßstab bei der Beurteilung unterworfen.
Ein Vergleich, den die Parteien während der Berufungsverhandlung geschlossen hatten wurde wiederrufen. Das Landesarbeitsgericht löste das Arbeitsverhältnis aber auf Antrag des beklagten Landes auf. Dem Land sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, unter anderem im Hinblick auf Äußerungen im Video von Juli 2022 und im Gerichtsverfahren, nicht mehr zumutbar. Das Beklagte Land wurde zur Zahlung einer Abfindung in Höhe von etwa 72.000 € – was zwölf Monatsverdiensten entspricht – verurteilt.
Das Landesarbeitsgericht Berlin‐Brandenburg hat die Revision nicht zugelassen. Eine Nichtzulassungsbeschwerde ist möglich.
(Weitere Informationen zu fristlosen Kündigungen können Sie hier lesen.)
Abfindung Auflösung des Arbeitsvertrages Meinungsfreiheit Rücksichtnahmepflicht